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Heilige Schriften (1/4)
Die Bedeutung des Korans und der Thora

Heilige Schriften sind Texte, denen innerhalb einer Religionsgemeinschaft eine besondere Bedeutung zukommt. Im Judentum und dem Islam werden diese Texte als direkt von Gott offenbart angesehen werden - mit Konsequenzen auch für das alltägliche Leben.

    Koran und Gebetskette
    Der Koran ist die heilige Schrift des Islams. (dpa / picture alliance / Roos Koole)
    Aus der Reihe: Heilige Schriften und ihre Bedeutung im Judentum und im Islam - Teil 1: Der Schriftkanon und die Möglichkeiten der Interpretation
    Welche Möglichkeiten der Interpretation gibt es? Welche Bedeutung haben diese Schriften im Gottesdienst und im alltäglichen Leben? Wie sieht man die Rolle der Erzväter und Propheten? Gibt es so etwas wie ein Konkurrenzdenken unter den Offenbarungsreligionen. Wie stehen das Judentum und der Islam zur Religionsfreiheit?
    - Über diese und ähnliche Fragen diskutiert Rüdiger Achenbach mit Dr. Edna Brocke, jüdische Religionshistorikerin, Gerald Beyrodt, jüdischer Publizist, Serdar Günes, Dozent für Islamwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main, und Abdul Ahmad Rashid, Islamwissenschaftler und Redakteur beim ZDF.
    Rüdiger Achenbach: Bei Heiligen Schriften handelt es sich um Texte, denen innerhalb einer Religionsgemeinschaft eine besondere religiöse Autorität zukommt. Entscheidende Merkmale für Heilige Schriften – aus dem Blick der Religionswissenschaft – sind mythische oder sogar göttliche Herkunft und die Beschränkung auf eine festgelegte Auswahl von Schriften, also auf einen festgelegten Schriftkanon. Ein solcher Kanon ist zum Beispiel die Hebräische Bibel. Frau Brocke, was weiß man über die Entstehung dieses Kanons und welche Inhalte hatte er?
    Edna Brocke: Also, seine Entstehung umfasst einen Zeitraum von circa 1000 Jahren. Und eigentlich ist das Prinzip der Entstehung dieser Schriften so gewesen, dass nie fest war, wo Anfang und wo Ende ist, sondern immer da, wo von der Lebensrealität der Menschen das Hauptinteresse war, wanderte das Zentrum dieser Textsammlung. Erst als sich das Christentum entwickelte oder begann, zu entstehen, wurden diese sehr, sehr vielen Schriften kanonisiert. Das heißt, sie bekamen vorne und hinten einen Deckel. So entstand die Jüdische Bibel oder die Hebräische Bibel, was die Christen das sogenannte Alte Testament nennen.
    Achenbach: Das heißt, man hat also über 1000 Jahre lang Schriften gesammelt. Aber man wird wahrscheinlich nicht alles, was man gesammelt hat, auch festgelegt haben.
    Brocke: Genau. Es ist zu dem Zeitpunkt der Kanonisierung ein bestimmter Teil in diesen Kanon hineingekommen und es sind eine Vielzahl von Texten draußen geblieben, die dann auch eine unterschiedliche Rangordnung erlebt haben. Manche – die nennt man dann Apokryphen, das heißt Auswertige, die eben nicht rein gekommen sind, aber von ihren Inhalten wichtig sind. Zumal das Hauptkriterium bei der Entstehung dieses Kanons war, dass man zwei wesentliche Schwerpunkte in der Auswahl der Texte vorgenommen hat. Der eine Schwerpunkt war die Geschichte des Volkes Israel – also eine historische Dimension, die natürlich auch, heute würden wir sagen, eine nationale Geschichte ist. Und das zweite war die rechtliche Frage: Wie organisiert sich so eine Gruppe von Menschen, also in diesem Fall die Hebräer oder die Judaios oder die Juden, wie organisieren sie ihre Gesellschaft? Deshalb war der zweite Schwerpunkt neben dem historischen die Frage der möglichen Staatlichkeit.
    Achenbach: Sie haben die Hebräische Bibel angesprochen, das, was man im Christentum als Altes Testament bezeichnet. Wie teilt sich diese Hebräische Bibel auf? Auch da gibt es ja unterschiedliche Schriften.
    Brocke: Ich persönlich bevorzuge den Begriff Jüdische Bibel, weil sie ja auch von der Sprache her geprägt ist, natürlich. Aber sie ist ein Konglomerat von Texten, die eine Seinsgemeinschaft und nicht eine Glaubensgemeinschaft einschließt. Das heißt, das Element der Gruppe derer, die dazu gehören, ist nicht immer nur eine freie Entscheidung, sondern es ist einfach eine soziologische, historische, emotionale, ontische Dimension – alles zusammen. Diese Jüdische Bibel besteht eigentlich aus drei Teilen. Der erste Teil dürfte auch den meisten Christen bekannt sein, die sogenannte fünf Bücher Mose. Der mittlere Teil sind die Prophetenbücher und der dritte Teil sind mehr so historische, also die Ketuvim oder auch - Psalmen und so was gehört auch dazu - die spirituellen Teile. Diese drei – darauf hat man ein Kürzel gemacht und das heißt Tanach. Jüdische Bibel ist in der Regel heute in der Moderne bei den meisten Juden als Tanach bekannt.
    Achenbach: Werfen wir einen Blick auf die Schriften im Islam. Hier steht im Zentrum die entscheidende Schrift schlechthin: der Koran. Herr Güneş, was weiß man über die Entstehung des Korans?
    Serdar Güneş: Der Koran ist eine Schrift, die an den Propheten Mohammed ergangen ist, der im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel gelebt hat. Im Gegensatz zu den jüdischen Schriften ist das so, dass der Koran in einem relativ überschaubaren Zeitraum entstanden ist. – in einem Zeitraum von 23 Jahren.
    Achenbach: Das heißt also auch eine Offenbarung in einem Zeitraum von 23 Jahren?
    Güneş: Genau. Das Konzept ist, dass der Koran aus Versen besteht, die an den Propheten Mohammed ergangen sind. Diese Verse können Antworten auf bestimmte Situationen sein, Verbote, auch Gebote beinhalten, die dann später zusammengefasst worden sind zu einem Buch, das wir als Koran kennen.
    Abdul Ahmad Rashid: Man muss noch ergänzen, dass der Koran deshalb eine zentrale Rolle im Islam einnimmt, weil Gott sich hier dem Menschen offenbart hat – nach muslimischer Überzeugung. Es ist ein sehr, sehr wichtiges Buch. Es nimmt eine zentrale Rolle im Islam ein. Es ist vergleichbar im Christentum mit Jesus Christus, wo Gott sich in einem Menschen offenbart hat. Hier hat sich Gott in einer Schrift offenbart.
    Achenbach: Welche anderen bedeutenden Schriften gibt es im Islam?
    Güneş: Also die Gründungsschrift ist natürlich der Koran. Aber daneben gibt es noch andere literarische Gattungen wie die Hadithe. Hadithe sind die vermeintlichen Aussprüche des Propheten Mohammed, die er zu seinen Lebzeiten getätigt hat. Das sind zum Teil Interpretationen von Koranversen, von Situationen. Es sind Reaktionen zum Teil auf bestimmte Situationen.
    Achenbach: Frau Brocke, Sie möchten hierzu etwas sagen?
    Brocke: Ich wollte nur noch mal in Parallele dazu den Begriff Thora ein Stück weit plastischer rüberbringen, denn es gibt Thora in dreierlei Hinsichten. Im engsten Sinne sind es die fünf Bücher Mose, im engen Sinne ist es die ganze Jüdische Bibel Tanach und im weitesten Sinne ist es die schriftliche und die mündliche Thora. Also das, was sie auch eben vom Islam gesagt haben, mit den Auslegungen auch späterer Zeiten nach der Kanonisierung. Und diese drei Elemente heißen alle drei Thora, egal aus welchem Winkel ich schaue und egal welche innerjüdische Position ich einnehme, ob ich jetzt eine sehr orthodoxe Jüdin oder eine agnostische Jüdin bin. Die drei Elemente im engsten Sinne, im engen Sinne und im weiten Sinne sind die Säulen, auf den man diesen Begriff Thora – also die Grundlage Offenbarung am Sinai oder die ganzen Auslegungen miteinbezieht.
    Achenbach: Im ganz engen Sinne würde dann ja bedeuten, die Thora, die zum Beispiel im Gottesdienst eine Rolle spielt, das sind die fünf Bücher Moses.
    Brocke: So ist es. Und das ist dann die Rolle. Die sind ja auch auf den Rollen geschrieben und haben im Gottesdienst nur diese Funktion.
    Gerald Beyrodt: Im jüdischen Gottesdienst eine Thora-Lesung, die wird am wichtigsten genommen, weil die Thora eben vollständig von Anfang bis Ende im jüdischen Gottesdienst vorkommt. Am Anfang des Jahres beginnt man auch mit der Erschaffung der Welt sozusagen. Dann gibt es natürlich noch eine Propheten-Lesung, die kommt aber eben nicht aus der Rolle, sondern da werden nur Auszüge aus den Propheten-Büchern gelesen.
    Achenbach: Wir haben vorhin deutlich gemacht, dass neben den Teilen der schriftlichen Thora es auch eine mündliche Thora gibt. Herr Beyrodt, wie hat man sich diese Kommentar-Bücher vorzustellen?
    Beyrodt: Sie sind in der Spätantike entstanden. Die jüdische Tradition sagt, Mose hat das weitergegeben. Es ist dann von Generation zu Generation weitergegeben worden. Man würde erwarten, dass es jetzt einfach so Gesetzesbücher sind. Es sind vor allem Diskussionen, die man im Talmud findet. Der ist eigentlich auch eher eine kleine Bibliothek als ein Buch, also vielleicht von der Länge her mit einem Brockhaus zu vergleichen. Man findet in der Mitte einer Talmud-Seite die Mischna und darum herum weitere Kommentare. Das heißt, es gibt dann immer mehr Kommentare zum Kommentar zum Kommentar zum Kommentar im Talmud. Der Talmud ist eigentlich das, was dem Judentum bis heute sein Gesicht gibt. Vieles steht in der schriftlichen Thora so gar nicht drin. Wie koscheres Essen aussehen soll, da steht in den fünf Büchern Mose natürlich drin, welche Tiere Juden essen dürfen und welche nicht. Da steht drin, wie man schlachten soll – wie, ich dir gesagt habe – aber wie dieses Schlachten zum Beispiel aussieht oder die Trennung zwischen Milch und Fleisch, das steht da so genau nicht drin.
    Achenbach: Herr Beyrodt, nun wird nach der Tradition Gottes Wort in hebräischer Sprache mitgeteilt. Welche Bedeutung hat das für den Umgang mit der Sprache. Bekommt die Sprache da auch etwas Heiliges, etwas Besonderes?
    Beyrodt: Dass ist jetzt natürlich nicht so, dass alle Juden fließend hebräisch sprechen. Aber selbst die, die es nicht tun, beherrschen bestimmte hebräische Begriffe. Also die Mizwa getan, da hat jemand einen Geur gemacht, einen Übertritt. Häufig sind es die religiösen Wörter, die im jüdischen Alltag dann doch auf Hebräisch gesagt werden, als hebräische Wörter vorkommen. Häufig sind eben diese religiösen Wörter auch gar nicht so gut übersetzbar. Da muss man dann doch immer ein bisschen länger reden, bis man wirklich in Deutschen erklärt hat, was gemeint ist. Teschuwa wäre eigentlich Buße, aber da denkt man in Deutschen dann so ans Büßerhemd und so etwas. Das ist im Judentum eher nicht gemeint, es ist eher eine Form von Rückkehr. Das heißt, Judentum verstehen kann man eigentlich am besten mindestens mit diesen hebräischen religiösen Kernbegriffen.
    Brocke: Über Jahrhunderte war die hebräischen Sprache die, die nur für den Gottesdienst vorgesehen war. Und den Alltag hat man mit irgendeiner Landessprache – je nachdem, wo man lebte – bestritten, in den sehr viele hebräischen Wörter Eingang gefunden haben. So ist zum Beispiel das Jiddische in Osteuropa entstanden. Oder das Ladino in den spanisch sprechenden Ländern. Sehr viele slawische Wörter sind ins Jiddische, und sehr viele arabische Wörter sind ins Hebräische reingekommen – je nachdem, wo die Juden gelebt haben. Aber sie hielten das Hebräische wirklich nur für gottesdienstliche Zwecke oder für das Studium natürlich. Insofern ist Hebräisch bis zur Wiederbelebung im 19. Jahrhundert ausschließlich im liturgischen Kontext verwendet worden.
    Achenbach: Wie sieht es im Islam aus? Das Wort Gottes ergeht in der arabischen Sprache. Welche Bedeutung hat die arabische Sprache für den Islam?
    Güneş: Die arabische Sprache ist natürlich auch Liturgie-Sprache. Sowohl beim Gebet, beim Bittgebet oder auch, wenn es öffentlich zelebriert wird, spielt das Arabisch eine große Rolle.
    Achenbach: Kann jeder, der irgendeine arabische Sprache spricht, den Koran lesen, Herr Rashid?
    Rashid: Er kann ihn lesen, aber es kann ihn nicht unbedingt verstehen. Ich habe es selber erlebt, als ich in den 80er-Jahren in Ägypten gelebt habe, dass ich dann arabische Muslime nach Bedeutungen von Koranversen gefragt habe und die mich angeguckt haben und gesagt haben: Oh, die verstehen wir selber manchmal nicht. In der Zwischenzeit habe ich es verstanden, weil das Arabisch, das im Koran niedergelegt ist, festgelegt ist, ist das klassische Arabisch, das zur damaligen Zeit auf der Arabischen Halbinsel existiert hat, gesprochen wurde.
    Achenbach: Im 7. Jahrhundert ...
    Rashid: Ja, im 7. Jahrhundert. Es ist so, dass Arabisch auch deshalb wichtig ist, weil es halt eine göttliche Sprache ist. Deshalb ist es für viele Muslime unabdingbar, Arabisch zu lernen, um den Koran zu verstehen. Viele Muslime wehren sich auch gegen Übersetzungen, weil sie sagen, der Sinn, der wahre Sinn, der göttliche Sinn kann nur durch die arabische Sprache erschlossen werden und geht durch die Übersetzung verloren. Und man muss auch sagen, die vielen Übersetzungen, die es vom Koran allein im Deutschen gibt, zeigen auch den Zeitgeist der damaligen Zeit wieder. Es liegt an bestimmten Schlüsselwörtern, die auf Arabisch im Koran existieren, wie sie übersetzt worden sind.
    Achenbach: Es gibt Koran-Ausgaben, die sind berühmt und auch bekannt für ihre künstlerische Gestaltung. Das hat Tradition im Islam. Wie ist das zustande gekommen? Schrift als Kunst.
    Güneş: Ja, man kennt das natürlich unter Kalligrafie. Es ist jetzt nicht vergleichbar mit heute, wo jeder natürlich eine Koranausgabe hat. Sie können sich heute den Koran als Taschenbuchausgabe kaufen. Früher wurde das sehr aufwendig hergestellt. Das war zum Teil auch ein Statussymbol und das konnten sich wirklich nur auch Leute leisten, die auch Geld hatten. Und insofern war auch die kunstvolle Erarbeitung oder auch Gestaltung des Korans ein Impuls selbst, dass man sehr ausgeschmückte Koran-Exemplare hervorgebracht hat, die man zum Beispiel in vielen Bibliotheken auch bewundern kann – oder auch in Museen.
    Rashid: Ein wichtiger Grund war natürlich auch das Bilderverbot, das sich im Islam im sakralen Bereich ziemlich schnell durchgesetzt hat. Dass man halt dann auf die Schrift gegangen ist und hat mit der Schrift begonnen, sie künstlerisch auszuschmücken, Kalligrafien zu entwerfen. Das hat sich dann auch gerade im Bereich des Korans widergespiegelt, weil das natürlich die wichtigste Schrift für die Muslime ist.
    Achenbach: Wie sieht das mit der Thora-Rolle im Gottesdienst aus, Herr Beyrodt. Gibt es da auch so etwas die Kalligrafie?
    Beyrodt: Kalligrafie in dem verzierenden Sinn eher nicht. Die Thora-Rolle wird sehr wichtig genommen, wegen der Lesbarkeit wird es jetzt nicht verziert. Sie wird insofern sehr wichtig genommen, als auf Pergamente geschrieben wird, es einen eigenen Beruf gibt – den Sopher, den Schreiber, der das auf diese Pergamente von koscheren Tieren draufschreibt. Es ist üblich, dass dieser Sepher vor dem Schreiben auch in die Mikwe geht, ins jüdische Tauchbad. Er darf den Text nicht aus dem Gedächtnis schreiben, sondern er schreibt ihn von einer anderen Thora-Rolle ab. Also, sie wird sehr, sehr wichtig genommen.
    Achenbach: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist genau festgelegt, wer darf überhaupt eine solche Kopie der Thora anfertigen.
    Brocke: Es ist ein eigenständiger Beruf. Und wenn er zum Beispiel das ganze Blatt fertig geschrieben hat und er sich in dem letzten Wort unten geirrt hat, er hat sich vertan, dann muss das ganze Blatt beerdigt werden mit allen anderen jüdischen Texten, wo der Gottesname vorkommt. Kann er nicht einfach nur in den Müllcontainer geworfen werden. Er kann es auch nicht korrigieren oder rauskratzen oder so, sondern er muss das ganze Blatt neu schreiben.
    Beyrodt: Das zeigt auch noch mal, wie wichtig den Juden die Thora und alles, wo auf Hebräisch Gottesnamen draufstehen, eben nehmen, dass das nicht weggeschmissen, sondern beerdigt wird - wie ein Mensch.
    Achenbach: Wie sieht das im Islam aus?
    Rashid: Das ist genauso. Der Koran oder Dokumente, auf denen Verse des Korans geschrieben stehen, die kann man nicht einfach so wegwerfen. Da gibt es spezielle Methoden – am besten ist es, diese zu verbrennen. Aber man darf sie nicht einfach achtlos in den Müll werfen, weil man halt der Überzeugung ist, dass das göttliche Wort darauf geschrieben ist. Deshalb finden Sie das auch nicht in der islamischen Welt, dass Leute es einfach achtlos wegschmeißen. Verbrennen oder es in ein fließendes Gewässer werfen oder sogar – wie Herr Beyrodt es gesagt hat, beerdigen – es gibt verschiedene Methoden, aber nicht einfach so achtlos wegwerfen.
    Achenbach: Gilt das für jede Übersetzung?
    Rashid: Das gilt für die Originalverse des Korans, die auf Arabisch geschrieben sind. Bei Übersetzungen sieht man das lockerer.
    Brocke: Im Judentum gilt das für alle Dokumente, auf denen der göttliche Name vorkommt. Das sind auch Verträge, die zwei Leute untereinander gemacht haben. Wenn das orthodoxe Juden sind, dann steht oben drüber: mit der Hilfe Gottes. Dann muss so ein Dokument beerdigt werden, kann nicht verbrannt oder ins Wasser oder so – geht bei uns nicht. Aber man sammelt in der Gemeinde, da gibt es einen eigenen Schrank oder Ort – genannt Geniza – wo all diese Dokumente über die Jahre aufbewahrt werden. Es sind auch Gebetsbücher und, und, und. Dann kommt ein Zeitpunkt, wo man sagt: Jetzt ist so viel in der Geniza. Dann wird eine Zeremonie veranstaltet – auf dem jüdischen Friedhof – und all diese Dokumente, Bücher, Zettel und was da ist, wird beerdigt.
    Achenbach: Wird der Ort gekennzeichnet, wo man beerdigt – mit einem Stein oder "Hier liegt die Thora"
    Brocke: Nein. Wir haben Kindergräber. Wir haben Gräber von Leuten, die sich das Leben genommen haben – jedenfalls in vielen Gemeinden gibt es das. An diesen gesonderten Flächen – da kommt auch die Geniza hin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.