Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat ihre Kritik am bevorstehenden dritten Hilfspaket bekräftigt. "Ich glaube, dass das jetzt noch nicht mal den Grexit wirklich verhindert, sondern nur herausschiebt", sagte sie im Deutschlandfunk. In anderthalb bis zwei Jahren müssten sich die Geldgeber und Athen voraussichtlich wieder zusammensetzen. Die Probleme in Griechenland seien dann aber noch größer als heute. Wagenknecht betonte, eine gescheiterte Politik der Kürzungen werde fortgesetzt. Nötig seien Investitionen und eine Entflechtung der griechischen Wirtschaft.
Das Interview in voller Länge
Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Sahra Wagenknecht, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Frau Wagenknecht.
Sahra Wagenknecht: Guten Morgen.
Armbrüster: Frau Wagenknecht, Sie haben immer gegen diese Verhandlungen mit Griechenland votiert. Alexis Tsipras will es aber jetzt. Er will dieses Hilfspaket auch durch sein Parlament bringen. Wie enttäuscht sind Sie von ihm?
Wagenknecht: Na gut, von Wollen kann da ja keine Rede sein. Er hat ja selber gesagt, er hält das für eine falsche Politik, und das ist es auch. Jeder weiß, jeder, der ein Mindestmaß an ökonomischem Sachverstand hat, dass dieses Paket jetzt überhaupt kein Problem löst. Das ist die Fortsetzung der gescheiterten Politik der Kürzungen. Das hat in den letzten Jahren nur dazu geführt, dass die Wirtschaft immer tiefer in die Krise gerutscht ist, dass die Arbeitslosigkeit in Griechenland gestiegen ist und dass die Schulden immer weiter gewachsen sind, und genau das wird uns auch in der Zukunft bevorstehen.
Der IWF hat schon recht, wenn er sagt, dass die Schuldenquote dann bald bei 200 Prozent liegen wird, und sehr wahrscheinlich werden selbst diese riesigen 86 Milliarden, über die wir jetzt reden, noch nicht mal für drei Jahre reichen, sondern wir werden uns vielleicht in anderthalb oder zwei Jahren dann alle wiedersehen und es wird die gleiche Situation sein wie jetzt: Das Geld ist weg, die Probleme sind noch größer, alle werden wieder über Grexit diskutieren. So kann man doch keine Politik machen.
Armbrüster: Wir können aber auch festhalten: Alexis Tsipras hat sein zentrales Wahlversprechen gebrochen. Das hieß ja, keine weiteren Hilfsprogramme mit der EU mehr.
Wagenknecht: Ja, die griechische Regierung war natürlich in einer schwierigen Situation. Sie hatten ja im Grunde ..., oder was die Bevölkerung möchte, ist eigentlich zweierlei. Sie haben zum einen - das hat ja das Referendum sehr deutlich gesagt - mit über 60 Prozent votiert für ein Ende dieser Kürzungspolitik. Gleichzeitig gibt es nach Umfragen allerdings in Griechenland eine Mehrheit, die im Euro bleiben möchte. Beides zusammen funktioniert nicht unter den gegebenen Machtverhältnissen.
Die griechische Regierung hat sich jetzt dafür entschieden, sozusagen für den Euro und für damit auch neue Kürzungsauflagen. Ob das eine richtige Entscheidung ist, ich finde, man sollte sich da als Außenstehender zurückhalten. Ich kann nur sagen, was ich auch im Interesse der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dazu meine, und das ist, dass dieses Paket eine erneute Verschleuderung von Steuergeld ist, dass wir davon einen Großteil nicht wiedersehen werden und dass es vor allem auch Griechenland überhaupt nicht helfen wird.
Armbrüster: Und wir haben jetzt einen linken Spitzenpolitiker in Griechenland, der das härteste Sparprogramm für sein Land durchwinken wird.
Wagenknecht: Na ja, nicht freiwillig. Man hat ihn ja unter Druck gesetzt, jetzt diese Maßnahmen zu verabschieden. Da ist ja wirklich auch mit harten Bandagen gekämpft worden. Wenn ich daran denke, dass den griechischen Banken die Liquiditätszufuhr teilweise abgeschnitten wurde. Das war ja alles - "Verhandlungen" ist ja beschönigend. Das waren ja keine netten Gespräche, sondern das war ja eine ziemlich harsche Druckausübung.
"Es ist eine Politik, an die im Grunde niemand glaubt"
Aber trotzdem bleibt das Ergebnis: Es ist eine Politik, an die im Grunde niemand glaubt. Die griechische Regierung sagt offen, auch Alexis Tsipras, das ist falsch. In der deutschen Regierung hinter vorgehaltener Hand, glaube ich, sagen die meisten etwas Ähnliches. Jeder, der auch Ökonomen befragt, auch internationale Nobelpreisträger, die sagen alle, das ist der pure Wahnsinn, diese Politik. Sie ist gescheitert und sie wird immer weiter fortgesetzt, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, dass die vergangene Politik falsch war, und es ist seit 2010 falsch gewesen, zu bürgen für die Schulden eines überschuldeten Landes. Und jetzt versucht man, alles dafür zu tun, dass dieses überschuldete Land zahlungsfähig bleibt. Dafür geben wir immer neue Kredite, dafür lassen wir das Land immer mehr Schulden machen. Aber es ist doch völlig klar, dass das die Probleme nicht löst.
Armbrüster: Frau Wagenknecht, müssen wir denn nicht im Nachhinein festhalten: Wenn Alexis Tsipras diesen Kurs der Verständigung mit der EU schon vor einigen Monaten gefahren wäre, dann würde er jetzt einen wesentlich niedrigeren Preis zahlen?
Wagenknecht: Das weiß ich nicht, weil es war ja doch so: Nachdem die neue Regierung gewählt war, veränderte sich der Ton merklich. Wenn die alte Regierung, wenn Samaras weiter regiert hätte, glaube ich, hätte es ganz andere Deals gegeben. Ich erinnere nur daran, wie man zum Beispiel in Irland das Problem gelöst hat. Da hat schlicht die Notenbank quasi einen Großteil der Verschuldung übernommen, in langlaufende Kredite verwandelt. Das ist zwar alles mit den europäischen Verträgen nicht vereinbar, aber das hat man eben gemacht.
Und in Griechenland waren in dem Augenblick, wo es eine neue Regierung gab, die eine linke Regierung war, natürlich sofort die anderen Regierungschefs, vor allem die in den Ländern, die auch linke Regierungen befürchten, also gerade auch in Spanien, auf Kampfmodus eingestellt, und es war relativ merklich, dass dort nicht mehr gutwillig verhandelt wurde. Wenn man sich Interviews von Varoufakis über die Atmosphäre dieser Verhandlungen ansieht - und ich glaube nicht, dass er dort uns Märchen erzählt -, dann ist das schon sehr eindrucksvoll. Hier sollte gar kein gutes Ergebnis herauskommen.
Aber die Frage ist, wem nützt das. Es schadet Griechenland, es schadet aber auch Europa und letztlich schadet es auch Deutschland, weil wir zahlen ja für diese Politik und wenn die Politik scheitert, heißt das, wir haben immer größere Rechnungen.
"Das ist kein sinnvoller Einsatz von Steuergeld"
Armbrüster: Wie auch immer, Alexis Tsipras will dieses Paket jetzt durchs Parlament bringen, mit all seinen Reformen und seinen Einschnitten, die das mit sich bringt, wahrscheinlich auch, um zumindest kurzfristig das Geld zu bekommen, was ja in den kommenden Tagen nötig ist für die Rückzahlung von Krediten. Er will es also durchs Parlament bringen. Sie, die Linkspartei haben sich immer als die engen politischen Verbündeten von Tsipras gesehen. Werden Sie denn im Deutschen Bundestag trotzdem mit Nein stimmen, auch wenn er mit Ja stimmt?
Wagenknecht: Ja, davon gehe ich aus. Wir haben ja auch beim letzten Mal, also im Juli mit Nein gestimmt, als ja schon in etwa die Konditionen klar waren, dass es sich wieder um ein Kürzungs- und Privatisierungspaket handelt, dass es sich wieder vor allem um Gelder handelt, die in die Bedienung alter Schulden und in die griechischen Banken fließen.
Das ist kein sinnvoller Einsatz von Steuergeld und das muss ja unser Maßstab sein: Löst das Probleme, hilft das irgendjemandem, oder ist das der pure Selbstbetrug auch der deutschen Regierung, die sich nicht eingestehen will, dass in Griechenland schon sehr viel Geld in ein schwarzes Loch geflossen ist, das wir nicht wiedersehen werden.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden Alexis Tsipras sagen, geh lieber raus aus dem Euro, dann hast du es leichter?
Wagenknecht: Ich denke, die Diskussion müssen die Griechinnen und Griechen führen, müssen vor allen Dingen auch die Kollegen in der Linkspartei in Griechenland führen. Da will ich mich nicht einmischen. Aber ich glaube, dass das jetzt noch nicht einmal den Grexit wirklich verhindert, sondern nur herausschiebt, eben weil wir in anderthalb oder zwei Jahren spätestens die gleichen Probleme wieder auf dem Tisch haben werden. Und je wirtschaftlich geschwächter Griechenland ist - ich meine, man muss sehen, die haben in den letzten Jahren immerhin ein Viertel ihrer Wirtschaftskraft verloren -, je schwächer Griechenland wird, desto schwieriger ist es natürlich, aus der Währungsunion auszuscheiden, weil desto abhängiger wird das Land, desto stärker ist es auf Importe angewiesen, weil es immer weniger selbst produziert.
Und insoweit ist die Voraussetzung natürlich immer weniger gegeben, die Währungsunion auf gutem Wege, also ohne noch schlimmere Verarmung verlassen zu können. Aber wie gesagt, ich will mich da nicht einmischen. Es gibt auf jeden Fall gute Gründe zu sagen, dass der jetzige Weg noch nicht einmal das kleinere Übel ist, sondern wirklich das größere.
"Griechenland braucht Investitionen"
Armbrüster: Wenn das aber so offensichtlich ist und möglicherweise auch in den nächsten Jahren offensichtlicher wird, auch für die deutsche Bevölkerung, wie groß ist dann Ihre Zuversicht, dass möglicherweise ein anderer Weg noch eingeschlagen wird, dass zum Beispiel Griechenland massiv mit Investitionen unterstützt wird?
Wagenknecht: Griechenland braucht Investitionen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Es gibt überhaupt keinen anderen Weg. Nur davon ist ja in dem jetzigen Programm überhaupt keine Rede. Dafür bräuchte man noch nicht mal Steuergelder. Es würde ja ausreichen, wenn die Europäische Zentralbank, meinetwegen über die Europäische Investitionsbank, Geld nach Griechenland geben würde, gezielt in Investitionen. Da kann man ja auch sehr genau hingucken, wo das Geld hinfließt. Das wären sinnvolle Maßnahmen. Aber wie gesagt, davon ist bisher keinerlei Rede, und natürlich bringt es auch nichts, wenn man auf der einen Seite zwar investiert, dann aber wieder mit Mehrwertsteuererhöhungen, mit weiteren Kürzungen die Wirtschaft abwürgt. Das ist dann wirklich so die Mischung von Antibiotika und Rattengift, die auch keine besonders zielführende Politik ist.
Griechenland bräuchte ein Aufbauprogramm, bräuchte tatsächlich eine Art Marshall-Plan und bräuchte natürlich auch eine Entflechtung der Wirtschaft. Das stimmt ja! Griechenland ist ein hoch monopolisiertes Land, wo wenige Oligarchen ganze Wirtschaftszweige beherrschen. Aber durch die geplanten Privatisierungen wird das eher noch schlimmer werden. Insoweit wird auch dieses Problem nicht angepackt mit den Auflagen, sondern eher verschlimmert.
Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Sahra Wagenknecht, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Frau Wagenknecht, für Ihre Zeit.
Wagenknecht: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.