"Die Steuereinnahmen werden gigantisch steigen", prophezeit Reiner Holznagel - bis 2018 werde man 100 Milliarden Euro mehr eingenommen haben. Insofern sei jetzt der Zeitpunkt, über eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages im Jahr 2019 zu reden. Im Übrigen sei der Soli inzwischen auch verfassungsrechtlich nicht mehr legitimiert. Wörtlich forderte Holznagel eine "Steuerbremse", um die Belastungen für die Bürger im Zaum zu halten.
Holznagel: kalte Progression sollte abgeschafft werden
Vorwürfe erhob Holznagel gegen die Politik: Sie habe es trotz der steigenden Steuereinnahmen nicht geschafft, mit dem Geld auszukommen. Der Haushalt könne nur durch Einsparungen konsolidiert werden - und hier tue sich die Große Koalition schwer. Wichtig sei es, die kalte Progression abzuschaffen - sie nannte Holznagel eine "Ungerechtigkeit", die sofort abgeschafft gehöre.
Kalte Progression bedeutet, etwas verkürzt formuliert, dass Einkommenszuwächse durch einen höheren Steuertarif teilweise oder ganz aufgezehrt werden. Holznagel stellte klar, dass die Steuern auch dann stiegen, wenn die kalte Progression abgeschafft werde, vermutlich um 3,5 Prozent. Behalte man sie bei, seien es fünf Prozent. Das Minus von 1,5 Prozent sei mehr als vertretbar, auch weil das Geld dann bei den Steuerzahlern bleibe.
Das Interview mit Reiner Holznagel in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler. Schönen guten Tag, Herr Holznagel!
Reiner Holznagel: Guten Tag! Ich grüße Sie.
Heckmann: Der Soli läuft also 2019 aus. Bund, Länder und alle im Bundestag vertretenen Parteien überbieten sich derzeit geradezu mit Vorschlägen, wie der Soli ersetzt, erweitert oder umgestaltet werden kann. Aus Ihrer Sicht ein weiterer Beleg für die Maßlosigkeit der deutschen Politik?
Holznagel: Wenn man so will schon, weil die Steuereinnahmen gigantisch steigen werden. Wir werden in 2018 noch mal 100 Milliarden Euro mehr Steuern eingenommen haben. Das heißt, das werden dann insgesamt 740 Milliarden sein. Insofern wäre es jetzt eigentlich an der Zeit, darüber zu debattieren, dass der Soli tatsächlich 2019 ausläuft und dadurch die Steuerzahler nicht zusätzlich belastet werden.
Heckmann: Aber Tatsache ist ja auch, Herr Holznagel, dass die Schuldenstände der öffentlichen Haushalte insgesamt enorm sind, auch wenn wir im kommenden Jahr eine schwarze Null bei der Neuverschuldung aber nur haben werden. Außerdem enorm der Investitionsstau in der Infrastruktur. Sie wissen, auch die Straßen und Schienen sind in einem desolaten Zustand in Deutschland. Es ist also alles andere als Zeit für Steuersenkungen.
Holznagel: Die Deutschen zahlen insgesamt pro Jahr fast 50 Milliarden Euro an verkehrsbedingten Steuern, beispielsweise über die Kfz-Steuer, oder die Mineralölsteuer. An dieser Stelle zeigt sich, wir haben kein Einnahmeproblem. Die Politik hat seit Jahren dieses Geld zweckentfremdet und eben nicht in die Infrastruktur gesteckt.
Der Soli hat seit 2005 bis 2019 dem Bundesfinanzminister circa 210 Milliarden Euro in die Kassen gespült. Auch dieses Geld hat er nicht komplett in den Osten gesteckt. Er hat circa 50 Milliarden Euro Plus dabei gemacht.
Diese Zahlen machen deutlich, dass wir seit 2005 kontinuierlich steigende Steuereinnahmen haben, aber trotzdem schafft es die Politik nicht, mit diesem Geld auszukommen. Deswegen kann ein Haushalt nur konsolidiert werden, indem man wirklich Einsparmaßnahmen beschließt, aber auch hier tut sich die Große Koalition nicht unbedingt hervor. Im Gegenteil: Seitdem sie am Amtieren ist, werden nur noch Steuermehrausgaben beschlossen, und das ist das Problem. Wir brauchen Einsparungen, damit natürlich die schwarze Null gehalten wird und damit langfristig auch die Steuerzahler entlastet werden.
Heckmann: Sie fordern Einsparungen. Aber mal Hand aufs Herz, Herr Holznagel: Dass der Soli 2019 ersatzlos gestrichen wird, das ist doch eine naive Vorstellung, oder?
Holznagel: Na ja. Ich behaupte nicht, dass das nun sehr naiv ist. Der Soli sollte auf jeden Fall 2019 auslaufen, allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Soli wurde damals eingeführt, weil sogenannte Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt waren. Wir hatten damals gesamte Steuereinnahmen von circa 450 Milliarden Euro. Wir haben heute 640 Milliarden Euro. Das heißt, man kann überhaupt nicht mehr davon sprechen, dass der Solidaritätszuschlag eine verfassungsrechtliche Legitimität hat. Im Gegenteil! Deswegen wird er ja auch in Karlsruhe verhandelt. Insofern sehe ich auch schon als Notmaßnahme der Politik, dass der Soli jetzt wieder in der Diskussion ist.
Aber grundsätzlich müssen wir auch mal die Frage stellen, ob die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland wirklich so hoch sein muss, und da sagen wir Nein. Wir müssen eine Steuerbremse einführen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Steuerbelastung nicht immer endlos steigt.
Heckmann: Es ist zu lesen, dass Wolfgang Schäuble die Gelegenheit bei den Verhandlungen mit den Ländern dazu nutzen will, die Kalte Progression möglicherweise ein wenig abzubauen. Sollte es dazu kommen, könnten Sie sich dann mit der Erhöhung der Einkommenssteuer einverstanden erklären?
Holznagel: Nein, überhaupt nicht. Das wäre ja auch ein fataler Beleg dafür, dass man eine Ungerechtigkeitslücke mit einer Steuererhöhung letzten Endes schließen will. Insofern können wir diesem Vorschlag überhaupt nichts abgewinnen. Die Kalte Progression ist eine Ungerechtigkeit, die sofort abgeschafft werden sollte. Die alte Koalition aus CDU/CSU und FDP hat das ja erkannt, ist damals im Bundesrat gescheitert. Mittlerweile ist es aber auch so, dass die SPD in Form von Sigmar Gabriel auch sagt, dass die Kalte Progression abgeschafft werden soll. Deswegen verstehe ich hier das Zögern und Zaudern nicht. Und wer die Kalte Progression abschafft, der muss letzten Endes natürlich die mittelfristige Finanzplanung ändern. Aber das heißt nicht, dass große Haushaltslöcher entstehen. Wenn die Kalte Progression abgeschafft wird, werden trotzdem die Steuern steigen, insgesamt wahrscheinlich um 3,5 Prozent aus der Einkommenssteuer. Wenn sie beibehalten wird, werden die Steuern um fünf Prozent steigen. Das heißt, wir reden hier über eine Absenkung von 1,5 Prozent. Die ist mehr als vertretbar. Und vor allen Dingen: Das Geld ist ja nicht weg. Es landet da, wo es hingehört, nämlich bei den Steuerzahlern, die dafür hart gearbeitet haben.
Heckmann: Wie sehr vertreten Sie denn aus Ihrer Sicht eigentlich die Interessen der Steuerzahler und der Wähler noch, denn dass die Wähler keine Steuersenkungen mehr erwarten, das hat das Scheitern der FDP ja dokumentiert?
Holznagel: Ich glaube nicht, dass das Scheitern der FDP daran liegt, dass die Wähler keine Steuersenkungen mehr wollen. Im Gegenteil! Die FDP hat Steuersenkungen versprochen, hat sie zum Teil auch durchgeführt, aber alles andere als konsequent kommuniziert und auch nicht nachhaltig. Insofern ist es jetzt wichtig, dass auch jemand weiterhin den Finger in die Wunde legt. Wir haben eine steuerliche Einkommensbelastungsquote, also Steuern und Abgaben insgesamt von über 51,5 Prozent in Deutschland. Das heißt, mehr als die Hälfte unseres Einkommens müssen wir an öffentliche Kassen abführen. Und da finde ich es schon nur mehr recht, dass auch jemand sagt, wir müssen hier eine Steuerbremse einführen. Es kann nicht immer nur so sein, dass noch mehr Steuern abverlangt werden, und das haben ja mittlerweile selbst die Gewerkschaften erkannt, denn auch die Gewerkschaften treten dafür ein, dass die Kalte Progression abgeschafft wird, und insofern sehen wir uns da in guter Gesellschaft. Warum die Politik noch nicht handelt, kann ich nur dahingehend vermuten, dass man Angst hat, insgesamt sich mit der Steuerpolitik wie vielleicht auch die FDP ins Aus zu manövrieren, weil man nicht konsequent genug ist. Wir werden hier weiterhin natürlich auch dafür eintreten, dass Steuerbelastungen in Zukunft nicht weiter zunehmen werden.
Heckmann: Die Diskussion um die Zukunft des Soli-Zuschlages ist in vollem Gange – wir haben gesprochen im Deutschlandfunk mit Reiner Holznagel, dem Präsidenten des Bundes der Steuerzahler. Schönen Dank!
Holznagel: Danke Ihnen!
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