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Heinrich Mann - Félix Bertaux. Briefwechsel 1922-1948

Als die deutsche Rechte mit der eben zitierten Rede vom "Diktat von Versailles" an der Konservierung des Feindbildes Frankreich arbeitete und den neuen Krieg vorbereitete, entwickelte sich zwischen einem jungen französischen Germanisten und einem deutschen Schriftsteller eine bemerkenswerte Freundschaft, die auf persönlicher Sympathie gründete, aber nichts Geringeres im Sinn hatte als die Aussöhnung zwischen den Erbfeinden. Heinrich Mann und Felix Bertaux sahen schon in den zwanziger Jahren die deutsch-französische Zusammenarbeit als notwendige Voraussetzung eines vereinten Europas. Der Frankfurter Fischer Verlag hat nun den Briefwechsel zwischen Heinrich Mann und Felix Bertaux aus den Jahren 1922 - 1948 veröffentlicht. Hören Sie die Rezension von Agnes Hüfner.

Agnes Hüfner |
    Als die deutsche Rechte mit der eben zitierten Rede vom "Diktat von Versailles" an der Konservierung des Feindbildes Frankreich arbeitete und den neuen Krieg vorbereitete, entwickelte sich zwischen einem jungen französischen Germanisten und einem deutschen Schriftsteller eine bemerkenswerte Freundschaft, die auf persönlicher Sympathie gründete, aber nichts Geringeres im Sinn hatte als die Aussöhnung zwischen den Erbfeinden. Heinrich Mann und Felix Bertaux sahen schon in den zwanziger Jahren die deutsch-französische Zusammenarbeit als notwendige Voraussetzung eines vereinten Europas. Der Frankfurter Fischer Verlag hat nun den Briefwechsel zwischen Heinrich Mann und Felix Bertaux aus den Jahren 1922 - 1948 veröffentlicht. Hören Sie die Rezension von Agnes Hüfner.

    "In meinem dritten Kapitel konnte ich meine eigenen Erfahrungen als Exilant verwenden, vorgebend, Philippe Duplessis-Mornay, den Berater des Königs von Navarra, nach England zu begleiten, das er liebt, wo er indessen, genau genommen, nur einen einzigen Freund findet, der diesen Namen verdient. Wenn Sie später diese Seiten lesen werden, möchte ich, dass Sie in ihnen ein verborgenes Denkmal entdecken, das ihrer Treue und meiner Dankbarkeit gewidmet ist.

    Der Brief ist auf den 31. Dezember 1936 datiert. Heinrich Mann sitzt in Nizza und arbeitet am zweiten Band seines Romanwerks über Heinrich IV. von Bourbon, den guten König Henri Quatre - gut genannt, weil er den Bürgerkrieg in Frankreich beendete, das Land einte, die Gewissensfreiheit erkämpfte und dafür stritt, dass jeder Franzose am Sonntag sein Huhn im Topf habe. Der erste Band, "Die Jugend des Königs Henri Quatre", liegt bereits gedruckt vor, Band zwei, "Die Vollendung des Königs Henri Quatre", wird zwei Jahre später erscheinen. Den im dritten Kapitel des Königsromans gewürdigten Freund Félix Bertaux kennt Heinrich Mann seit Beginn der zwanziger Jahre. In seiner Autobiographie "Ein Zeitalter wird besichtigt" erinnert er sich:

    Der Anfang war, dass er mir nach München sein "Panorama de la littérature allemande" schickte. Über meine Zeitgenossen und mich gibt es nichts, das so sicher träfe. Dann folgte die Einladung, die höchst ungewöhnlich und für beide Teile ein Wagnis war. Wir schrieben 1923 ... In München stand auf Tür und Fenster der Läden zu lesen: "An Franzosen wird nicht verkauft", aber kein Franzose beherzigte es, sie waren nicht vorhanden ... Bertaux, der mich noch niemals gesehen hatte, wählte mich als den ersten deutschen Teilnehmer an den Entretiens de Pontigny.

    Das jährliche Treffen von Pontigny vereinte Autoren, Wissenschaftler und Diplomaten, denen der Zustand Europas nach dem Ersten Weltkrieg zu denken gab. Félix Bertaux wusste, wen er einlud. Er kannte Heinrich Manns literarische Werke, dessen Abrechnung mit dem Kaiserreich im "Untertan", kannte die kulturpolitischen Aufsätze "Voltaire-Goethe", "Geist und Tat" und den großen Essay über Zola, den Romancier und Herausforderer des Staates in der Dreyfus-Affäre - Manns Bekenntnis gegen den imperialistischen Krieg und die "Herrenkaste". Heinrich Mann hatte zunächst gezögert, die Einladung anzunehmen, er genierte sich, so kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als Deutscher in Frankreich aufzutreten. Die Verbreitung seiner Schriften in Frankreich begrüßte er dagegen ausdrücklich.

    Ich hoffe, dass Sie unserer gemeinsamen Sache, der Verständigung, damit nützen werden. Mir liegt weit mehr daran zu wirken, als bewundert zu werden. ... Schon längst ist es meine Überzeugung, dass, im Geistigen wie im Materiellen, die Länder Europas, besonders aber Frankreich und Deutschland, sich annähern und ausgleichen müssen, wenn unser Erdtheil lebendig erhalten werden soll.

    Von Anfang an ist das Verhältnis der Briefpartner zweckdienlich, stabile Grundlage für das sich rasch entwickelnde Vertrauen und die lebenslang anhaltende enge Freundschaft. Für Mann wie Bertaux heißt Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland in erster Linie Kampf gegen den Nationalismus. Bertaux erhofft sich von der Propagierung der Schriften Manns eine heilsame Wirkung gegen den Einfluss der französischen Rechten. Für Heinrich Mann wiederum ist Frankreich das Land des siècle des lumières, der Aufklärung, und der Revolution von 1789, eine Tradition, die verbürgt. Dabei übersieht er die nationalistischen Tendenzen im verehrten Nachbarland nicht. 1925, noch bevor in Locarno der erste Schritt zur Entspannung zwischen den kriegführenden Ländern unternommen wird, schreibt er:

    Über Nationalität wird jetzt von jeder einzelnen Nation auffallend viel nachgedacht und gestritten. Schriftsteller, die für "europäisch", daher nicht völlig deutsch gelten, bekommen schlechte Noten von den Mittelmäßigkeiten, die allerdings deutsch sind. – Dies führt weit. Ich habe mir im Allgemeinen zum Gesetz gemacht, das Nationale auf sich beruhen zu lassen. Mich bringt es nicht weiter.

    Der Briefwechsel enthält gut 200 Briefe Heinrich Manns, aber nur 39 Briefe von Félix Bertaux. Das Gros gilt als verloren. Doch lässt sich aus Manns Antworten die gesellschaftspolitische Haltung Bertauxs klar erschließen. Zudem haben die Herausgeber im Anhang Bertauxs Aufsätze über Heinrich Mann veröffentlicht, Belege dafür, dass hier, wie Bertaux es nennen wird, "Geistesverwandte zueinander fanden". In einem Aufsatz für die Revue européenne beschrieb Bertaux Heinrich Mann 1924 als Wegbereiter und Erzieher eines schwer zur Vernunft zu bringenden Volkes.

    Der Durchschnittsdeutsche ... bleibt im Grunde seines Wesens impulsiv, zu Einbildungen neigend, eine leichte Beute für Herrscher, die ihn unter Ausnutzung seiner Triebkräfte, Vorstellungen und kollektiven Trugbilder zu führen verstehen. ... In einem Land, in dem es früher immer nur ein öffentliches Gefühl gab, beginnt sich nun auch eine öffentliche Meinung zu bilden. ... Das ist Heinrich Mann zu verdanken, dessen Appelle verstanden wurden wie die Zolas während der Dreyfus-Affäre.

    Die Geistesverwandtschaft führt schon bald nach Beginn der Korrespondenz zu engem Vertrauen. Bereits 1923 schreibt Mann an Bertaux:

    Vor allem bevollmächtige ich Sie, meinen Artikel ganz so zu kürzen, wie Sie es für geboten halten.

    : Mann, der ebenso wie der Partner daran interessiert ist, dass seine Artikel und seine Literatur in Frankreich erscheinen, vertraut Bertaux in allen Angelegenheiten der Veröffentlichung. Wiederholt bedankt er sich für Informationen über die Lage in Frankreich. Schließlich, mit Manns Übersiedlung aus Nazideutschland nach Frankreich im Jahr 1933, wird Bertaux Berater, Korrektor und Lektor bei der sechs Jahre währenden Arbeit am "Henri Quatre", und er wird der Finanzverwalter des in Deutschland entrechteten Emigranten. Die Grenze zwischen dem Literaten und dem Literaturvermittler achten beide. Das stärkt die Freundschaft. In die Zuneigung mischt sich Fürsorge. Zwischen 1933 und 1940, als Félix Bertaux an seinem Frankreich verzweifelt, ist es Heinrich Mann, der ihm immer wieder Mut zuspricht, wobei er, wie viele Emigranten, der Illusion anhängt, das deutsche Volk werde Hitler nicht lange tragen. 1938 schreibt Mann:

    Endlich bekennen Sie sich zu jenem Optimismus trotz alledem, ohne den wir uns tatsächlich nur noch der völligen Auflösung überlassen würden. Alles hängt von der Stimmung ab, die es wieder zu heben gilt, soweit wir es vermögen. ... So oft es mir ermöglicht wird, trete ich dem leider verbreiteten Eindruck entgegen, die faschistischen Staaten würden immer stärker. ... Sie sind unfähig, Krieg zu führen, obwohl ihr System selbst sie dahin treibt.

    Mehr als einmal erinnert er Bertaux an Voltaires Aufforderung "Bestellen wir unseren Garten", mit dem der Roman "Candide oder Der Optimismus" endet. 1940 - Heinrich Mann hat sich aus dem besetzten Frankreich in die USA gerettet - bricht die Korrespondenz ab. 1945 gelingt es Bertaux über Thomas Mann, den Verschollenen in Los Angeles aufzufinden. Nun ist es Félix Bertaux, der Heinrich Mann, den der Freitod seiner Frau im Jahr 1944 erschüttert, Mut zuspricht, er drängt ihn, nach Frankreich zurückzukehren. Heinrich Mann antwortet:

    Die Rückkehr nach Frankreich ist mir versagt. Ich könnte vom gewöhnlichen Volk nicht verlangen, dass es zu unterscheiden vermag, wer ich bin. Die Scham hält mich ab, und schlimmer noch, es erschiene mir ungehörig und peinigend taktlos, zurückzukehren ohne die, die ich mitnahm und nicht wiederbringe."

    Der Briefwechsel Heinrich Mann - Félix Bertaux endet 1948 mit Bertauxs Tod. Im dritten Kapitel der "Vollendung des Königs Henri Quatre", dem Denkmal für seinen Freund, schreibt Heinrich Mann über die Begegnung zwischen Philippe Mornay, dem Gesandten Henri Quatre’s, und seinem englischen Freund Lord Burghley unter Umständen, die sie entzweien müssten:

    Lange betrachteten sie ihre Gesichter. Als Vorwand sagten sie wohl: 'Du bist unverändert.’ Ihr wahrer Grund war indessen, dass sie einander gern in die Augen sahen.

    Der Briefwechsel Heinrich Mann – Félix Bertaux ist ein unerschöpfliches Dokument. Er ist Zeitgeschichte, Werkgeschichte und die Geschichte einer innigen Freundschaft.

    Agnes Hüfner über: Heinrich Mann - Félix Bertaux. Briefwechsel 1922-1948. Der mit einem Vorwort von Pierre Bertraux versehene Band ist im Frankfurter S. Fischer Verlag erschienen. 799 Seiten, € 49.90