Kate Maleike Herr Hippler, als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz sind Sie quasi die Stimme der Hochschulen, denn in dieser Konferenz sind über 260 Hochschulen der verschiedensten Formen vereint, und darin sind wiederum 94 Prozent aller Studierenden in Deutschland eingeschrieben. Sie haben also eine einflussreiche Position in einem wichtigen Bereich unserer Gesellschaft, der gerade einige Herausforderungen und Problemlagen meistern muss. Und einige Nachrichten aus dieser Woche zeigen, dass da noch längst nicht alles rund läuft. Zum Beispiel kommt eine Studie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und von McKinsey jetzt zum Schluss, dass Unis Studierende zu wenig auf die Arbeitswelt 4.0 vorbereiten. Dafür waren repräsentativ 300 Unternehmen in Deutschland befragt worden. Bilden Hochschulen also nicht zeitgemäß genug aus?
Horst Hippler Das will ich so nicht sagen. Ich denke mal, in der Verantwortung, junge Leute zu trainieren für die Zukunft, da sind Unternehmen genauso gefordert wie Hochschulen. Allerdings muss man doch davon ausgehen, dass die Aufgabe es nicht ist, junge Leute für einen Beruf auszubilden, dafür haben wir die Berufsausbildung in Deutschland. Und ich denke mal, da muss man sich drüber unterhalten, wie man diese Aufgaben verteilt. Aber natürlich ist die Herausforderung Industrie 4.0 eine große Herausforderung, nicht nur für die Hochschulen, auch für die Berufsausbildung und insgesamt für die ganze Gesellschaft.
Maleike: Aber wenn über 300 Unternehmen sagen, dass der Nachwuchs, der von den Hochschulen kommt, nicht genug und ausreichend vorbereitet ist, kann Sie das doch nicht kalt lassen?
Hippler: Doch, das lässt mich ziemlich kalt. Weil ich denke, die Unternehmen möchten gerne die Verantwortung für die Ausbildung auf die Universitäten abwälzen, und die Universitäten haben diese Aufgabe eigentlich nicht. Und da muss man genau darüber nachdenken. Das wird immer mehr verlangt, dass die jungen Leute sozusagen fit direkt für den Beruf gemacht werden an den Universitäten. Das ist das amerikanische System – das deutsche Bildungssystem ist ein ganz anderes. Fit für den Beruf wird man gemacht in einer Lehre und in einer Ausbildung oder sozusagen in einer Art und Weise, wenn man mit Unternehmen und Universitäten oder Hochschulen gemeinsam Programme entwickelt. Und ich denke, da ist noch einiges zu tun. Aber da ist immer was zu tun gewesen, das war in der Vergangenheit auch so. Und wenn die Unternehmen sagen, da fehlt viel mehr Praxisbezug, dann muss man das vielleicht auch ein bisschen differenzierter sehen. Das hängt auch davon ab, welche Fächer man studiert hat und welcher Praxisbezug da tatsächlich dann auch notwendig ist. Und ich denke, eine solche grobe pauschale Beurteilung ist ziemlicher Unsinn.
Programm zur Förderung des digitalen Wandels nötig
Maleike: Der digitale Wandel, auch an den Hochschulen, wie würden Sie den denn gerade beschreiben? Ist der schon weit genug? Schulen – zum Beispiel – tun sich damit ja gerade noch sehr schwer.
Hippler: Das ist nie weit genug. Ich denke mal, an der Stelle ist immer etwas zu tun. Man muss aber auch wissen, dass man die Hochschulen genau in die Lage versetzen muss, das tatsächlich auch zu können. Dazu gehört einmal, dass die Infrastruktur da ist, also die IT-Infrastrukturen müssen zur Verfügung gestellt werden. Und man muss auch wissen, dass gerade im Bereich der Hardware es sehr, sehr teuer ist. Man muss, ich denke mal, in einem Fünf- bis Siebenjahresrhythmus die ganze Hardware immer wieder ersetzen und anpassen an das, was notwendig ist. Und was natürlich dazu kommt, ist, dass das Personal geschult werden muss. Und auch dafür fehlen insbesondere in der Öffentlichen Hand die Mittel. Das gilt für Schulen genauso wie für Hochschulen, und da muss was getan werden. Und da ist eigentlich die Nation gefordert, etwas zu tun, da müssten eigentlich Bund und Länder sehr, sehr aktiv werden. Mit der Reform des Grundgesetzes, Artikel 91b, hat der Bund jetzt die Möglichkeiten, insbesondere bei den Hochschulen, dort zu unterstützen. Und da muss ein Programm aufgesetzt werden.
Maleike: Ein Programm, das wie aussehen sollte? Können Sie vielleicht eine Zahl nennen, welches Volumen das haben sollte?
Hippler: Nein, das kann ich nicht. Ich meine, die Schätzungen gehen da relativ weit auseinander. Aber wichtig ist, glaube ich, dass man sich an einen Tisch setzt, dass man sagt: Da muss etwas kommen. Wir haben in der Vergangenheit jetzt einige Programme auf die Schiene gesetzt, also den Hochschulpakt, dass man sozusagen Studienplätze schafft. Wir haben ein Programm jetzt in Richtung Exzellenzinitiative, wissenschaftlicher Nachwuchs oder auch zur innovativen Hochschule, was hoffentlich am 16. Juni dann auch beschlossen wird. Aber ich denke, damit ist es nicht zu Ende. Ich denke, das große, spannende Thema und die große Herausforderung ist, fit zu werden für die Zukunft. Und dazu gehören auf jeden Fall IT-Infrastrukturen und sozusagen auch die Schulung des Personals, dass es damit auch vernünftig umgehen kann. Und das trifft die Verwaltung genauso wie die Studierenden und die Lehrenden. Es gibt, glaube ich, überhaupt gar keinen Bereich mehr, der frei davon ist.
Maleike: Die Hochschulen schreien eigentlich immer nach mehr Geld und Programmen. Müssten sie nicht eigentlich auch mehr dafür sorgen, dass sie mit dem Geld, was sie zur Verfügung gestellt bekommen, besser auskommen?
Hippler: Also, den zweiten Satz unterschreibe ich gerne, wenn der erste Satz so wäre, dass die Hochschulen hinreichend in der Grundausstattung versorgt worden wären in der Vergangenheit – das ist nicht der Fall. Wenn Sie sich anschauen, wie Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren gefördert ist, es gibt für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen Pakte, da ist die Finanzierung angestiegen. Bei den Universitäten hat sich das wirklich nicht umgesetzt, obwohl die Universitäten das Kernstück und das Herzstück des deutschen Wissenschafts- und Bildungssystem sind, sie hängen eigentlich hinterher. Und dafür ist eigentlich auch gedacht, jetzt, glaube ich, mal die Reißleine zu ziehen und Bund und Länder zusammenzubringen und zu sagen: Wir müssen mehr in die Hochschulen investieren, denn das ist das Herzstück, sozusagen, für die Zukunft.
Geld für die Bildung - eine Prioritätenfrage
Maleike: Grundfinanzierung steigern, wenn die Kassen leer sind, wie soll das funktionieren?
Hippler: Also, dass die Kassen leer sind in Deutschland, kann man, glaube ich, nicht behaupten, wenn Sie mal schauen, wie die Steuereinnahmen gestiegen sind. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Und wenn Deutschland Bildung als Kosten sieht und nicht als Investition, dann werden wir in der Zukunft ein Problem haben. Denn die beste Investition in die Zukunft ist die Investition in Bildung. Und wenn man das als Kosten sieht und das genauso sieht wie Kosten für das Sozialsystem, dann hat man damit ein Problem. Es ist eine genauso gute Investition wie andere Investitionen in der Infrastruktur, wie in Autobahnen, in Eisenbahnen, in was auch immer. Und da ist die Frage, wie man die Prioritäten setzt. Und dass Deutschland ein armes Land ist, ich glaube, das glaubt hier niemand. Und ich will noch einen Satz hinzufügen im Vergleich, sozusagen, zu unseren Wettbewerbern international. Wenn Sie sich anschauen, was Südkorea oder was Singapur in das Hochschulsystem investiert, dann sehen wir doch ziemlich blass aus – und wir sind doch auch nicht viel ärmer.
Maleike: Sagen Sie doch mal die Vergleichszahlen.
Hippler:Na ja, sie können ja nur das Bruttoinlandsprodukt vergleichen, und da sind wir knapp bei drei Prozent in der ganzen Summe, wobei aus der öffentlichen Hand dort nur ein Drittel kommt bei uns. In den Ländern Singapur und Korea ist es mindestens das Doppelte bis zum Zweieinhalbfachen.
Maleike: Lassen wir uns doch über die Exzellenzinitiative unterhalten. Man hat sich entschlossen, diese Initiative, mit der die Spitzenforschung ja schon seit 2006 in einem dreiteiligen Wettbewerbsverfahren gefördert wird, künftig zu verstetigen. Und aus dieser Initiative wird deswegen eine Strategie und aus drei Teilen des Wettbewerbes werden zwei. Wir wollen vielleicht gar nicht mal auf die Details da eingehen, aber Fakt ist: Nächste Woche soll eigentlich dazu grünes Licht gegeben werden, und das würde bedeuten, dass dann über 500 Millionen Euro jährlich in diese Forschungselite quasi fließen. Im Moment sieht es aber so aus, als wenn da nochmal Unruhe reinkäme, weil Hamburg sich gemeldet hat und offenbar Angst hat, dass die Hochschulen dort nicht zum Zuge kommen, wenn es bei diesen Regelungen bleibt. Wie ernst ist aus Ihrer Sicht im Moment die Lage und wie wahrscheinlich, dass wirklich nächste Woche da grünes Licht gegeben wird?
Hippler: Das ist schwer einzuschätzen für mich, weil ich sozusagen die ganze Argumentationskette nicht nachverfolgen kann. Es hat lange Verhandlungen gegeben, und man hat eigentlich sich im Konsens verabschiedet, und jetzt wird irgendwo nachgekartet. Aus welchen Gründen auch immer, mag ich nicht zu beurteilen. Aber ich denke mal, wenn ein Land meint, man bräuchte mehr Zeit, um die Universitäten fit zu machen, dann kann man eigentlich nur sagen: Ihr hattet zehn bis zwölf Jahre Zeit – denn so lange läuft die erste Runde der Exzellenzinitiative –, um für die eure Universitäten fit zu machen. Insofern finde ich das ein bisschen unfair und relativ komplex und schwierig. Und für mich ist nur bezeichnend, dass der Hochschulrat der Hamburger Universität sich ganz klar für eine Unterzeichnung des Vertrages ausgesprochen hat. Und wenn Sie schauen, die Universität Hamburg ist nicht wirklich so schlecht aufgestellt, dass sie diesen Wettbewerb scheuen muss.
Das Spannende an der Exzellenzinitiative ist das Label
Maleike: Wenn die Exzellenzinitiative so weitergeführt wird, würde das dann wirklich tatsächlich das bedeuten, was viele ja auch eigentlich wollen, dass bestimmte Universtäten so in der Spitzenforschung gefördert werden, dass sie international mithalten können?
Hippler: Das glaube ich nicht, dafür ist das viel zu wenig Geld. Verteilen Sie doch diese 500 Millionen mal auf die Cluster, die dann kommen sollen – das sollen 50 Stück werden –, da sind schon Zweidrittel des Geldes dort verteilt worden. Das geht deutschlandweit an verschiedene Plätze und der Rest geht dann sozusagen an die Größenordnungen von zehn oder elf Konsortien und auch einzelne Universitäten. So viel Geld ist das nicht. Das Geld ist nicht das Spannende, das Spannende ist eigentlich das Label, was man bekommt, und dann muss man sehen, was das neue Label nach sich zieht. Sozusagen mit dem Geld kann man sicherlich es nicht schaffen, dass deutsche Universitäten ganz vorne in das Spitzenfeld einziehen werden. Das hat auch die Imboden-Kommission ganz klar festgestellt. Trotzdem ist es gut, dass man diese Förderung begonnen hat, dass man sie verstetigen wird, denn ich denke mal, dieses Geld hilft auch, um sich strategischer aufzustellen und sich weiterentwickeln zu können. Und die Exzellenzinitiative hat als positivstes Zeichen sozusagen die Strategieentwicklung der Hochschulen gemacht. Ob man nun gewonnen hat oder nicht, alles hat dazu geführt, dass man sich darüber Gedanken macht: Was ist denn mein Auftrag? Was ist mein Ziel? In welche Richtung soll ich mich denn weiterentwickeln?
Maleike: Kommen wir zum zweiten Pakt, der geschlossen werden soll, das ist nämlich der für den wissenschaftlichen Nachwuchs, und da kommt ja dann vielleicht auch wieder mehr Personal ins System. Mit einer Milliarde Euro sollen etwa 1.000 zusätzliche sogenannte Tenure-Track-Professuren geschaffen werden. Das Programm soll im kommenden Jahr beginnen und bis 2032 laufen. Reicht das?
Tenure Track ("Verfahren zur Anstellung"): Wissenschaftliche Mitarbeiter werden zunächst befristet angestellt und haben die Chance, nach dieser Befristung eine Stelle auf Lebenszeit zu erhalten, z.B. eine Lebenszeitprofessur.
Hippler: Nie im Leben. Also, Sie müssen einfach nur mal das Geld, die Summe, dividieren durch die Zahl der Tenure-Track-Professoren, durch die Laufzeit, wie die finanziert werden und dann kommen Sie darauf, dass sozusagen für jeden Tenure-Track-Professor in der Größenordnung 130.000 Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Wie soll denn das funktionieren? Das funktioniert doch eigentlich gar nicht. Ich rede jetzt nicht vom Gehalt, ich rede davon, dass ein Professor eine Infrastruktur braucht. Er braucht Räume, er braucht Bücher, er braucht Labore, er braucht Ausstattung, Geräte, und das wird alles davon nicht zu finanzieren sein. Deshalb klingt es erstmal gut, aber die Verpflichtung ist sozusagen ein Anschub, eine Basis, und die Länder müssen am Schluss oder die Universitäten oder Hochschulen müssen am Schluss sozusagen kräftig dazuzahlen, um das hinzubekommen. Ich bin nicht wirklich sicher, ob das mit den tausend Tenure-Track-Professuren auch so zu finanzieren sein wird. Trotzdem ist es gut, dass man sich bemüht, den wissenschaftlichen Nachwuchs sozusagen weiter zu fördern. Auf der anderen Seite muss man das auch sehen im Verhältnis zu den Professorenzahlen in ganz Deutschland, da ist das nicht so wahnsinnig viel. Und ob die Stellen dann, die Professorenstellen dann auch nachhaltig von den Ländern eingerichtet werden, das muss man noch sehen, das ist ja noch offen.
Regelstudienzeit nur Anhaltspunkt
Maleike: Ich würde gerne auf eine weitere Schlagzeile aus dieser Woche kommen. Denn das Statistische Bundesamt hat die Nachricht herausgegeben, dass gerade mal vier von zehn Studenten an deutschen Hochschulen innerhalb der sogenannten Regelstudienzeit erreichen. Was läuft da falsch?
Hippler: Da weiß ich nicht, ob da was falsch läuft. Da läuft vielleicht falsch ...
Maleike: Das kann Sie nicht zufriedenstellen.
Hippler: Doch, das macht mir gar nichts, weil ich glaube, die Regelstudienzeit ist eine Idee aus der Politik. Das heißt aber nicht, dass man in der Regel auch da tatsächlich in dieser Zeit fertig sein muss oder mehr als das. Also, wenn die Hälfte in der Regelstudienzeit fertig wird, ist das schon ein Riesenerfolg. Man muss ja auch sehen, was eigentlich sonst noch alles während des Studiums passiert. Es gibt viele junge Leute, die müssen Geld verdienen nebenbei, die müssen Angehörige betreuen, sie haben Familie. Und von denen zu erwarten, dass sie in dieser Zeit tatsächlich fertig sind, ist, glaube ich, etwas übertrieben. Und wenn wir möchten, dass unsere jungen Leute über den Tellerrand schauen und noch was anderes machen, dass sie Praktika machen, dass sie ins Ausland gehen, dann muss man eigentlich sehen, dass man das von der Regelstudienzeit ausnimmt. Und ich glaube, die Regelstudienzeit ist sozusagen ein Anhaltspunkt, und das ist auch gut so, dass es den gibt. Aber dass das jedermann verpflichten sollte, auch dann tatsächlich nach den sechs Semestern mit dem Bachelor fertig zu sein oder nach den zehn Semestern mit dem Master, dann also mit dem Bachelor/Master fertig zu sein, ich glaube, das ist ein bisschen übertrieben, das muss auch nicht so sein und da gehört auch ein bisschen mehr Flexibilität in das System rein. Aber als Anhaltspunkt ist das, glaube ich, okay. Aber ich kann mir genauso gut vorstellen, dass man sich Gedanken darüber macht, dass man das ein bisschen freier gestaltet.
Maleike: Ich habe jetzt bei Ihrer Auflistung der Gründe gar nicht gehört, dass vielleicht auch mit der Lehre was nicht stimmen könnte oder die Hochschulen noch ein bisschen Luft nach oben haben, um einen Studienerfolg stärker zu garantieren.
Hippler: Also, das wird immer gesagt. Den Lehrern Schuld zu geben, dass ein Schüler das Abitur nicht schafft – tut mir leid –, das haben wir lange genug gemacht. Und die Konsequenz ist, dass eigentlich an den Schulen kaum noch Anforderungen gestellt werden und wir unheimlich viele Leute haben, die jetzt das Abitur machen. Jetzt dreht man das um und sagt: Die Universitäten haben Schuld, dass sie sich nicht hinreichend um die jungen Leute kümmern. Bei einem Betreuungsverhältnis von – was weiß ich – 70 Studenten auf einen Professor, ist das eigentlich gar nicht machbar, wenn die Leute dann auch tatsächlich forschen sollen und international tätig sein sollen. Und da muss man ein bisschen aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade auskippt – eigentlich hat man ja auch eine eigene Verantwortung. Das größte Problem, was wir haben in Deutschland ist, dass man als junger Mensch, wenn man an eine Hochschule geht, eigentlich gar nicht weiß, was einen erwartet. Denn es gibt, glaube ich, kein Studienfach, auf das man von der Schule her vorbereitet ist, auch wenn die Fächer gleich klingen. Das Fach Mathematik klingt genauso wie an der Schule, aber es hat mit der Schulmathematik gar nichts zu tun. Das Fach Physik klingt auch so, hat mit der Schulphysik gar nichts zu tun. Und das gilt bei anderen genauso. Und da muss man sich ein bisschen drauf einstellen. Es gibt viele, viele Studiengänge, die gibt es an der Schule gar nicht.
Maleike: Sie sprechen dort nicht gerade eine Warnung vor dem Studium aus?
Hippler: Nein, überhaupt nicht. Ich spreche eine Warnung aus zu glauben, dass wenn man irgendwas anfängt zu studieren, dass man das auch zu Ende studieren muss. Da ist ein großes Problem. Und da ist die Frage: Habe ich Zeit, habe ich Möglichkeiten mich so zu orientieren dann tatsächlich, dass ich zu meinen Fähigkeiten das richtige Studium finde? Und dann ist die zweite Frage, auch genau an dieser Stelle nochmal nachzudenken, ob nicht eine Berufsausbildung für mich besser geeignet wäre. Und das kriegt man eigentlich erst heraus, indem man das ausprobiert. Und dafür braucht man, glaube ich, ein Jahr Orientierung. Wenn Sie sich andere Länder anschauen, insbesondere die exzellenten Universitäten in den USA, da schreibt man sich nicht ein für ein Studium in eine gewisse Richtung, sondern da wird man zugelassen für ein Studium in Harvard und dann hat man ein Jahr Freshman Studium und dann studiert man in diesem einen Jahr mit Leistungsnachweisen und danach optiert man für ein Studienfach.
Reform des Bachelors
Maleike: Und damit sind wir schon mittendrin in Reformplänen, die Sie offenbar ernsthaft betreiben und wo man auch schon gehört hat, dass da Kontakt mit der Kultusministerkonferenz aufgenommen wurde: Sie wollen den Bachelor in Deutschland reformieren. Wie soll er aussehen in Zukunft?
Hippler: Ja, da muss man auch ein bisschen aufpassen und nicht glauben, dass es sozusagen "one form fits all" gibt. Das ist auch von Fach zu Fach durchaus unterschiedlich zu sehen. Und es ist auch unterschiedlich zu sehen von der Art der Hochschule, an der man da tatsächlich ist, und ich denke mal, diese Flexibilität und diese Offenheit muss sein. Was aber ganz, ganz wichtig ist – und dafür plädiere ich -, dass mindestens im ersten Jahr sozusagen die Leistungsnachweise, die man zu erbringen hat, nicht relevant sind für die Endnote. Denn in dieser Zeit entwickelt sich ein junger Mensch weiter und man verbaut eigentlich am Anfang den jungen Leuten die Chance, auch tatsächlich wirklich erfolgreich studieren zu können, weil das Frust erzeugt. Und das erzeugt Frust einmal auch für die Besten, aber auch für die nicht ganz so Guten. Und von diesem Frust müssen wir uns trennen. Wir brauchen mehr Freiheit, wir brauchen mehr Optionen, das Studium anzupassen an das Individuum. Ich denke mal, das war eigentlich auch die Idee, aber mit der Verschulung der Studiengänge, die wir jetzt in Deutschland haben, durch sozusagen eine etwas schwierigere Entwicklung des Bachelor-/Mastersystem, bedingt durch die ländergemeinsame Strukturvorgabe und bedingt durch das Akkreditierungssystem, haben wir an dieser Stelle wirkliche Schwierigkeiten, die Studiengänge und die Studienprogramme individueller zuzuschneiden für die jungen Menschen. Und ich glaube, dass ist vernünftig. Wir wissen ja auch, dass sozusagen das über das Fach Hinausschauen eigentlich sehr viel wichtiger ist als nur im Fach Kenntnisse zu erwerben.
Maleike: Also, wir haben bisher sechs Semester für den Bachelor – wie lange sollte er denn dann sein? Acht Semester oder an was denken Sie?
Hippler: Ja, sehen Sie, da machen Sie den gleichen Fehler, den alle anderen auch machen. Sie sagen: Das muss man irgendwie regeln und alles muss irgendwie gleich sein. Das hängt auch vom Fach ab. Und wenn Sie genauer schauen, gibt es ja auch in Deutschland mittlerweile auch bei den Bachelorstudiengängen Unterschiede. Die Architekten brauchen ein bisschen mehr, weil an der Stelle sozusagen der Master nicht immer wichtig ist, aber auch in gewissen Zeiten wichtig ist. Da muss man sich fachspezifisch nähern und da muss man eigentlich genauer hingucken, was man da will. Und zu glauben, "one size fits all", wird falsch sein. Also, Sie kennen ja meinen Ausspruch: "Ein Bachelor in Physik nach sechs Semestern, ist nie im Leben ein Physiker" – und dazu stehe ich.
Maleike: Was ist Ihr Wunschtermin für die Reform?
Hippler: Also, mit den Zahlen muss man vorsichtig sein, weil ich glaube, das ist gerade bei so komplexen Sachen so. Weil ich denke mal, das ist auch von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich, was man dann machen muss. Und ob alles, sozusagen, in jedem Fach dann in zwei Jahren erledigt ist, das weiß ich nicht, aber ich denke, für einige Fächer vielleicht doch. Und ich denke mal, die Studienreform, über die man da spricht, die Umstellung ... also, dass wir in Deutschland immer noch die meisten Studiengänge bei den Juristen haben, dass sie auf das Staatsexamen hingehen und keinen Bachelor/Master eingeführt haben, da muss man ja auch drüber nachdenken.
Flüchtlinge an deutschen Hochschulen
Maleike: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf eine Gruppe kommen, die zunehmend auch an die Hochschulen kommt und die auch eine große Herausforderung für die gesamte Gesellschaft ist. Ich würde gerne mit Ihnen über die Flüchtlinge an deutschen Hochschulen sprechen. Die Hochschulen haben offene Arme signalisiert, es gibt vielerorts spezielle Programme, Welcome-Centers und auch Studienangebote oder Studieneinführangebote. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Hippler: Also, die aktuelle Lage ist im Moment eigentlich noch sehr ruhig. Das hat aber mehrere Gründe. Der eine Grund ist, dass junge Leute, die auch teilweise von Hochschulen kommen als Flüchtlinge, in einem völlig anderen Hochschulsystem sozusagen aufgewachsen sind. Dort wird eigentlich eine Berufsausbildung an den Hochschulen gemacht, das ist in Deutschland nicht der Fall, in Deutschland findet die Berufsausbildung etwas anders statt. Das wissen wir und da muss man genauer hinschauen, ob das dann auch die richtige Qualifikation ist an dieser Stelle und ob es da nicht besser ist, tatsächlich in einen Beruf zu gehen und einen Beruf zu lernen. Die Information, die muss geliefert werden, in Deutschland von der Bundesanstalt für Arbeit oder von den Industrie- und Handelskammern, aber auch von den Hochschulen. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, dass natürlich auch die Voraussetzungen erstmal geschaffen werden müssen. Es geht nicht nur darum, die intellektuellen Voraussetzungen zu schaffen, es geht auch darum, sozusagen die Sprachen gelernt zu haben. Und dazu braucht man mindestens ein Jahr, dass tatsächlich Sprache und Kultur mitgelernt werden. Und insofern verzögert sich das. Also, die Welle, die nach Deutschland hineingeschwappt ist an Flüchtlingen, die wird schon noch an den Hochschulen ankommen, aber so schnell nicht. Wir machen regelmäßig Befragungen, wie die Bewerbungssituation ist. Die Bewerbungssituation hält sich mittlerweile noch in Grenzen, aber die Hochschulen stehen eigentlich sozusagen bereit, um damit umzugehen. Nur jetzt ist die Frage: Wie viele werden es denn wirklich? Das ist offen, und das ist natürlich auch von Studienfach zu Studienfach sehr, sehr unterschiedlich. Die Hochschulen sind in der Lage, damit auch umzugehen. Internationalität ist für Hochschulen, glaube ich, überhaupt kein Problem, weil an jeder Hochschule hinreichend junge Leute sind, fast aus aller Herren Länder. Also, insofern sehe ich das Problem sozusagen kommen, aber im Moment ist es noch keines.
Maleike: Sie hatten die Zahlen angesprochen. Die Bundesregierung geht davon aus – und die Zahl ist recht frisch –, dass etwa 70.000 erwartet werden in den nächsten drei Jahren. Bundesforschungsministerin Wanka hat auch gesagt, dass es für den Hochschulzugang für die Flüchtlinge extra Gratis-Eingangstests geben soll. Das finden Sie nicht gut.
Hippler: Das habe ich nicht gesagt, dass ich das nicht gut finde. Sie müssen sich aber natürlich dem stellen, wenn sie an dieser Stelle sozusagen anderen Personen den Hochschulgang verweigern und der Leistungsnachweis nicht erbracht wird, dann muss ich sagen, kriegen wir ein Problem. Dann kriegen wir ein Problem mit unseren eigenen jungen Leuten und auch sozusagen mit der internationalen Anerkennung. Und da einen Unterschied zu machen, ob jemand geflüchtet ist oder ob jemand sozusagen aus einem anderen Ausland kommt und in Deutschland studieren will, wenn die Leistungsnachweise und wenn die Leistungsbereitschaft vorhanden ist, kein Problem, aber einen anderen dafür auszuschließen, das kann nicht sein. Wir haben auch viele andere junge Leute, die studieren wollen, auch ohne Abitur, auch eigene, und die müssen genauso die Chance haben wie Flüchtlinge.
Maleike: Sie haben in einem Interview vor ungefähr vor vier Monaten hier im Programm gesagt, Sie fürchten, dass das Niveau an den Unis durch die Flüchtlinge, die vielleicht kommen, sinken könnte. Stehen Sie dazu noch?
Hippler: Dazu stehe ich, wenn man Sondertatbestände schafft: Das ist die Sonderzulassung. Die Eingangsvoraussetzungen müssen sozusagen gegeben sein, intellektuell von den jungen Leuten, darum geht es mir. Es geht nicht darum zu sagen: Wir machen Sondertests, wir machen neue Sprachprüfungen für alle, da habe ich überhaupt kein Problem damit. Das Problem ist, dass sozusagen man eigentlich beurteilen muss: Sind die jungen Leute in der Lage, ein Studium auch beenden zu können und das im Vergleich zu allen anderen, die auch antreten.
Maleike: Herr Hippler, wir haben unser Gespräch mit einer Schlagzeile begonnen, lassen Sie uns damit auch enden. Welche Schlagzeile über deutschen Hochschulen möchten Sie als nächstes am liebsten hören oder lesen?
Hippler: Deutsche Hochschulen sind sehr viel besser als ihr Ruf in Deutschland. International sind deutsche Hochschulen wirklich sehr, sehr gut anerkannt, was sich dadurch niederschlägt, dass die Nachfrage aus dem Ausland nach einem Studium in Deutschland stringent steigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.