Ein Bild wie auf einer Urlaubspostkarte: Die Silhouette der alten Bergstadt Schwarzenberg wird geprägt von einem trutzigen Renaissanceschloss und der barocken Stadtkirche St. Georgen.
"Ohne eine einzige Säule, mit einer freitragenden, flachen Holzdecke. Eigentlich wie eine fantastische Konzerthalle entworfen. Sie ist lichtdurchflutet, sie hat keinerlei Düsternis. Eine Kirche, die ganz nah bei mir ist…oder ich bei dieser Kirche. Das ist begründet, durch meine Biographie. Weil ich ja hier als Kind groß geworden bin und natürlich sehr viel in der Kirche auch Zeit verbracht habe, meinem Vater registriert habe, in der Kurrende mitgesungen habe, meine erste Bach-Kantate dirigiert habe, mein erstes Brahms-Requiem dirigiert habe – in diesem Raum."
Hans-Christoph Rademann ist der Sohn eines evangelischen Kantors und ganz in der sächsischen Musiktradition verwurzelt. Als Junge schickte man ihn in den weltbekannten Dresdner Kreuzchor. Sich dort einzugewöhnen fiel ihm anfangs nicht leicht, Stichwort Heimweh.
"Liegt vielleicht auch, wenn man hier in Schwarzenberg die Stadt anschaut, aus dem herrlichen Umfeld, aus dem ich gekommen war, schöne behütete Kindheit hier im Erzgebirge."
Vom Chorknaben zum ambitionierten Chorleiter
Durch die Ausbildung im Kreuzchor entdeckte Hans-Christoph Rademann sein Faible für Chorleitung. Nach Abitur und Armeezeit studierte er das Fach an der Dresdner Musikhochschule. Schon während dieser Ausbildung sammelte er interessierte Mitstudierende und gründete den "Dresdner Kammerchor", den er bis heute leitet. Mit diesem Ensemble hat Hans-Christoph Rademann zahlreiche Konzerte, Rundfunk- und CD-Produktionen gemacht. In Zusammenarbeit mit dem Mitteldeutschen Rundfunk spielt das Ensemble derzeit das gesamte Oeuvre von Heinrich Schütz ein. Die umfangreiche Edition wird im kommenden Jahr abgeschlossen sein.
Musik: Schütz, Geistliche Chormusik
In den 2000er Jahren leitete Hans-Christoph Rademann zunächst den Chor des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg und später in Berlin den RIAS-Kammerchor. 2013 berief man ihn schließlich zum künstlerischen Leiter der Stuttgarter Bachakademie, als Nachfolger des Gründers und langjährigen Leiters Helmuth Rilling. Auch wenn er seinen Vorgänger als Künstler und Musikorganisator überaus schätzt, dessen Philosophie, dass nämlich Bachs Musik auch mit modernen Instrumenten authentisch aufgeführt werden kann, teilt er nicht.
"Wir wollen ein Klangbild auch in Stuttgart erschaffen, dass man so umreißen könnte: als "mitteldeutschen Bach-Sound". Dass das jetzt in Stuttgart stattfindet, hängt einfach auch mit den ganz fantastischen Möglichkeiten zusammen, die es eben in Stuttgart gibt. Dazu gehört natürlich auch ein finanzielles Hinterland und viele Helfer, die eben auch der Bachakademie ihr Geld zur Verfügung stellen."
Barockes Klangideal für Stuttgarter Bachakademie
"Hans-Christoph Rademann, das weiß man eben, welches Klangideal er hat und pflegt…"
…sagt der Dramaturg der Bachakademie Henning Bey.
"Man hat ihn auch nach Stuttgart wirklich geholt, also er hat sich nicht beworben, sondern man hat ihn auch hergebeten. D.h. man wußte auch, wenn man ihn als Nachfolger von Helmuth Rilling herholt, dass er Dinge ändern wird natürlich."
Seit Ende Juli gibt es nun die beiden Ensembles "Gächinger Kantorei" und "Bach-Collegium Stuttgart" nicht mehr. Unter dem Namen "Gaechinger Cantorey" - in barocker Schreibweise mit großem "C" am Anfang und "e-y" am Schluss – hat Hans-Christoph Rademann ein neues Ensemble formiert, bestehend aus einem Kammerchor und einem Orchester, das auf historischen Instrumenten in adäquater Rhetorik spielt. Betrachtet man den Konsens in der gegenwärtigen Bach-Interpretation, der ja auf wissenschaftlich gesicherten Quellen beruht, dann wird klar: Dieser Schritt war notwendig und überfällig.
"Ich hab ein übergeordnetes Ziel allem vorangestellt, daß ich eben die Bachakademie jetzt zeitgemäß aufstellen will, auch für die Zukunft als ein Bildungsinstitut. Jetzt sind viele internationale Spitzenleute im Orchester, namentlich aus Großbritannien, um qualitätsmäßig eben salonfähig zu sein, bzw. konkurrenzfähig von Anfang an."
Musik: Händel, "L´Allegro, il penseroso e il moderato"
Neue Zeit mit neuem Instrument
Nicht mit Bach, sondern amüsanterweise mit einem weltlichen Oratorium von Georg Friedrich Händel war das neue Ensemble "Gaechinger Cantorey" am vergangenen Wochenende erstmals in voller Besetzung zu erleben - und zwar sowohl beim Musikfest Stuttgart als auch beim Musikfest Erzgebirge. Vorgestellt wurde dem Publikum dabei auch die klangliche Basis des neuen Ensembles – eine Truhenorgel. Sie entstand nach dem Vorbild eines Instruments aus der Werkstatt von Gottfried Silbermann, das nur noch in Rudimenten vorhanden ist. Lediglich eine Pfeife und wenige Holzreste haben die Zeitläufe überdauert. Orgelbaumeister Kristian Wegscheider aus Dresden und seinen Mitarbeitern gelang dennoch eine perfekte Rekonstruktion.
"Wir haben wieder Fichtenholz genommen, die Windlade ist Eichenholz. Wir haben bei der Zinnlegierung genommen Zinn und Blei genau in der Zusammensetzung wie diese vorgefundene Pfeife, das sind also 88 Prozent Zinn und knapp 12 Prozent Blei und einige weitere Ingredienzien…"
…die der Meister nicht verrät, Stichwort Firmengeheimnis. Der Klang dieser Pfeifen – und das ist das Besondere – erinnert überhaupt nicht an den einer Truhenorgel, sondern eher an ein richtig großes Kircheninstrument.
"Das ist doch der Klang von Bach! Also das ist doch das, was Bach gehört hat…"
…betont Hans-Christoph Rademann - zur großen Freude von Orgelbaumeister Kristian Wegscheider.
"Also meine Hoffnung ist, dass der Klang dieser kleinen Orgel so als Grundlage für den Orchesterklang einen neuen Impuls in Stuttgart geben wird,"
sagt der Orgelbauer. Und Hans-Christoph Rademann schaut in die Zukunft:
"Nun muss man sehen, wie man die Instrumente dazu ins Verhältnis setzt, dass aus dem Kernklang der Orgel, ergänzt durch weitere in "Anführungszeichen" Register, also Orchesterregister, wieder ein größerer gemeinschaftlicher Klang entworfen werden kann, der vielleicht im Idealfall auch wieder wie ne schöne große Orgel klingt, also das wäre mein Ziel."