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Im Labyrinth des Rechts

Gemälde und Skulpturen, Vasen und Silberarbeiten verkörpern neben dem kulturellen auch einen ungeheuren materiellen Wert. Und der weckt Begehrlichkeiten: bei kriminellen Grabräubern ebenso wie bei den Kämmerern finanzschwacher Kommunen, die im Verkauf von Kulturgütern plötzlich eine schnelle Möglichkeit entdecken, die leeren Kassen wieder aufzufüllen. So kommt eine Tagung gerade recht, die heute in Bonn zu Ende geht und dem Kulturgüterschutz in all seinen Aspekten gewidmet ist.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 10.10.2006
    Alles ist grenzenlos global: der Verkehr, der Handel, die Geldströme. Aber zwei Dinge sind national: erstens, das Kulturerbe. Kulturstaatsminister Neumann hat deshalb, wie er sagte, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger in einem Gespräch Ende letzter Woche deutlich gemacht, was auf dem Spiel steht, wenn die umstrittene Schriftensammlung der badischen Landesbibliothek zum Verkauf gelangt. Und er hat - mit einem kräftigen "Wehret den Anfängen" - das auch zum Beginn dieser zweitägigen Konferenz in Bonn deutlich gemacht.

    Dass die Konferenz so unmittelbar vor dem deutsch-russischen Gipfeltreffen stattfindet, ist sicher kein Zufall. An politischer Geschicklichkeit mangelt es Neumann jedenfalls nicht. Der Verbleib der so genannten Beutekunst ist immer noch ein wunder Punkt im deutsch-russischen Verhältnis.

    Und das ist eben das zweite, was in unserer globalisierten Welt weitgehend national geblieben ist: das Recht - sowohl das so genannte Sachenrecht als auch das Strafprozessrecht, wie sich bei der internationalen Suche nach Kunstdieben und Hehlern immer wieder erweist.

    Wenn zum Beispiel ein Bild, das in Deutschland entwendet wurde, in Italien zum Verkauf gelangt und über einen Zwischenhändler in einer belgischen Sammlung landet, dann kann es gut sein, dass der ursprüngliche Eigentümer nach einer gewissen Zeit leer ausgeht, wenn die Faktoren des gutgläubigen Erwerbs, der Ersitzung und der Verjährung ihre rechtlichen Wirkungen entfalten. Wie das im einzelnen vonstatten geht, erörtern die Juristen mit einer Subtilität, die manchmal an scholastische Debatten über das Geschlecht der Engel erinnert.

    Da ist zum Beispiel das Kriterium der Gutgläubigkeit, über das Prof. Dirk Looschelders von der Universität Düsseldorf referierte:

    Es soll ja Kunstkäufer geben, die nie irgendwelche Fragen stellen, damit sie immer sagen können, sie hätten nichts gewusst. Doch solche mutwillige Ignoranz wird im Internetzeitalter immer schwerer. Tatsächlich vollzieht sich durch die elektronischen Recherchiermöglichkeiten seit zehn Jahren ein grandioser Umbruch auf diesem Gebiet. Dank dem internationalen, von Händlern, Auktionshäusern und Versicherungen gemeinsam geführten Art Loss Register sowie der Datenbank der deutschen Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg kann heutzutage jeder sekundenschnell per Internet prüfen, ob ein bestimmtes Stück eine anrüchige Geschichte hat. Freilich können auch Ganoven auf dieselbe Weise prüfen, ob ihre Ware zur Fahndung ausgeschrieben ist.

    Viel von den juristischen Hickhack um den Erwerb und Verlust von Eigentumsrechten könnte vermieden werden, wenn jedes Land dem Vorbild Frankreichs folgen würde. Dort gibt es den "Code du patrimoine", ein umfassendes Kulturgüterschutzgesetz, dem alle staatlichen und sogar einige private Sammlungen komplett unterfallen. Diese dürfen grundsätzlich nicht außer Landes geführt werden, man kann ihr Eigentum nicht ersitzen und etwaige Herausgabeansprüche können nicht verjähren - einfach weil ein Kunstwerk in Frankreich als eine ganz besondere Sache gilt, eine "res extra commercium".

    Kulturstaatsminister Neumann mag diesem Grundgedanken zustimmen, von einer gesetzlichen Konkretisierung sind wir noch weit entfernt. Es gibt zwar auch in Deutschland eine Liste von Dingen, die unter besonderem staatlichen Schutz stehen und nicht ins Ausland verkauft werden dürfen. Aber während es in Frankreich mehrere Hunderttausend Stücke sind, stehen auf der deutschen Liste gerade mal 500.

    Doch nicht nur die Ausfuhr ins Ausland ist manchmal problematisch, sondern schon die leihweise Einfuhr ins Inland - wenn es sich um Kunstgegenstände handelt, deren Eigentum umstritten ist. Es hat in letzter Zeit einige spektakuläre Beschlagnahmungen gegeben, die mögliche Leihgeber weltweit verschreckt haben. Für sie wurde eine Art Freibrief entwickelt, eine rechtsverbindliche Rückgabezusage, die zumindest für die Dauer einer Ausstellung gilt. Für Beutekunst jedoch kommt dieses Freie Geleit aus völkerrechtlichen Gründen nicht in Frage. Man wird sie deshalb nie als Leihgabe in Deutschland sehen.