"Sina" spuckt Messingröhrchen um Messingröhrchen aus: noch unfertige Nadelspitzen für Addi-Rundnadeln, zwölf Millimeter. Die halbautomatische Maschine - von den Mitarbeitern auf den Frauennamen getauft - läuft von morgens bis nachts. In drei Schichten.
"Wir machen am Tag 30.000 bis 40.000 Spitzen, die dann zu Rundstricknadeln verarbeitet werden. Dazukommen noch Häkelnadeln, Strumpfstricknadeln."
Stricknadelhersteller Thomas Selter kommt mit der Produktion kaum hinterher - so groß ist zurzeit die Nachfrage nach seinen Addi-Stricknadeln:
"Man kann schon sagen, dass wir in den letzten 15, 14 Jahren die Produktion etwa versechsfacht haben. Das ist natürlich auch schon ein Wort. Ja, auf dem tiefsten Punkt hatten wir irgendwann 27 Mitarbeiter hier, und jetzt haben wir 110 Mitarbeiter."
Vor 30 Jahren steckte seine kleine Firma aus dem sauerländischen Altena noch in einer tiefen Krise: Keiner wollte Wollpullover tragen, keiner wollte Stricken - und Stricknadeln interessierten erst recht niemanden:
"Wenn eine Frau mit einem Pullover damals auf der Straße rumlief, da wurde die bald mit faulen Eiern beschmissen, weil es völlig out war. Die Frauen haben Blazer getragen und Blusen - und das über Jahre."
Der Umsatz brach um 50 Prozent ein, erzählt der 66-jährige Unternehmer. Nur aufgrund eines zweiten Unternehmenstandbeins - dem Geschäft mit Werbeartikeln - konnte sich der Familienbetrieb damals über Wasser halten. Andere europäische Stricknadelhersteller überlebten den modischen Super-GAU nicht:
"Wir sind heute die Einzigen. Die haben alle nicht überlebt, sind zum Teil verlagert worden ins Ausland, einer. Und die andere haben fast alle Konkurs gemacht, sind zugemacht worden."
"Wir sind heute die Einzigen. Die haben alle nicht überlebt, sind zum Teil verlagert worden ins Ausland, einer. Und die andere haben fast alle Konkurs gemacht, sind zugemacht worden."
Nadeln werden in aller Welt verkauft
"Dieses Gebäude haben wir dazu gekauft, weil wir einfach den Platz oben nicht mehr hatten."
Jetzt sieht es ganz anders aus: Strick ist schick. Deswegen hat Selter gerade ein neues Produktionsgebäude dazugekauft und plant etliche Modernisierungen und Erweiterungen. Der Umsatz der Firma liege bei etwa 8,5 Millionen Euro, erzählt Selter, während er seine Besucher weiter in die Galvanik führt. In einer großen Zentrifuge werden Nadeln und Poliersteinchen langsam umgerührt - für den richtigen Feinschliff:
"Die Oberfläche ist bei Stricknadeln tatsächlich das A und O."
In mehreren Arbeitsschritten wird die Oberfläche der Nadeln bearbeitet, bis sie optimal glatt ist und als Hochpreis-Produkt "Made in Germany" in alle Welt verschickt werden kann: ins europäische Ausland, in die USA, nach Asien, Australien und Neuseeland.
"Gerade in Asien zahlen Leute natürlich nur für ein deutsches Produkt, wenn sie auch eine Qualität bekommen, die besonders ist. Anders geht es ja nicht. Und das müssen wir hier auf die Reihe bekommen. Sonst können wir die deutsche Produktion natürlich einstampfen, weil: Unsere Konkurrenz sitzt in Indien, in Mexiko zum Teil. Und die zahlen ein Zehntel, ein Zwanzigstel von unseren Löhnen hier. Und da müssen wir natürlich gegenhalten. Und das können wir nur über Qualität."
Die Zeiten, in der sich die arme Rentnerin ihren Pullover selber stricken musste, sind vorbei. Heute gilt Handarbeit als Luxus, als Yoga für die Finger, als Wellnessprogramm und Entschleunigung für den gestressten Großstädter.
Schon um 1900 global
"Das ist die siebte Generation."
In der Auslieferung stellt Thomas Selters Tochter gerade Nadeln für die Heimmontage und für den Verkauf zusammen. Die 26-jährige Caroline macht ihren Master in Unternehmensführung und arbeitet hier als Werkstudentin:
"Ich hab schon früher, als ich durchgelaufen bin, die ganzen glänzenden Nadeln und schicken Sachen gesehen und fand das Ganze sehr schön. Und habe vielleicht auch die eine oder andere Nadel zum Spielen mitgenommen. Aber welche Prozesse dahinter stecken, wie lange es dauert, bis so eine Nadel gefertigt ist, verpackt ist, davon hatte ich natürlich keine Ahnung."
Vielleicht übernimmt sie später gemeinsam mit ihrer älteren Schwester den Betrieb. Dann wäre sie Generation "Sieben" im 185 Jahre alten Familienunternehmen:
"Mein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Weiß-Ich-Was-Großvater, der ist aus einem Nachbarort gekommen, der ist nach Altena gekommen und hat in der Industrie, die sich aufbaute, in der Drahtzugindustrie, hat er angefangen zu arbeiten. Und dann war der offensichtlich ein ganz unternehmungsfröhlicher Knopf und wollte etwas Eigenes machen. Und hat dann eben aus dem Draht, den man dann machte, angefangen, Häkelnadeln herzustellen. Und dann hat meinen Ur-Ur-Ur-Großmutter die fertigen Nadeln in die Kiepe gepackt und ist über den Berg nach Iserlohn gegangen und hat dort an Exporteure diese Nadeln verkauft."
Auch schon in frühen Jahren, so verrät ein Korrespondenzbuch, gingen die Addi-Nadeln aus dem Sauerland auf Weltreise:
"Da steht drin, im Jahr 1900: Die Geschäfte gehen nicht so gut, weil der Boxerkrieg in China läuft. Da habe ich gesagt: Hallo, so eine kleine Klitsche hier im Sauerland leidet unter dem Boxerkrieg in China? Also, Globalisierung ist nicht etwas ganz so Neues. Das hat es schon 1900 gegeben."