Birgid Becker: Die elfte Verhandlungsrunde des umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP hat in Miami begonnen. Für uns beobachtet den Verhandlungsmarathon Jule Reimer. Worum geht es in dieser Runde?
Jule Reimer: Es geht unter anderem um Zollsenkungen. Die gegenseitigen Zölle sind für viele Waren bereits sehr niedrig, es gibt aber noch wichtige Ausnahmen, bei Agrarprodukten - zum Beispiel für europäische Käseimporte erheben die USA noch satte Tarife.
Außerdem hat EU-Handelskommissarin Malmström Vorschläge für ein reformiertes Schiedsgericht für Investorenklagen im Gepäck und sie möchte die USA auf hohe Umwelt- und Sozialstandards einschwören. Für TTIP sollen die Standards internationaler Abkommen gelten. Aber zur Erinnerung: Von den 8 Kernarbeitsnormen der ILO haben die USA nur 2 formell angenommen und die meisten internationalen Umweltabkommen haben nie die Zustimmung des US-Kongresses erhalten. Deshalb wirkt Malmströms Vorschlag mehr wohlklingend und als "Nice to have" als dass hier wirklich Verbindlichkeit winkt.
Transparenz bei Schiedsgerichten
Birgid Becker: Besonders umstritten sind ja die geplanten Schiedsgerichte, bei denen befürchtet wird, dass sich Konzerne über nationale Gesetze hinwegsetzen könnten oder diese nach ihrem Willen beeinflussen – unter dem Eindruck der Kritik hat es da Veränderungen gegeben. An welchen Stellen?
Jule Reimer: Die EU-Kommission will, dass die Verfahren künftig im Rahmen von TTIP öffentlich und transparent abgehalten werden. Die Richter sollen öffentlich von EU, USA und Drittstaaten berufen werden. Sie müssen keine Berufsrichter sein, aber eine angemessene Expertise aufweisen und sie dürfen nicht parallel als Kläger bzw. Rechtsanwalt bei anderen Investoren-Staat-Klageverfahren auftreten. Wichtige Neuerung wäre auch, dass Dritte – wie Umweltverbände, Gewerkschaften – intervenieren dürften und es soll eine Berufungsinstanz geben. Noch hat sich die US-Regierung zu all dem nicht geäußert. Die Idee der Europäer dahinter ist, langfristig einen internationalen Handelsgerichtshof etablieren, der für alle Staaten der Welt zuständig ist.
Birgid Becker: Nun wird aber bereits so etwas wie eine Umgehungsvariante offen diskutiert – die Variante, dass sich US-Konzerne nur eine Dependance in Kanada zulegen müssen und dann die alte Schiedsgerichtsform aus dem Abkommen mit Kanada nutzen können. Nun wählt Kanada heute und dieses Thema ist ja sogar im kanadischen Wahlkampf angekommen - was könnte sich da noch ändern?
Jule Reimer: Das Freihandelsabkommen CETA zwischen EU und Kanada liegt seit September 2014 ausgearbeitet vor, aber es ist noch nicht unterschrieben geschweige denn ratifiziert. Das EU-Parlament fordert ganz klar, das Kapitel Schiedsgerichte in CETA nachzuverhandeln, da es zwar in Teilen fortschrittlicher ist als manches ältere Investitionsschutzabkommen, aber in den Grundzügen weiter den alten Mustern folgt. Kanadas Premierminister Stephen Harper und seine konservative Partei werden bei den Parlamentswahlen voraussichtlich gegen die Liberalen und die links-grünen Neuen Demokraten verlieren. Die Stimmung in Kanada ist gegenüber Investor-Staat-Klageverfahren kritisch. Kanada kennt ein solches Verfahren bereits, weil es gemeinsam mit der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (USA, Kanada, Mexiko) 1995 beschlossen wurde. Und Kanadas Regierungen und Bundesstaaten wurden seither häufiger von US-Unternehmen erfolgreich auf hohe Entschädigungszahlungen verklagt.
Europäer beklagen mangelndes US-Engagement
Birgid Becker: Die 11. TTIP-Runde ist also gestartet - mit welcher Laufzeit und mit welchem Anschlusstermin?
Jule Reimer: Bis Freitag wird diesmal in Miami verhandelt. Die Europäer beklagen heftig das mangelnde Engagement der US-Regierung. Die war allerdings bislang mit dem Aushandeln des Freihandelsabkommen in die andere Richtung der Welt beschäftigt, nämlich in Richtung Pazifik. Diese Verhandlungen zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP) u.a mit Australien, Vietnam, Peru sind jetzt abgeschlossen.
Die TTIP-Verhandlungen sind übrigens aufgrund der heftigen Kritik transparenter geworden. Die EU-Kommission stellt ihre Angebote jetzt eine Woche, nachdem sie diese der US-Regierung unterbreitet hat, ins Netz.
Die US-Regierung behandelt ihre eigenen Verhandlungsvorschläge bislang weiterhin sehr restriktiv, Bundestagsabgeordnete zum Beispiel haben keinen Zugang zu den Leseräumen in Berlin, nur Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums. Das Europa-Parlament will darüber hinaus erreichen, dass auch die eigentlichen Protokolle der Verhandlungsrunden demnächst im Netz nachzulesen sind - das allerdings ist noch Zukunftsmusik. Und die nächste TTIP-Verhandlungsrunde ist dann wieder in ein paar Wochen in Europa fällig.