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Honoré de Balzac: "Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken"
"Zeilenangler" aufgepasst

Das Beschimpfen von Presse und Journalisten ist keineswegs neu - ein beredter Meister des Presse-Bashings war bereits der französische Romancier Honoré de Balzac. Für seinen Übersetzer Rudolf von Bitter lehrt er auch manches über den Umgang mit sozialen Medien

Dina Netz im Gespräch mit Rudolf von Bitter |
    Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac auf einem zeitgenössischen Porträt. Der fast ständig mit Geldsorgen kämpfende, rastlos arbeitende Dichter konnte sein Hauptwerk, die "Comédie Humaine" (Menschliche Komödie, erschienen 1829-1854), bestehend aus 91 Romanen und Novellen (u.a. "Das Chagrinleder", "Glanz und Elend der Kurtisanen") nur zu etwa zwei Dritteln vollenden. Honoré de Balzac wurde am 20. Mai 1799 in Tours geboren und ist am 18. August 1850 in Paris gestorben.
    Hatte für die Journaille nicht allzu viel übrig: Honoré de Balzac hier auf einem zeitgenössischen Porträt. (picture alliance / dpa)
    Dina Netz: Dass wir Ihnen im ersten wochentäglichen "Büchermarkt" des Jahres 2017 ausgerechnet einen "neuen" Text von Honoré de Balzac vorstellen – wer hätte das gedacht? "Neu" im eigentlichen Sinne ist er natürlich nicht, aber er ist bisher tatsächlich nicht auf Deutsch zu lesen gewesen, was bei diesem berühmten Romancier nun wirklich verwunderlich ist. Zumal Balzac darin ein zeitlos aktuelles Thema verhandelt: Er beschimpft nämlich die Journalisten. Wobei "beschimpfen" ihm selbstverständlich nicht ganz gerecht wird, sagen wir: Er widmet ihnen eine böse Karikatur. Darin teilt er die Journalisten zum Beispiel in zoologische Gattungen ein. "Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille" heißt das Buch, und herausgegeben und übersetzt hat es Rudolf von Bitter, Kulturredakteur beim BR-Fernsehen. Erste Frage: Warum hat Honoré de Balzac die Journalisten denn so sehr gehasst?
    Rudolf von Bitter: Da gibt es lauter verschiedene und verstreute Gründe. Eine Karikatur, die Karikatur als solche hat ja in der Zeit von Balzac, also vor 170 Jahren, eine riesige Blütezeit gehabt, was aufgrund einer technischen Neuerung geschehen ist. Und zwar, es gab zwei Erfindungen, die Dampfdruckpresse, sodass man in großen Auflagen sehr schnell Zeitungen herstellen konnte, und die Lithographie. Und die Lithographie hat die mechanische Beanspruchung von Massenproduktion von bedruckten Blättern ausgehalten. Und so hatten plötzlich die Zeitungen eine riesige Reichweite, und in einer Gesellschaft, die vielleicht gar nicht so viel lesen konnte, waren Karikaturen ein Augenfänger.
    Netz: Das ist natürlich eine geschriebene Karikatur, die er hier veröffentlicht hat. Aber warum genau hat er sich die Journalisten als Zielscheibe gesucht?
    von Bitter: Er hatte mit Journalisten so seine Probleme, und zwar nicht plötzlich, weil ihn mal einer kritisiert hat, sondern das hat sich über Jahre – 15 Jahre, bevor dieses Buch erschienen ist, hatte er schon Streit mit Kritikern, die ihn nicht achteten, die seine Arbeit in seinen Augen nicht genug achteten. Und das waren allesamt Kritiker, die wir heute vergessen haben. Es gab ja auch noch andere Schriftsteller, Alexandre Dumas oder Eugène Sue, die haben ihn gar nicht angegriffen. Angegriffen wurde er von einem, der ein bisschen bekannt ist, Sainte-Beuve, und ein anderer war Jules Janin, der war ein Star-Kritiker. Und gegen die hat er sich gewehrt, weil die ihn mit Häme überzogen haben. Und wenn er sich über was ärgerte, dann haben sie das noch verstärkt.
    Netz: Dass also die ganze Journalistengattung hier ihr Fett weg kriegt, hat auch mit seinem Temperament zu tun, wenn ich Sie richtig verstehe. Welche Rolle hat denn gespielt, dass Balzac ja selbst sich mal als Journalist verdingt hatte und auch als Verleger, aber in der Rolle gescheitert war?
    von Bitter: Ja, er hatte eine Zeitschrift gegründet, weil er ein Podium haben wollte für das, was er zu sagen hatte. Er hatte wohl in den Zeitungen, für die er schreiben durfte, so in den 1830er-Jahren war das, bevor er die Romane geschrieben hat, da wollte er sich ein Podium verschaffen. Und später hat er ja wegen der Schulden – er ist ja gescheitert mit seiner Zeitschrift, und er wurde verfolgt von dem Verleger, der ihm Geld gegeben hatte. Dann musste er schreiben, er musste tägliche Feuilletons abliefern. Und die Manuskripte, wenn man davon Fotos sieht, über und über beschriebene und korrigierte und durchkorrigierte Seiten.
    Netz: Deshalb auch die Fortsetzungsromane – er stand einfach unter einem ganz großen Druck. Aber ist dieses Buch auch so als eine Art Rachefeldzug gegen die sozusagen gescheiterte Laufbahn zu lesen?
    von Bitter: Gescheiterte Laufbahn, weiß ich nicht. Das ist ja nun ein Weltklasse- …
    Netz: Ein Aspekt, ein Seitenstrang seiner Laufbahn natürlich.
    von Bitter: In diesem einen Aspekt war er vielleicht gescheitert. Wobei, er hat 1840 Stendhal zu Ruhm verholfen mit seiner "Kartause von Parma". Da hat er eine Riesenkritik geschrieben, und damit war Stendhal ein großer, anerkannter Schriftsteller. Also so ganz gescheitert ist er nicht, aber Sie können das ja auch umdrehen. Balzac hat eine Karikatur angefertigt von etwas, das er nicht überwinden konnte. Das ist ja eine Form von Abstraktion oder von Sublimation oder Selbsttherapie, dass ich, wenn ich etwas nicht besiegen kann mit Worten, dass ich dann irgendwie ein Bild davon male und das ein bisschen beschwöre und mir selbst etwas verschaffe zum Lachen. Und wenn ich das dann auch noch vor anderen vorführen kann – umso besser.
    Netz: Das war ja durchaus in der Zeit auch gar nicht so ungewöhnlich, dass man sich auf hohem Niveau öffentlich beschimpft, das muss man vielleicht auch dazu sagen. Ist heute nicht mehr so gang und gäbe, aber zu Balzacs Zeit wurden da in den Zeitungen auch einfach heftige Gefechte ausgetragen. Haben Sie vielleicht noch mal ein besonders prägnantes Beispiel für so eine Journalistengattung, die nicht besonders gut, nicht besonders freundlich gezeichnet ist.
    Lieblingsfeinde: "junge blonde Kritiker"
    von Bitter: Ja, da nenne ich Ihnen den jungen blonden Kritiker. Da hat er gleich drei Untersorten, nämlich den Leugner, den Spaßvogel und den Lobhudler. Das ist also wie im Bio-Buch, da hat er da so die Kategorien. Und er hat dafür Vorbilder gehabt, eben diesen Jules Janin. Und den hat er später, in dem selben Jahr, in einem Roman, "Die Muse von der Provinz", hat er den noch mal auftreten lassen als Etienne Lousteau. Das heißt, er hat diesen Mann gar nicht richtig verknusen können und hat sich an dem abgearbeitet. Und der hat seinerseits eine Kritik von diesem Buch geschrieben, die ja auch in unserer Ausgabe drin ist, die auch an Häme gar nichts zu wünschen übrig lässt.
    Netz: Das stimmt. Nun ist ja Balzacs Text nicht nur eine Kritik am Journalistenberuf, damit täte man ihm Unrecht, sondern es ist eigentlich auch eine Zeitdiagnose, und die fällt ungefähr ähnlich vernichtend aus wie die des Journalismus. Was kann man aus diesem Text über den Journalismus ablesen, über Balzacs Haltung zu seiner Zeit?
    Karl Marx als Zeugen
    von Bitter: Balzac war ein, wenn Sie so wollen, Reaktionär, ein Erzkonservativer. Balzac lebte in Paris, das war das Zentrum der Veränderungen Europas in dieser Zeit. Das Jahrhundert der Aufklärung war gerade erst um, die französische Revolution, die uns ja bis heute prägt und beeinflusst mit den Menschenrechten und so weiter, war ja auch gerade erst vorbei. Die Restauration war gerade abgeschlossen, und es war eine neue Politikergattung an der Macht. Leute, die auf Geld achteten. Balzac hat das abgestoßen. Und er hat ja einen wunderbaren Zeugen, der ihm applaudiert hat für seine Analysen – das war kein Geringerer als Karl Marx, der ja nun ganz andere Ideen hatte.
    Netz: Der von der anderen Seite kam, ja.
    von Bitter: Aber in der Diagnose der Gesellschaft, wo nur das Geld regiert, wo keine ethischen Maßstäbe mehr Gültigkeit haben, da waren die gleich.
    Netz: Was ich jetzt so frappierend finde an dieser Journalistenbeschreibung, die Balzac uns da hinterlassen hat, ist, dass man so schrecklich vieles wiedererkennt, also dass es so viele Bezüge zum Heute gibt, zum Beispiel die mangelnde Zeit für Recherche, die er beklagt. Das mangelnde Geld für eine qualifizierte Auslandsberichterstattung, und vieles mehr. Dabei war die Presse damals eine ganz andere. Hat Sie das auch erstaunt, wie aktuell das Buch im Grunde ist?
    von Bitter: Ja, so nach und nach. Es gibt sogar noch ganz andere Sachen. Da sind ja Parodien von Feuilletons drin. Und wenn ich heute Feuilleton-Artikel lese, manchmal überkommt mich das, das habe ich doch gerade übersetzt, als Parodie. Also der Zeilenangler, den er auch hat – wenn Leute Platz haben für einen Artikel von 80 Zeilen, und bei 65 Zeilen haben sie schon alles gesagt, dann fangen sie an, irgendwie ein bisschen was zu schnitzen, was da noch rein kann, um das aufzufüllen.
    Netz: Sie sprechen natürlich nicht von sich, ist klar, sondern von anderen.
    von Bitter: Ich spreche auch von mir. Und vieles da drin ist auch von uns. Wir haben auch – Sie selbst wahrscheinlich auch mit Ihren Minuten und Sekunden –, und mit etwas Humor kann man sich natürlich auch da den Spötter, ein bisschen was von sich erkennen. Oder der Mann fürs Grobe ist natürlich keine reine Männerdomäne inzwischen. Also von alldem haben wir ein bisschen was, und die Kollegen haben das auch, und manchmal erkennen wir was bei den anderen, und manchmal auch bei uns. Und wer das tut, der kann ein bisschen lachen über diese Karikatur von sich selbst.
    Netz: Wenn man groß genug ist, souverän genug ist, darüber zu lachen, genau. Es gibt eine Sache, einen Text, den Sie noch dem Buch beigesellt haben, wie ich finde, vollkommen zu recht, nämlich einen Appell Balzacs für ein Urheberrecht, das den Autoren ermöglichen soll, von ihren Werken auch zu leben. Den Text hätte er genauso gut heute veröffentlichen können, oder?
    Balzac nebst Goethe als Vorkämpfer des Urheberrechts
    von Bitter: Den hätte er, wenn wir gucken, was Google mit seinen Scans veranstalten wollte und wo die heutigen lebenden Autoren ein Revers unterschreiben sollen, dass Google da machen darf, was es will. Oder mit GEMA und YouTube und mit dem Streit über die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft Wort, das ist alles so wie heute und total aktuell. Und parallel zu ihm hat Goethe ja auch um ein Urheberrecht gekämpft. Und dieser Aufruf ist aber zehn Jahre vor der Karikatur von den Journalisten erschienen und wurde von den Kollegen belächelt, er wurde abgetan. Das ist sehr merkwürdig.
    Netz: Das wäre wahrscheinlich heute leider nicht so viel anders. Bei aller Aktualität, den dieser Text hat, den Sie herausgegeben und übersetzt haben, Herr von Bitter, das ist in meinen Augen auch so ein kleines bisschen das Problem dabei. Es kriegt ein leichtes Geschmäckle insofern, als der Text jetzt auf Deutsch erscheint, in dem ganz viel auf Journalisten geschimpft wird – Stichwort Lügenpresse. Balzac hat ja, wie Sie schon richtig gesagt haben, auch eher eine Karikatur statt einer differenzierten Auseinandersetzung geschrieben. Da stellt sich so ein bisschen eine ungünstige Nähe her, oder?
    von Bitter: Das muss man schon sehr konstruieren.
    Netz: Ich habe es ein bisschen so empfunden.
    von Bitter: Ich glaube, auch, wenn es eine Karikatur ist, ist es doch zu differenziert, um es dafür zu vereinnahmen oder es gewissermaßen mit diesem Brocken Diskursauswurf zu belegen. Das ist so ein bisschen banal, das ist so, wie wenn Sie bei Goethes "Italienischer Reise" auf nichts kommen als die Ansagen vom Navi, wenn Sie über den Brenner sind.
    Netz: Na ja, es ist natürlich schon, es erscheint schon in einer Zeit, in der der Journalismus stark in der Kritik steht.
    von Bitter: Über Journalisten wurde immer geschimpft. Journalisten werden immer beschimpft, wenn sie etwas berichten, was dem, um den es geht, nicht passt. Und das ist also gar nichts Neues, und Balzac reiht sich ein in die Reihe derer, die auf die Presse schimpfen, weil in der Presse was steht, was ihnen nicht passt. Das ist, glaube ich, universell. Und das mit den Social Media, das ist der Vergleich, den Sie anstellen können. Denn Balzac hat auch geschrieben, was macht man, wenn man sich verunglimpft fühlt. Da ist man wie der Hund, der hinter der Postkutsche her bellt. Die Zeitung ist dann gedruckt, weg ist es. Also, er vergleicht ein Medium, das damals neu war. Und wenn wir das mit bei uns vergleichen wollen, dann müssen wir auf Social Media kommen.
    Netz: Kommen wir noch auf Ihre Herkulesaufgabe als Herausgeber und auch als Übersetzer, Herr von Bitter. Sie hatten keine leichte Aufgabe zu bewältigen, wie Sie im Nachwort auch schreiben. Sie mussten sehr ausführlich mit Kommentaren arbeiten, mit Fußnoten, mit einem langen Nachwort, denn das ist ein typischer Balzac-Text, voll von literarischen Anspielungen, von Anspielungen auf seine Zeit, die heute natürlich kaum jemand mehr versteht. Warum war Ihnen das die Mühe wert? Ändert sich vielleicht sogar der Blick auf das Gesamtwerk Balzacs ein wenig, wenn man diese Journalistenpolemik kennt?
    von Bitter: Das kann man. Wenn man die "Verlorenen Illusionen" liest, da kommen ja auch Journalisten vor, da kommt derselbe Etienne Lousteau vor, der später auch im Roman ist, dann versteht man einerseits etwas von Balzac, der mit seiner Druckerei pleite gegangen ist, dass ist David Séchard in dem Buch, und man versteht was von den hoffnungsvollen Jungen, die Journalist werden wollen und die dann scheitern, weil sie, wie Balzac das in unserem Buch sagt, "nix mehr im Bauch haben". Und das zu erarbeiten, war für mich, als ich das Buch gefunden habe, Ende der 70er-Jahre, total unmöglich. Ich habe eigentlich nicht richtig verstanden, was der da erzählt. Und heute mit dem Internet, wo Sie diese ewig vielen Namen alle nachgucken können und sich erklären können, wer das war, wo Sie entlegene Formulierungen sogar in dem Buch selbst wiederfinden, weil das natürlich gescannt ist, wo Sie also wissen, das ist einzig und allein in diesem Buch, du kannst es nirgendwo nachschlagen, du musst es aus dem Sinn interpretieren, das war eine große Arbeit, und die hat so über die Jahre immer da rumgelegen, ich habe sie hin und wieder mal wem angeboten. Aber irgendwann hat dann mal der beste Klassikerverlag, den wir kennen, Manesse, angebissen.
    Netz: Und deswegen reden wir heute über das Buch und freuen sich uns drüber. Im Nachhinein: War es Ihnen die Mühe wert?
    von Bitter: Ja, durchaus. Ich hab ja im Lauf meiner Zeit, wo ich auch für Film gearbeitet habe und für Fernsehen und Hörfunk und Zeitung und das alles, ja vieles auch wiedererkannt von diesem Buch, darüber haben wir vorhin gesprochen. Und das hilft einem, wenn man sich über jemanden ärgert und man findet eine Karikatur von ihm, das hat was Therapeutisches, wenn Sie so wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Honoré de Balzac: "Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille", herausgegeben und übersetzt von Rudolf von Bitter Manesse Verlag, München 2017