"Hallo!"
"Hallo, Sound geht?"
"Ja, alles bestens."
"Hast du die Nacktbader mitbekommen?"
"Die Nacktbader?"
"Ja, wir haben ein neues Gerücht zu Nacktbadern beziehungsweise war es eine Pressemeldung bei Bild und Focus, dass wegen eines Flüchtlingsheims ein FKK-Club nicht mehr nackt baden durfte."
"Um Himmels Willen!"
"Hallo, Sound geht?"
"Ja, alles bestens."
"Hast du die Nacktbader mitbekommen?"
"Die Nacktbader?"
"Ja, wir haben ein neues Gerücht zu Nacktbadern beziehungsweise war es eine Pressemeldung bei Bild und Focus, dass wegen eines Flüchtlingsheims ein FKK-Club nicht mehr nackt baden durfte."
"Um Himmels Willen!"
Redaktionskonferenz bei der "Hoaxmap". In Leipzig sitzt Software-Entwickler Lutz Helm, seine Partnerin Karolin Schwarz ist für ihren Job in der Verlagsbranche gerade für einige Wochen in Berlin. Also läuft die Kommunikation über Mail, Chats Textnachrichten und Skype. Im Februar haben die beiden die Hoaxmap gestartet, wollten endlich Übersicht haben über die zahlreichen Gerüchte, die sich um die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge verbreiten. Schwarz und Helm sammeln und posten seitdem Texte, die die Gerüchte widerlegen. Zeitungsartikel vor allem, aber auch Statements von Polizei oder Ämtern oder von vermeintlich betroffenen Unternehmen. Unter hoaxmap.org haben die beiden all die auf einer Landkarte platziert. Ein Klick und der Leser gelangt etwa zu den Gerüchten, die sich in der eigenen Stadt verbreiten. Außerdem sind die erfundenen Geschichten kategorisiert. Mit 177 Gerüchten sind sie gestartet, inzwischen sind es um die 400. Drei Kategorien sind dabei besonders häufig, erzählt Lutz Helm:
"Das sind zum einen Geld- und Sachleistungen, die Asylbewerber angeblich erhalten, das ist sehr viel Raub und Diebstahl, also Ladendiebstahl, teilweise auch Raubüberfälle. Und das ist vor allem auch sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen, also sehr viele Gerüchte über sexuelle Übergriffe von Asylbewerbern."
Gerüchte unterscheiden sich je nach Region
Die Zahlen entsprechen im Verhältnis in etwa der Einwohnerzahl der Bundesländer. Einige, natürlich nicht repräsentative Aussagen lassen sich inzwischen gleichwohl treffen.
"Es ist trotzdem so, dass wir aus Bayern überproportional viele Gerüchte aus dem Themenbereich 'Geld und Sachleistungen' auf der Karte haben. Dann ist es schon auch so, dass wir in Ostdeutschland, wenn man das auf die Bevölkerungszahlen umrechnet, mehr Gerüchte auf der Karte haben."
Landratsämter, die angeblich Markenklamotten an Geflüchtete verteilen, Flüchtlinge, die ihren Einkauf nicht bezahlen oder ein erfundener Überfall auf drei Neonazis. Oder eben die Geschichte mit dem vermeintlichen FKK-Verbot. Es ist bisweilen bizarr, welche Gerüchte auftauchen, aber wundern könne sie sich immer noch, sagt Karolin Schwarz, die über Skype zuhört.
"Wir sind gerade sehr fasziniert von der Autogeschichte, die seit letztem Jahr durch die Gegend gereicht wird. Die besagt eben, dass zwei bis drei – das variiert so ein Bisschen – Asylsuchende sich zu jemandem ins Auto setzen und verlangen, irgendwo hingefahren zu werden. Das verbreitet sich vom Süden des Landes durch die ganze Republik mehr oder weniger."
Thomas De Maizière ist auch dabei
Auch einige Politiker haben es in die Hoaxmap geschafft. So soll die TU Dresden ihren Mitarbeitern etwa die Teilnahme an Pegida-Demonstrationen untersagt haben, hatte die Chefin der rechtspopulistischen AfD Frauke Petry in einer Talkshow behauptet. Was natürlich nicht stimmte. Auch Bundesinnenminister Thomas De Maizière ist inzwischen vertreten: Er hatte behauptet, 70 Prozent der ausreisepflichtigen Flüchtlinge unter 40 ließen sich derzeit reiseunfähig krankschreiben. De Maizière verteidigte seine Aussage heute in einer aktuellen Stunde im Bundestag. Dass es keine Statistik gibt, die diese Zahl belegt, musste er aber auch einräumen. Das Dementi kam dabei vom Innenministerium selbst, also von der Quelle des Gerüchts. Das ist bei anonymen Internetgerüchten naturgemäß nicht der Fall. Warum aber entwickeln sich gerade um das Flüchtlingsthema so viele Gerüchte im schrankenlosen Netz? Christoph Neuberger, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
"Das hat sicherlich zum einen damit zu tun, dass dieses Thema Flüchtlinge kampagnenhaft von den entsprechenden Gruppen, antiislamistischen, rechtsstehenden Gruppen aufgegriffen wird, AfD, Pegida usw., die das Internet und die sozialen Medien sehr intensiv dafür nutzen, aber auch von Einzelpersonen. Zweitens ist das aber auch ein Thema, das sich mittlerweile vor der eigenen Haustür abspielt, das heißt es gibt ein viel höheres Maß an Betroffenheit und Emotionalisierung bei diesem Thema. Und das trägt sicher dazu bei, dass sich solche Gerüchte fortpflanzen können."
Rüstzeug für die Opfer rassistischer Vorurteile
Fortpflanzen, umformulieren, um immer wieder neu aufzutauchen. Genau das will die Hoaxmap dokumentieren, betont Lutz Helm:
"Wen wir damit unterstützen wollen, das sind Leute, die tatsächlich mit rassistischen Argumenten, mit Gerüchten konfrontiert sind. Den wollen wir ein Tool in die Hand geben, dass sie mal nachschlagen können: 'Gab es dieses Gerücht, dieses ganz konkrete Gerücht schon in der Gegend hier oder gab es ein ganz ähnliches Gerücht, gucken wir da mal auf die Karte, ob es da was vergleichbares gibt.'"
Auch Journalisten sind eine Zielgruppe. Neben großem medialen Interesse und viel positivem Feedback sind die Hoaxmap-Macher durch ihre Arbeit selbst auch zum Inhalt von Gerüchten geworden.
"Wir werden von allen möglichen Leuten bezahlt, wir haben es in so ein amerikanisches Verschwörerblog geschafft, wo es dann heißt, wir werden von Merkel bezahlt. Und mein Name wird mit irgendeiner CDU-Frau in Schleswig-Holstein in Verbindung gebracht, die mal Vorsitzende der Frauen-Union war und mindestens zehn Jahre älter ist als ich. Da gibt es sehr spannende Sachen."
Spannend genug, damit Karolin Schwarz und Lutz Helm ihre Arbeit an der Hoaxmap weiter als Hobby betreiben werden. Neben der Fortschreibung ihrer Landkarte denken sie auch schon über eine Erweiterung nach. Auch die Übersetzung ins Englische, Arabische oder Farsi wünschen sie sich, damit auch die Geflüchteten selbst sich informieren können, welche Gerüchte sich über sie verbreiten.
"Das größte Ziel wäre natürlich, dass wir irgendwann obsolet sind und der ganze Hype um die Gerüchte mehr oder weniger den Bach runtergeht und damit nicht mehr Stimmung gemacht wird."
Deutschlandradio Kultur ist ebenfalls für den Grimme Online Award nominiert, und zwar mit der Multimedia-Reportage "Trappeto-Solingen-Trappeto" über sizilianische Zuwanderer in Solingen.