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I am beat

Es entsprang einer launigen Fügung, daß wohl niemand häufiger zur literarischen Figur wurde als Herbert Huncke. 100 bis 120 mal wurde er nach eigenem Bekunden von den Protagonisten der Beat-Generation, von Allen Ginsberg, Jack Kerouac, und William Burroughs, in deren später zu Kultbüchern avancierten Romanen und Gedichten verewigt. Herbert Huncke starb 1996 im Alter von 81 Jahren. Alfred Hackensberger lernte ihn fünf Jahre vor seinem Tod in New York kennen. "Bei Herbert Huncke war es so, daß er dazu kam wie die Jungfrau zum Kinde", so Alfred Hackensberger. "Entdeckt wurde er von jugendlichen Studenten. Herbert Huncke verstand das Interesse an seiner Person und Lebensweise überhaupt nicht, da er sein ganzes Leben lang nur das tat, was er wollte, und sich nicht darum scherte, welche Konsequenzen das hatte."

Godehard Weyer |
    Herbert Huncke, der bewundernswerte Exot, lehrte die Nachwuchsliteraten die Sprache und die Verhaltensweisen eines vagabundierenden Lebenskünstlers, dem am Geld nichts lag, und der tat, was ihm Spaß machte. Seiner Unversöhnlichkeit den herrschenden Normen der Gesellschaft gegenüber ist er über all die Jahre treu gebelieben - bis ins hohe Alter hinein. Geschrieben habe auch er, betonte Herbert Huncke immer wieder, seit seinem 15. Lebensjahr. Die Geschichten, ergänzt sein Biograph, gewannen an Charme, sobald er sie selbst vortrug. Ein Storyteller sei er gewesen; der Durchbruch zum Schriftsteller blieb ihm verwehrt. "Der Hauptgrund war wahrscheinlich der: als die Studenten, die ihn entdeckt hatten, als Schreiber der Beatgenerationen berühmt wurden, saß Herbert Huncke im Knast. In allen Interviews, die sie dann geben mußten, hat keiner den Namen Herbert Huncke erwähnt. Sondern alle haben ihr Schaffen als ihre eigenen Ideen ausgegeben."

    Der Mann, der Mitte der 40er Jahre die jungen Studenten und Nachwuchsliteraten in seinen Bann zog, lebte ein Leben abseits jeglicher bürgerlicher Normen und Konventionen. Von ihm fasziniert war auch Alfred Hackensberger, sein Biograph. Herbert Huncke tat, wozu er Lust verspürte. Ebensoviel Lust bereitete es ihm, aus seinem bewegten Leben zu erzählen, wie er etwa William Burrouhgs 1946 kennenlernte: "Ich mochte Bill nicht, als ich ihn das erste Mal traf", so Huncke. "Eines Tages stand er vor der Tür meines Appartments in seiner typischen konservativen Kleidung mit grauem Anzug und einem Chesterfield-Regenmantel. Er sah aus wie ein FBI-Agent. Aber er blieb, und an diesem Abend half ich ihm, sich den ersten Schuß Morphium zu setzen. Ich traf Bill dann regelmäßig, auch Kerouac und Ginsberg, der sich zu jener Zeit wie ein kleines Kind benahm. Er war gerade 19 Jahre alt. Sie bildeten eine Gruppe intellektueller Studenten. Sie wuchsen in behüteten Verhältnissen auf. Sie sprachen sehr viel über mich und stellten mich allerlei Leuten vor. Plötzlich war ich ein Teil der Szene."

    Mit 15 Jahren war Herbert Huncke von zu Hause losgezogen - ohne recht den Grund seines Aufbruchs zu wissen. Das einzige, was ihm mißfiel, so berichtete er es Alfred Hackensberger, sei die Gewißheit gewesen, daß das Leben, das seine Eltern führten, ihn nicht ausfüllen würde. Herbert Huncke also zog los und reiste von Chicago quer durch die USA; mal trampte er, mal sprang er auf einen Güterzug auf; er jobte mal hier, mal dort und lernte so gut wie jede amerikanische Großstadt kennen. Herbert Huncke war "On the road" und sollte so Vorbild werden für Jack Kerouacs gleichnamigen Roman. Anfang der 40er Jahre kam Herbert Huncke nach New York und tauchte in die urbane Unterwelt ein; sein Zuhause wurden der Times Square und die 42. Straße. Der Ankunft in New York hat Alfred Hackensberger ein eigenes Kapitel gewidmet. In 25 Kapiteln breitet er das Leben Herbert Hunckes aus - dramaturgisch klug aufgebaut, stilistisch ausgefeilt und mit einem Schuß Euphorie geschrieben, ohne den den Lesern ein Lesespaß nicht vermittelbar ist. "Er hat sich als Stricher verdingt, als Dieb, als Junkie, als Dealer", so Hackensberger. "Da kann man vestehen, daß er sich in der Welt der 42. Straße wohl gefühlt hatte, insbesondere da diese Gegend keinen Ghetto-Charakter hatte, sondern sich inmitten von Lichtern, Kinos, Konzertsälen befand."

    Herbert Huncke war ein kleingewachsender Mann, die Wangen eingefallen und stets bleich, die Haare voll und schwarz selbst im hohen Alter noch, mit tiefliegenden blauen Augen und Füßen, die eindeutig zu groß ausgefallen waren. Herbert Huncke wurde respektvoll König des Times Square gerufen. Hier, im Herzen Manhattans, kreuzte sich sein Weg mit dem der Nachwuchsliteraten, die bald darauf zu Weltruhm gelangten. Alfred Hackensberger über die Faszination, die Herbert Huncke auf Allen Ginsberg, Jack Kerouac und Williams Burroughs, die jungen Nachwuchsliteraten ausübte: "Der Mann aus der Gosse bekommt für die intellektuellen Studenten den Status einer Art Urgestein, er ist die leibhaftige Verkörperung eines gesellschaftlichen Zustandes, der bisher nur als Theorie in den studentischen Köpfen existierte. Herbert Huncke war immer an Menschen interessiert, an ihren Vorzügen, an ihren Fehlern, an ihren Fähigkeiten, die er vielleicht nie besitzen würde. Ihn interessierte nicht das Gleiche; er war fasziniert vom Unterschied. Huncke war einer jener Menschen, die nichts unversucht ließen. Skrupel kannte er dabei wenig."

    Herbert Huncke vermutet, daß sein von allen Konventionen losgelöster Lebensstil dem idealisierten Weltbild der jungen Studenten wohl entsprochen haben mußte. Im Chelsea-Hotel, in dem er ein Jahr vor seinem Tod ein Zimmer bezog, stand er Alfred Hackensberger zwei Wochen lang Rede und Antwort. Die Termine, das hatte der Autor aus Begegnungen in den Jahren zuvor erfahren, hielt Herbert Huncke bestenfalls sporadisch ein. Was er dann meist zu nächtlicher Stunde erzählte, war freilich verläßlich; andere bestätigen es - Allen Ginsberg zum Beispiel, als er noch lebte: "Einen Großteil der Sprache, die Burroughs, Kerouac und ich benutzten und Teil der Beat-Kultur wurde, hörten wir zuerst von Huncke. Er ist der Transmitter des Vokabulars. Hip, Beat, Trip, Joint, Grass - all die Ausdrücke stammen von Huncke. Das meiste der Sprache und der Beschreibungen der physischen Verhaltensweisen der Hip-Subkultur kommen von Huncke. Er ist der Erfinder der Sprache und der Verhaltensmuster, die als hip bekannt wurden. Das wort hip, wie er es ursprünglich benutzte, bedeutete, o.k. zu sein und nicht im Verdacht zu stehen, ein verdeckter Drogen-Fahnder zu sein."

    In Jack Kerouacs erstem Roman "The Town and The City" firmiert Herbert Huncke unter dem Namen Junkey, ein arabisch aussehender Mann mit ovalem Gesicht und großen blauen Augen, wie Kerouac seinen Protagonisten beschreibt. In Allen Ginsbergs bekanntestem Gedicht "Howl" stapft Herbert Huncke mit blutenden Füßen durch die schneeverwehten Docks im Süden von Manhattan, eine wahre Begebenheit, in der der junge Ginsberg Herbert Huncke eines Morgens vorfand. Und in William Burroughs Klassiker "Junkie" versteckt sich hinter der Person William Lees das Leben Herbert Hunckes. "Manchmal, wenn mich Leute fragten, wie es mir denn ginge", so Huncke, "sagte ich: ‘Hey Mann, ich bin beat, ich fühle mich müde und ausgelaugt’. So nahm alles seinen Anfang. Ich glaube es war Allen Ginsberg oder Jack Kerouac, die beschlossen, uns Beat-Schreiber zu nennen. Aber zu der Zeit saß ich im Gefängnis."

    Alfred Hackensbergers Buch über Herbert Huncke ist eine Biographie abseits herkömmlicher Biographien. Auf 168 Seiten entwirft er eine Collage verschiedener Ereignisse, Geschichten und Situationen, die Herbert Huncke ihm erzählte, die er mit ihm erlebte, die Hunckes Freunde ihm berichteten. Fotos ergänzen das Geschriebene. Es entsteht das Bild eines Mannes, der den Beatniks Vorbild wurde für deren antibürgerlichen Impetus. Menschen vom Schlage eines Herbert Huncke gibt es unzählige. Das vorliegende Buch erzählt, wie ausgerechnet er, Herbert Huncke, zum Urheber weltumspannender Protestbegriffe wie "Beat", "Hip" oder "Joint" wurde, wie spätere Jugend-Generationen, eher unbewußt als bewußt, seinen exzessiven Lebensstil kopierten. Für den Autor des Buches, für Alfred Hackensberger, liegen Anfänge und Auswüchse der Jugendkultur in der Person und im Leben Herbert Hunckes vereint - eine schicksalhafte Fügung, die ihn bewog, dieses Buch zu schreiben.