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Henlein-Taschenuhr
Das traurige Ende eines Mythos'

Es ist eine Entzauberung: Lange galt eine Taschenuhr in Nürnberg als die älteste, gefertigt vom Uhrmacher Peter Henlein im Jahr 1510. Jetzt stellte ein Team von Kunsttechnologen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg fest, dass die Uhr zusammengestückelt wurde. Sie ist "ein Kompilat des Historismus", wie Teammitglied Thomas Eser berichtet.

Thomas Esser im Gespräch mit Karin Fischer |
    Statue von Peter Heinlein, Erfinder der Taschenuhr, in Nürnberg
    Statue von Peter Heinlein, Erfinder der Taschenuhr, in Nürnberg (imago /theissen)
    Karin Fischer: Moderne Technik lässt liebgewonnene Mythen bröckeln. Teure Rembrandts stammen plötzlich "nur" noch aus seiner Werkstatt. Moderne Klassiker werden als gefälscht entlarvt, weil sich die Zusammensetzung der Farben nachweislich immer mal wieder ändert.
    Im seit gestern vorliegenden Fall einer Entzauberung mussten im Wortsinne viele Rädchen ineinander greifen, bis dieser Fall klar war: Die älteste erhaltene Taschenuhr der Welt – der Uhrmacher Peter Henlein soll sie 1510 in Nürnberg gefertigt haben - muss ihren Ehrentitel aufgeben. Herausgefunden hat das ein Team von Kunsttechnologen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, das die sogenannte Henlein-Uhr 1897 übrigens im Kunsthandel erworben hatte, zusammen mit Uhrmachern und Experten für alte Uhren, die jetzt festgestellt haben: Diese Uhr ist nicht alt, das Räderwerk beweist es.
    Frage an Thomas Eser, den Leiter der Sammlung Wissenschaftliche Instrumente und Medizingeschichte, Waffen und Jagdkultur am Museum in Nürnberg: Wie genau sind Sie hinter das Geheimnis dieser Uhr gekommen?
    Thomas Eser: Nun, wir haben zwei Prinzipien walten lassen: Zunächst ein Mehr-Augen-Prinzip, könnte man es nennen. Wir haben mit mehreren Fachleuten draufgeguckt. Und wir haben moderne Röntgen-Technologie eingesetzt, um uns vom Uhrwerk ganz genau ein Bild machen zu können, und dabei wurde festgestellt, dass dieses Uhrwerk, so wie es jetzt überliefert ist, nie lange Zeit gegangen ist. Es ist zusammengestückelt, könnte man sagen, aus Bauteilen alter Herkunft, die durchaus noch aus dem 16. Jahrhundert stammen können, aber auch neuer Herkunft, wie man sie im Uhrenhandel im 19. Jahrhundert beispielsweise aus englischer Produktion zur Verfügung hatte. Die Uhr ist also ein Kompilat des Historismus.
    Fischer: Und die Inschrift auf der Unterseite des Deckels - es handelt sich bei dieser Uhr um eine Art Uhr in einer Dose; so sahen früher Taschenuhren aus - war einfach gefälscht?
    Eser: Bei der Inschrift ist der Fälschungsverdacht sogar am deutlichsten zu erhärten, denn diese gravierte Inschrift liegt über bereits bestehenden Kratzern. Dieser Deckel war schon ziemlich lange in Gebrauch gewesen, auch schon ramponiert, als irgendjemand diese spektakuläre Behauptung auf die Uhr aufbrachte, sie sei von Peter Henlein angefertigt worden. Henlein selber hätte natürlich in einen perfekten neuen Deckel eingraviert und nicht in einen ramponierten.
    Fischer: Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung, dass der Streit schon länger währt, mindestens zehn Jahre. Warum haben Sie erst jetzt diese Prinzipien angewandt?
    "Henlein-Verehrung seit Ende des 19. Jahrhunderts"
    Eser: Das hat zwei Grunde. Zunächst: In der Fachwelt war die Uhr seit ihrer Erwerbung im späten 19. Jahrhundert eigentlich immer umstritten. In der populären Wissenskultur, also in der Schulbildung, in Henlein-Romanen, da war sie natürlich die Materialisierung für diesen Erfindungsmoment, als die Uhr in die Tasche wanderte. Und das Museum wollte nicht unbedingt in den vergangenen Jahrzehnten, könnte man sagen, ganz auf diesen Superlativ verzichten. Das ist ja auch nachvollziehbar. Wir haben halt heute diese Technologien, diese neuen Technologien, die uns im vergleichenden Sehen die Analysen erlauben. Deswegen jetzt der Schritt, mal rauszufinden, wie sich es wirklich mit ihr verhält.
    Fischer: Peter Henlein - Sie haben das erwähnt - gilt als Erfinder der Taschenuhr und ist als solcher nichts weniger als ein Mythos geworden. Veit Harlan hat in "Das unsterbliche Herz" diesem Technikgenie und Uhrenmacher Henlein ein Denkmal gesetzt, natürlich nicht ohne deutschtümelnde Untertöne. Wo in der Kulturgeschichte finden sich noch solche Spuren?
    Eser: Die Henlein-Verehrung setzte Ende des 19. Jahrhunderts ein, als die deutsche Uhrenindustrie sich im Vergleich zur französischen und englischen fragte, ob es denn so eine Art Pionier oder Patron gäbe, der ganz am Anfang dieser wichtigen Industrie steht, und da kam man dann auf den quellenmäßig ganz gut belegten Peter Henlein und hat ihn ganz offensiv zum Urvater aller Uhrmacher Deutschlands erklärt. Man hat ihm Denkmäler gesetzt, es gab von Veit Harlans Vater bereits ein Theaterstück über den Erfindungsmoment der Taschenuhr und Harlan hat dann schließlich 1938 ganz dramatisch, aber natürlich völlig fiktiv die letzten Wochen des Uhrmachers Peter Henlein beschrieben, der dort sterbend die Taschenuhr der Welt schenkt.
    Fischer: Nürnberg hat mit Albrecht Dürer, mit der Burg und mit der Nazi-Vergangenheit Deutsches ja wirklich genug. Wie behandeln Sie jetzt das traurige Ende dieses Mythos von der ältesten Taschenuhr der Welt?
    Eser: Ich will sie ganz offensiv weiter ausstellen bei uns in der Schausammlung. Es gibt zurzeit international in den Museen den Trend, nicht mehr nur sogenannte Originale mit vermeintlich hundertprozentiger Authentizität in den Vitrinen zu lassen, sondern auch Stücke, die eine etwas krumme Biografie haben. Da würde ich die Uhr jetzt mal dazuzählen. Das Uhrwerk, das ist wie gesagt ein Kompilat, das man auch als historistisches, gut gemeintes Konstrukt einer Uhr betrachten kann. Das muss man in der Ausstellung natürlich entsprechend beschreiben. Der Mythos von der ältesten Taschenuhr ist gestorben, aber das Stück selber hat durchaus eine ausstellenswerte Geschichte.
    Fischer: Dank an Thomas Eser für diese Erläuterungen zur sogenannten Henlein-Uhr in Nürnberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.