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Im Land der Skipetaren

Albanien - ein Land, das fast 50 Jahre lang hermetisch abgeriegelt war. Bis Mitte der 80er-Jahre regierte dort der rigorose Diktator Hoxha. Anfang der 90er-Jahre gab es die ersten freien Wahlen. Aber noch heute kämpft das Land gegen viele alte Vorurteile.

Von Monika Sandmann | 09.05.2010
    Ein normaler Vormittag in Tirana, der Hauptstadt Albaniens. In den letzten Jahren hat sich sehr verändert. Höllischer Verkehr auf dem mehrspurigen Boulevard. Verkehrsregeln gibt es, doch wer sich daran hält, kommt nicht weit. Besser man geht gleich zu Fuß: auf dem breiten Mittelstreifen, der die Fahrtrichtungen trennt. Dort führt ein saftig grüner Rasen in leichter Neigung zum kleinen Fluss Lana. Fleißige Angestellte der Stadt wässern die Anlage und pflegen sie. Das ist das Werk von Edi Rama, Bürgermeister der Stadt. Vor sieben Jahren initiierte er das "Clean and Green"-Projekt und räumte Tirana gründlich auf. Gjergij Mihali, mein Reiseführer, der selbst erst vor knapp einem halben Jahr aus München hierher zurückgekehrt ist, zeigt mir die bunten Häuser, die sich am Boulevard entlang schlängeln. Auch das ist ein Projekt Edi Ramas:

    "Der wollte halt die graue Farbe von Kommunismus wegtun, deshalb hat er ein paar Häuser so auf seine Art und Weise angemalt und gefärbt mit verschiedenen Farben. Also, die sind nicht zueinander ähnlich. Die sind ganze Besonderheiten."

    Eine Besonderheit moderner Zeit. Die Stadt blickt aber auf eine lange Geschichte zurück. Gegründet wurde sie schon im 17. Jahrhundert. Einflüsse aus verschiedenen Epochen und Regionen lassen sich noch heute überall finden. Als Wahrzeichen gilt der 1830 erbaute, 35 Meter hohe Uhrturm im Stadtzentrum. Und auch er kann mit einer "Besonderheit" dienen:

    "Das ist in Deutschland hergestellt worden diese Uhr."

    Direkt dahinter liegt die Et'hem Bey Moschee, ein Relikt osmanischer Zeit, die selbst dem Kommunismus standhielt. In den 30er-Jahren dann kamen italienische Architekten und brachten mediterranes Flair in die Stadt. Viele Regierungsgebäude und auch die Nationalbank wurden von ihnen erbaut. Die riesige Pyramide mitten in der Stadt ist allerdings eine kommunistische Hinterlassenschaft:

    "Die Architektin, die das entworfen hat, ist die Tochter von Enver Hoxha, von dem damaligen Diktator und das war gebaut worden, um die Gegenstände oder die verschiedenen Bilder von dem damaligen Diktator halt reinzubringen, als ein Museum zu machen."

    Doch zum Museum hat es nicht mehr gereicht. Der Kommunismus hatte abgedankt. Heute ist die Pyramide heruntergekommen. Ihre schrägen Wände werden von Kindern als Kletterwand und Rutsche genutzt. Bald wird dieser Spaß vorbei sein. Die Pyramide soll renoviert werden. Ähnlich wie die Pyramide hat auch das ehemalige, streng abgeschottete, kommunistische Regierungsviertel, der "Block", eine ganz neue Bedeutung bekommen.

    "Das Nachtleben (wird genau da), ist genau da (mehr los), wo damals der Regierungssitz war, also der sogenannte Block."

    Der Block ist ein lebhaftes Viertel, voller Bars und Restaurants. Junge, gestylte Menschen treffen sich hier in coolem Ambiente. Wenn Enver Hoxha das wüsste. Er würde sich im Grab umdrehen. Immerhin überziehen noch immer seine mehr als 700.000 Betonbunker das Land. Hoxha hatte sie nach seinem Austritt aus dem Warschauer Pakt bauen lassen.

    "Die waren als Schutz der Bevölkerung gemeint. Falls irgendwas sein sollte, das irgendwelche andere Land nach Albanien eindringen wollte oder uns halt angreifen wollte, da hat er gedacht, das wäre der beste Schutz halt für die albanische Leute."

    Wie putzig-klobige Comicfiguren tauchen die Ein-Mann-Betonbunker mit ihren rechteckigen Sehschlitzen kolonnenweise auf Feldern, vereinzelt an Stränden oder verstreut in den Berghängen auf. Fährt man die kurvigen Bergstraßen durch die atemberaubende Landschaft entlang, wird einem dann doch leicht beklommen. Man denkt unweigerlich an George Orwells "1984" - "Big brother ist watching you". Versuche, die Beton-Relikte zu entfernen, sieht man unterwegs immer wieder, doch die soliden Bunker trotzen bis heute ihren Feinden. Und das ist auch gut so:

    "Die sind halt ein Zeichen des Kommunismus. Und Kommunismus, ob gut oder schlecht ist, das ist Geschichte Albaniens."

    Doch die Geschichte des Landes reicht viel, viel weiter als seine kommunistische Ära. Die Albaner gelten als Urahnen der Illyrer, es folgten die römische und die byzantinische Epoche. Anfang des 15. Jahrhunderts eroberten dann die Osmanen das Gebiet. Bis sich ihnen ein mutiger Albaner entgegenstellte. Sein Name: Skanderbeg

    "Eigentlich der richtige Name von Skanderbeg ist Gergji Kastrioti. Skanderbeg hat er als Name bekommen, also in Ehre dem Großen Alexander von Mazedonien. War auch so ein Kämpfer wie dieser Alexander und so schlau und so diplomatisch wie Alexander. Deswegen haben die Leute beschlossen, ihn zu beehren und ihm diesen Namen Skanderbeg zu geben."

    Im ganzen Land stößt man auf Skanderbeg: mitten in Tirana, wenn man den "Skanderbeg"-Platz betritt oder in den Souvenirläden, wo es den guten Skanderbeg-Cognac in allen Qualitätsstufen gibt. In Abwandlung liest man aber auch Skanderbegs eigentlichen Namen: Kastrioti. So heißen Tankstellen und Geschäfte. Natürlich findet man Skanderbeg auch in den Museen, als Statue und auf den Gemälden. Selbst der ungeübte Tourist kann ihn nicht verfehlen, denn der albanische Nationalheld ist unverkennbar. Auf seinem Helm thront nämlich ein Ziegenkopf:

    "Das hat so eine Bedeutung, dass damals als osmanische Reich, also die Türken hier in Albanien eindringen wollten, wurde hier in Kruja die Burg von Skanderbeg wurde umkreist von Türken und das war schwer halt da durchzukommen. Und deswegen haben die Skanderbeg-Leute also gedacht, zusammen mit Skanderbeg, dass sie diese Ziege an ihren Hörnern anzünden, und sie haben die Ziege dann in der Nacht so auf die eine Richtung geschickt. Dabei haben die Türken, die Osmanen gedacht, dass das die Armee von Skanderbeg ist und die sind halt hinterhergelaufen. So war die Blockade von Türken halt durchgebrochen und der Skanderbeg mit seiner Armee konnte halt dann frei auf die andere Seite gehen und deswegen hat seit damals, seit dieser Zeit hat Skanderbeg immer also als sein Zeichen auf dem Helm immer eine Ziege mit Hörnern."

    Kruja, die kleine Stadt in der Nähe Tiranas, ist ganz Skanderbeg ausgerichtet. Enver Hoxhas Tochter erbaute ihm dort zu Ehren ein Museum. Doch nicht nur in Kruja, sondern im ganzen Land finden sich Relikte aus uralten Zeiten. Zum Beispiel in Durres. Die älteste Hafenstadt Albaniens wurde vom illyrischen König Epidamnos im siebten Jahrhundert vor Christus gegründet. 1966 machte dort ein Anwohner beim Umgraben seines Gartens spektakuläre Funde: Überreste eines römischen Amphitheaters aus dem zweiten Jahrhundert.

    "Von diesem Amphitheater ist nur ein Drittel entdeckt worden. Da sind noch zwei Drittel von zu entdecken. Und mit dieser Arbeit beschäftigen sich ein paar Studenten aus Parma, aus einer Stadt in Italien, die Archäologie studieren, die kommen ebenso einmal im Jahr hier und verbringen so ein, zwei Monate hier, um halt hier diese andere Entdeckung zu machen."

    Schon jetzt ist klar, dass noch etliche Wohnhäuser werden weichen müssen. Denn unter ihnen befinden sich die übrigen zwei Drittel des vermutlich größten Amphitheaters auf dem Balkan. An die 20.000 Zuschauer fanden dort Platz. Auch die zweitgrößte Hafenstadt Albaniens punktet mit ihrer Geschichte.

    "Also in Vlora wurde die Unabhängigkeit Albaniens erklärt. Tausend eh, 1912 war das, am 28. November 1912 ist die Unabhängigkeit Albaniens erklärt worden. Und der Mann, der die Unabhängigkeit Albaniens erklärt worden hat, ist Ismael Qemal. Der kommt auch aus Vlora und der war der erste Präsident Albaniens."

    Qemal verhinderte damals die Aufteilung Albaniens. Die Griechen sollten den Süden bekommen, die Serben den Norden. Die Scheidelinie wäre der Fluss Shkumbin gewesen.

    "Das ist genau die Grenze zwischen Norden und Süden und das sind zwei verschiedene Dialekte, die werden genannt toskische Dialekt im Süden und gegische im Norden. Das hat auch die Bedeutung, warum die Flagge von Albanien einen zweiköpfigen Adler hat, also das heißt Zusammenhalten mit Süden und Norden."

    Und tatsächlich halten der Norden und Süden zusammen. Streitigkeiten gibt es keine. Auch wenn beide Landesteile verschiedener kaum sein könnten: der raue, karge Norden und der sonnige Süden mit seinem angenehmen Mittelmeerflair.

    "Also albanische Riviera, das ist von Vlora nach Saranda. Die ganze Meeresküste da, wo man auch in der Nähe mit dem Auto die ganze Strecke lang fahren darf und fahren kann."

    Man blickt auf endlose Strände mit türkisblauem Meer, vom Tourismus noch nahezu unberührt. Immer höher in die Berge geht es mit dem Auto.

    "Da kommt ein sogenannter Lloraga-Pass und das Besondere daran ist, dass eh diese Llogara liegt eh tausend Meter über dem Meeresspiegel und von da aus hat man so´nen schönen Ausblick, schöne Aussichten übers Meer und ist auch das Besondere daran, da oben ist manchmal, meistens kommt Nebel auf."

    Tatsächlich. Innerhalb von Sekunden ist plötzlich überall Nebel. Man sieht keine zwei Meter weit. Doch genauso schnell, wie er aufgetaucht ist, verschwindet der Spuk wieder. Am Ende der Küstenstraße, fast an der griechischen Grenze, gelangt man zu Albaniens touristischer Hochburg. Saranda. Am Abend geben die Korca-Brüder ein Open-Air-Konzert. Reiseführer Gjergij Mihali kennt die Beiden, die aus Korca, seiner Heimatstadt im Osten des Landes stammen. Die Brüder sorgen für ordentlich Stimmung.

    Die zwei schönsten Städte Albaniens liegen aber im Landesinneren: Gjirokastër, die Stadt der 1000 Stufen. Direkt in die Berghänge gebaut, stehen die festungsähnlichen Häuser fast aufeinander. Die meisten von ihnen sind jahrhundertealt.

    "Was bemerkenswert ist, dass da die alten Häuser, die Meisten von alten Häusern im Ganzen weiß gefärbt sind. Das ist auch die typische Farbe der Gjirokastër."

    Seit 2005 gehört die Stadt zum Weltkulturerbe der Unesco. Gjirokastër sehr ähnlich ist die Stadt Berat. Auch sie wurde an Berghängen erbaut, doch anders als in Gjirokastër wirken hier die Häuser ganz und gar nicht abweisend:

    "Also von unten kann man so viele Fenster sehen, weil die Häuser so nah aneinander dran sind und deswegen ist halt so eine figurative gemeinte Name, Stadt der 1000 Fenster."

    Mitten durch die "Stadt der 1000 Fenster" fließt der Osumi-Fluss, direkt an der viel befahrenen Durchfahrtstraße. Doch der Verkehr stört die Bewohner nicht. Allabendlich wird der Bürgersteig am Fluss zur beliebten Flaniermeile für Jung und Alt. Fröhlich spielende Kinder, Großeltern, die sich um sie kümmern und viele verliebte Pärchen. Die Liebe spielte hier in Albanien schon immer eine große Rolle. Wie die Entstehung des Flusses Osumi zeigt.

    "Tomori-Berg und Spirago-Berg, die waren in der Mythologie zwei Giganten, die für eine sehr, sehr schöne Frau aus Berat eh gekämpft haben. Und die haben sich gegenseitig umgebracht und diese Frau hat so geweint und durch ihre Tränen ist halt der Fluss entstanden worden. Der heutige Osumi-Fluss."
    Berat, Stadt der 1000 Fenster
    Berat, Stadt der 1000 Fenster (Monika Sandmann)