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Hamburg-Altona
Ein Fernbahnhof zieht um

Der mehr als 160 Jahre alte Fernbahnhof in Hamburg-Altona soll zwei Kilometer in den Norden verlegt und zu einem Durchgangsbahnhof werden. Am jetzigen Standort entstehen Wohnungen. Der Widerstand gegen das Großprojekt ist bislang noch gering.

Von Johannes Kulms |
    Ein ICE der Deutschen Bahn fährt in Hamburg auf einer Brücke vor der Baufahrzeuge stehen im Bereich Diebsteich in Richtung Fernbahnhof-Altona.
    Ein ICE der Deutschen Bahn fährt in Hamburg im Bereich Diebsteich in Richtung Fernbahnhof-Altona. (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    Nein, ein besonderer Bahnhof sei Hamburg-Altona für ihn nicht. Aber er liege schon ganz praktisch so im Zentrum, meint der schwedische Vater, der mit seiner Frau, seinen drei Kindern und dem vollgepackten Auto auf den Nachtzug nach Südfrankreich wartet.
    Wenn in Altona ein Autozug be- oder entladen wird, wähnt man sich als Beobachter eher in einem Parkhaus denn in einem Fernbahnhof. Auch sonst herrscht hier reges Treiben: Hier starten und enden hunderte ICEs, Intercities und Regionalzüge. Auf den Anzeigetafeln locken Namen wie Westerland, Berchtesgaden, Zürich oder Budapest.
    "Das ist wie ein Hafen, wie ein Flughafen, wo plötzlich die Reisegefühle geweckt werden. Und hier hat man natürlich auch schon die eine oder andere Süße abgeholt mit einer Rose in der Hand. Also, so ein Sackbahnhof hat schon seinen speziellen Charme."
    Thomas Krüger wohnt seit 20 Jahren in Altona. Der Professor für Stadtplanung an der Hafen-City-Universität steigt hier oft in den Zug - zwischen seiner Wohnung und dem Bahnhof liegen gerade mal sieben Minuten Fußweg. Seit 1844 hat der Stadtteil einen Fernbahnhof. Damals gehörte Altona noch zu Dänemark. Lange war der Bahnhof in einem Backsteinbau aus der Gründerzeit beheimatet. Heute empfängt die Reisenden ein hässlicher weißer Shopping-Klotz aus den 70er Jahren. Die acht Fernbahngleise werden von weißen Flachdächern umrahmt.
    Wohnungen statt Bahnhof
    Doch bis 2023 soll der Fernbahnhof verschwinden, wie die Stadt Hamburg mit der Deutschen Bahn vergangene Woche entschieden hat. Nur die S-Bahn im Untergeschoss soll bleiben. Oberhalb, wo sich jetzt ein Meer aus Gleisen und Weichen ausbreitet, sollen dann bis zu 3.500 Wohnungen entstehen.
    "Es ist sicherlich eine gute Nachricht, weil dadurch sehr attraktive Wohnbauflächen freiwerden. Und die Stadt braucht dringend Wohnungen, gerade in attraktiven Lagen. Altona wird aber an Zentralität verlieren. Die eigentliche Veränderung für die Gesamtstadt ist, dass dieser Fernbahnhof zwei, drei Kilometer nach Norden geht. In eine Gegend, wo bisher sehr wenig Infrastruktur ist und wo eine sehr starke Entwicklung stattfinden kann."
    Ein paar hundert Meter nördlich vom Bahnhof liegt die berüchtigte "Quietschkurve". Ein- und ausfahrende Züge müssen hier im Schneckentempo über ein eingleisiges Viadukt in schwindelerregender Höhe zuckeln. Hier, in der östlichen Ecke des Bahnhofsareals, laufen bereits die Bauvorbereitungen für den ersten Projektabschnitt. Der Sandboden ist plattgewalzt. Mittendrin auf dem mehrere Fußballfelder großen Areal ragt das Stahlgerippe einer ehemaligen Güterhalle empor. Davor steht einsam ein Bagger mit Deutschlandfähnchen in der Mittagssonne.
    Das Luftbild zeigt das Projektgebiet Mitte Altona zwischen dem Bahnhof Altona (unten links) und dem S-Bahnhof Diebsteich (oben rechts) in Hamburg.
    Das Luftbild zeigt das Projektgebiet Mitte Altona zwischen dem Bahnhof Altona (unten links) und dem S-Bahnhof Diebsteich (oben rechts) in Hamburg. (Foto: Matthias Friedel Luftbildfotografie/BSU/dpa)
    Laut Stadtentwicklungsbehörde könnten hier schon 2016 die ersten Wohnungen entstehen. Auf dem Bahnhofsgelände sind je zu einem Drittel Sozialwohnungen, Eigentumswohnungen sowie zu einem Drittel frei finanzierte Wohnungen geplant. Direkt am Altonaer Bahnhof beginnt die Fußgängerzone, in der vor wenigen Tage eine neue IKEA-Filiale eröffnet hat. Womöglich ein Trost für den baldigen Bahnhofsumzug?
    "IKEA gegen Bahnhof? Bahnhof!"
    "Und wenn das jetzt alles weg ist, ich finde das nicht so schön."
    "Weil das dient ja nur der Befriedigung von Grundstücksspekulation. Das gibt nur teure Bauten und ein traditionsreicher Bahnhof geht verloren."
    Mehr Akzeptanz als Stuttgart 21
    Johannes Gerdelmann leitet in der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde die Projektgruppe "Planung". Fürchtet er eine ähnliche Protestwelle wie beim Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes?
    "Wir haben seit vier Jahren das Ohr relativ nah an der Bevölkerung. Und ich schätze die Welle gegen die Verlagerung - da wird eine kommen, aber die wird weit weniger groß sein, als die von Ihnen eben beschrieben."
    Rund 38 Millionen Euro zahlt die Stadt der Bahn für das Gelände in Altona. Nicht nur mit Blick auf die Akzeptanz, auch bei der eigentlichen Umsetzung des Bahnhofsprojektes zeigt sich Johannes Gerdelmann optimistisch. Er habe den Eindruck, dass es bei der Deutschen Bahn nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21 ein Innehalten gegeben habe. Zumal es nur bedingt Parallelen zu dem Projekt in Süddeutschland gebe.
    "Wir haben es hier mit einem vergleichsweise wenig komplexen Bauvorhaben zu tun. Wir haben oberirdische Baumaßnahmen. Wir haben Brückenbauwerke und keine Tunnelbauwerke. Aber wie gesagt, das ist das Spielfeld der Deutschen Bahn." In der Behörde möchte man deutlich machen: Wir nehmen die Leute mit. Zum Beispiel bei der Frage danach, wie denn der neue Fernbahnhof in Diebsteich mal heißen könnte.
    "Ich könnte mir aber vorstellen, dass es vielen Altonänsern über den Verlust weghelfen würde, wenn sie auch südlich der Alpen dieses Zugreiseschild Bahnhof Altona wiederfinden. Würden und auch südlich der Alpen das heimatliche Gefühl ausgelöst bekommen."
    Gelände für neuen Bahnhof noch Gewerbegebiet
    Ein Lastwagen bugsiert einen DHL-Container über einen Parkplatz - geradezu auf ein Gebäude, auf dem der Schriftzug "Internationale Seepost" prangt. Noch wird das nur wenige Schritte vom S-Bahnhof Diebsteich entfernt liegende Gelände von der DHL genutzt. Dass hier schon in wenigen Jahren ein moderner Durchgangsbahnhof mit sechs Gleisen für den Fernverkehr sowie einem S-Bahn-Bahnsteig entstehen soll - dafür bedarf es etwas Fantasie. Links von den Gleisen befindet sich ein großer Friedhof, rechts von den Zügen erstreckt sich ein Gewerbegebiet.
    Immer wieder donnern Lastwagen zum Eingang einer Schlackefabrik und wirbeln Staubwolken auf. Direkt gegenüber befindet sich ein kleiner Pizzaservice. Deren Mitarbeiter Rachid hat bisher noch nichts von dem Bahnhofsprojekt gehört - und macht sich über die Konsequenzen für das Familienunternehmen Gedanken.
    "Wir sind eher ein Lieferservice, hier sind kaum Selbstabholer. Es wird sich natürlich auf das Geschäft auswirken. Sprich, hier wird ein bisschen mehr los sein, hier werden mehr Fußgänger unterwegs sein. Wenn da Nachfrage vorhanden ist, können wir auch Züge beliefern."
    "Meine Damen und Herren, wir erreichen in wenigen Minuten unseren Endbahnhof Hamburg-Altona..."
    Doch bis dahin werden noch einige Jahre vergehen. Und solange dürfen sich Anwohner wie Fahrgäste der Bahn noch ein wenig am Kopfbahnhof Altona erfreuen.