Wir sind jetzt hier im Herzen von Höxter sozusagen auf dem Marktplatz. Hier stehen wir jetzt vor einem 70er-Jahre Betonbau nicht mehr so schön, wie damals als Jacob Pins geboren wurde. Sie haben ein Bild dabei Herr Ostkämper.
"Ja, es war ein Haus verkleidet mit Solling-Sandsteinplatten. Ein Haus, das vermutlich meiner Einschätzung nach aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammte und das eines der typischen Bürgerhäuser am Stadtzentrum war am Marktplatz war."
In der Nachbarschaft kann man noch die schönen Fachwerkhäuser sehen jetzt hier, in Höxter sind ja viele Fachwerkhäuser, die wieder restauriert wurden. Die alte Dechanei hier mit den Sonnenpaletten hier an den Fachwerken noch angebracht und hinter uns ist die Nicolaikirche. Wie sah das denn hier aus zu der Zeit als Jacob Pins gelebt hat, da war ja wahrscheinlich hier keine verkehrsberuhigte Fußgängerzone, so wie wir es jetzt haben.
"Ja, das war aber auch noch nicht nötig, weil damals kaum Verkehr war. Also Höxter war damals eine kleine Stadt, ist auch heute noch eine kleine Stadt. Aber eine Stadt, die nicht besonders gutes wirtschaftliches Leben hatte. Hier gab es immer Probleme, was sich erst im Laufe der Zeit geändert hat. Im Mittelalter war Höxter wichtig, bedeutend, ist dann abgesunken in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und es hat gedauert, bis es wieder Aufschwung genommen hat. Und deshalb war dieser Bereich des Marktplatzes ziemlich, ja man würde fast sagen, zurückgeblieben. Und ist dann von den Stadtoberen entwickelt worden. Nicht immer zu unserer Freude, denn diese neuen Sachen haben natürlich auch viele Bausünden gebracht."
Jetzt haben wir hier Geschäfte drunter unter dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Pins. Was erinnert denn noch hier daran, also wie kann man erkennen, dass sie hier gelebt hat?
"In Höxter kann man vor den Häusern erkennen, wo Juden gelebt haben. Und hier die Familie Pins. Lipper Pins. In Höxter haben wir seit einigen Jahren vor allen jüdischen Häusern dem letzten Wohnsitz der Familien Stolpersteine gelegt, von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der damit daran erinnern will. Er sagt, jedes Mal, wenn Du das lesen willst, musst Du dich verbeugen vor den Toten."
Eine Art demütige Haltung auch.
"Ein Denkmal von unten nennt er es. Und da ja in den meisten Städten kaum noch Juden vorhanden sind. Hier in allen kleinen Städten Ostwestfalens gibt es keine Juden mehr, deshalb versuchen wir auf diese Art und Weise, das Gedächtnis an die ehemaligen Einwohner von Höxter oder Mitbewohner von Höxter wach zu halten."
Dann würde ich sagen, gehen wir einfach mal ein Stückchen weiter, begeben uns ein bisschen auf die Spuren von Jacob Pins. Sie hatten ja auch persönlichen Austausch mit ihm. Welche Erinnerungen hatte er denn an sein zu Hause?
"Ja, er hat eigentlich erzählt, dass er sich in Höxter immer sehr wohlgefühlt hat, als Kind, als Jugendlicher. Er hat in den Bergen im Solling gespielt, hat Eidechsen gejagt, Feuersalamander und alle so etwas. War also ein typischer Junge, der sich wohlfühlte hier, der hier die Grundschule besucht hat, damals hieß es Volksschule und ist dann zum Gymnasium gegangen 1927 und hat am König-Wilhelm-Gymnasium die mittlere Reife abgelegt 1933. Und 1933 haben seine Eltern und hat er erkannt, es hat keinen Zweck hier weiter an der Schule zu bleiben."
Und wie war das für ihn. Also die Schule ist ja in der unmittelbaren Nähe. Heute ist die Kreisverwaltung in dem Gebäude. Wie hat er sich da gefühlt damals?
"Er hat sich an der Schule eigentlich wohlgefühlt. Aber der Nazismus nahm auch dort unter den Schülern zu. Und den Lehrern zunächst wohl nicht. Er hat berichtet, dass er 1933 zu seiner Feier der Mittleren Reife nicht hingehen wollte, weil er als Jude eben verschrien war dort schon, aber sein Klassenlehrer hat ihn überzeugt: Geh doch noch hin."
Vielleicht können wir noch mal so ein bisschen an historische Städten gehen, wo er vielleicht auch mit seiner Familie hingegangen ist. Zum Beispiel gibt es doch noch Überreste von der Synagoge, die hier in Höxter gestanden hat, oder?
"Ja, so ist es, gehen wir mal in Richtung der Synagoge. Es ist nah, es ist nicht weit hier. Höxter ist eben nicht groß innerhalb des Stadtkerns kann man alles schnell zu Fuß machen. Ja, wir gehen hier durch die Nagelschmiedstraße, wie sie heißt heute. Also man kennt daran, hier haben Handwerker gewohnt. Drüben sieht man noch ein Haus mit einem Zimmermannsemblem oder Maureremblem an der Tür. Also Höxter war eben eine kleine Stadt mit Handwerkern, einfachen Einwohnern. Am Marktplatz, in dem Bereich konzentrierten sich die Geschäfte im Wesentlichen. Und die Juden, die zunächst in Höxter an der Judengasse gewohnt haben, im Mittelalter, im späten Mittelalter, an der heute aber nichts mehr zu sehen ist, außer dem Straßenschild. Das war das Gelände an der Weser hinter der Kilianikirche. Die Juden hatten offensichtlich den Schutz der Kirche gefunden und in diesem Gebiet, was sumpfig war, was feucht war, da siedelten die Juden."
"Ja, wir stehen hier vor dem Gebäude der ehemaligen Synagoge und jüdischen Schule."
Das heißt, das sind jetzt aber zwei Fachwerkhäuser, einfache Fachwerkhäuser. Das war alles in einem dann?
"Das war noch länger. Das Haus wurde im typischen Stil gebaut. Es war Fachwerk. Von außen erkannte man im Grunde genommen nicht, dass es eine Synagoge war. Es befand sich im Erdgeschoss auf der rechten Seite der Gemeindesaal und darüber die Frauenempore, weil bei den Juden ja Frauen und Männer getrennt sind beim Gottesdienst, wie es heute noch nicht überall aber oft ist. Der linke Teil, links von der Tür, das war die jüdische Schule und die Lehrerwohnung. Denn gleichzeitig ging es darum, die Juden hatten bis dahin keine öffentliche Schulpflicht genossen und die öffentliche Schulpflicht war eingeführt worden und für die Juden war es ja wichtig, auch eine fundierte Ausbildung zu kriegen, und deshalb wurde ja eine Elementarschule eingerichtet mit einem eignen jüdischen Lehrer, der von der Gemeinde bezahlt werden musste."
Weiß man denn, ob die Pins da immer hingegangen sind in die Synagoge oder waren die eher nicht so fromm?
"Ja, es ist bekannt, dass die Mutter Pins sehr religiös war, der Vater war nicht so religiös, aber er ging auch hin. Er nahm dann immer die Zeitung, das 'Berliner Tageblatt' mit, so eine sozialdemokratische Zeitung. Und sein Sohn Jacob hat ihn mal gefragt: Warum gehst du in die Synagoge und nimmst die Zeitung mit? Er ging hin, um die Gemeinde zusammenzuhalten."
Jetzt sind wir hier angekommen, an dem Forum Jacob Pins. Wenn wir ein bisschen näher an das Haus, an das Fachwerkhaus herankommen. Da sieht man das da schon auch eine besondere Musterung auch.
"Auf den Gefachen wie das heißt. Das Haus hat natürlich im Laufe seiner Zeit alle möglichen Zustände erlebt, denn das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert. Als Jacob Pins alt wurde, hat er sich entschlossen, seinen künstlerischen Nachlass an die Bürger der Stadt Höxter zu geben, weil er festgestellt hat, in Höxter gibt es Freunde, hat es wieder Freunde gegeben, nachdem hier Ausstellungen stattgefunden haben. Er hierein Foto entdeckt hat, von der Deportation seines Vaters auf dem Bahnhof in Bielefeld, das er nicht kannte. Und wir haben dann die Jacob Pins Gesellschaft gegründet und überlegt, was können wir damit machen. Diese zahllosen Bilder und sofort sollen ja nicht in Archiven oder auf Dachböden verstauben, sondern wollen dafür einen Ausstellungsort."
Gehen wir mal rein. Hallo. Wir stehen jetzt hier im Jacob Pins Haus, vor einem seiner Bilder, was ausgestellt wurde, das heißt "Sonnenlicht im Wald" von 1989. Man sieht viel Grün darauf, ein paar Baumstämme, die ein bisschen rosa, wahrscheinlich, weil da das Licht drauf fällt angemalt sind. Ist er da noch inspiriert von Höxter?
"Also es könnte ja sein, dass das oben bei Neuhaus ist, denn er ist ja im November 1988 zur Eröffnung einer Ausstellung hier 'Juden in Höxter' ist er nach Höxter gekommen nach langer Pause. Und in dem Zusammenhang haben wir ihn immer spazieren gefahren. Und da sind wir auch öfter in den Solling gefahren und da oben gibt es ja die grünen Fichten und das Licht fällt da drauf, die stehen ziemlich dicht und das Licht fällt dann immer nur so punktuell auf den Boden. Es würde passen, aber es ist eine Vermutung".
Wie war das denn, als sie das erste Mal mit ihm Kontakt aufgenommen haben. Sie hatten ja hier eine Ausstellung geplant über jüdisches Leben in Höxter. Wie war da die erste Reaktion von ihnen?
"Ich habe ihm geschildert, was wir vorhaben und er hat dann ganz lange nichts von mir hören lassen. Ich habe gedacht, der packt sich an den Kopf und denkt, er soll uns auch noch helfen eine Ausstellung zusammenzustellen. Dann kam aber nach vielen Wochen ein dicker Brief, da waren viele Fotos drin und ein sehr freundlicher Brief und hat er uns erklärt, dass er unser Vorhaben ganz toll findet und uns unterstützen will."
Und wie war dann so die erste Begegnung mit ihm?
"Wir haben ihn im Auto abgeholt und waren also sehr besorgt, beklommen, wie spricht man mit ihm, wie wird er sich zeigen uns gegenüber. Und dann saß da so ein kleiner Mann, sehr freundlich, völlig unkompliziert und wir sind nach Höxter gefahren und es war sehr entspannt. Und er hatte einfach das Gefühl, dass wir eine Generation waren, wo er ja nicht mehr drüber nachdenken musste, ob wir in irgendeiner Weise Täter gewesen sein konnten. Wir waren eigentlich fast alle ausnahmslos nach dem Krieg geboren. Und ich glaube, das hat es ihm sehr erleichtert."
"Also für ihn war Höxter die Geburtsstadt, das hat er betont. Meine Heimat ist Israel, Höxter ist eine Geburtsstadt. Er hat Höxter nicht als Heimat gesehen, weil er eben von hier vertrieben war und seine Eltern ermordet waren, aber Höxter war für ihn weiterhin der Geburtsort mit enger Bindung."