So vielfältig kann Kunst sein: Auf dem roten Grund der zehn mal zwölf Zentimeter großen Leinwand sieht man braune, zur Faust zusammengeballte Finger. Auf einem anderen Bild eine hellhäutige Frau, die sich vom Schattenriss einer dunklen Männerfigur abhebt. Ein Künstler hat Knöpfe in unterschiedlichen Farben und Größen auf der Leinwand befestigt. Und nebenan sticht die Fotomontage mit einem ausgebrannten Auto in einer afrikanischen Großstadtstraße ins Auge. Das sind Beispiele aus der "Imago Mundi" Sammlung von Künstlern aus Mauretanien und Gambia. In den Ausstellungsräumen der "Gallerie delle Prigioni", dem neuen Museum von Treviso, werden sie zusammen mit Arbeiten aus der Region Sahara gezeigt.
",Imago Mundi' ist ein Projekt der Gegenwartskunst, das auf eine Idee von Luciano Benetton zurückgeht. Es fußt auf nationalen Sammlungen, wobei jede Sammlung mit bis zu 240 Arbeiten ein Land, ein Volk oder eine Gemeinschaft repräsentiert."
Eine Weltkarte aus Kunstwerken
Der Grieche Nicolas Vamvouklìs gehört zum Kuratorenteam dieser Ausstellung in den umgebauten Räumen eines ehemaligen Gefängnisses von Treviso. Bei dem Umbau zum Museum hat man versucht, den Charakter der Anlage mit Gängen, Gittern und Zellen zu erhalten.
"Uns interessieren bei dem Projekt ,Imago Mundi' die kulturellen Unterschiede, die verschiedenen Arten zu kommunizieren. Es geht darum, eine Weltkarte aus Kunstwerken zusammenzustellen. Eine stetig wachsende Karte, immer auf der Suche nach Alternativen, nach jungen Stimmen, die die Komplexität der Welt durch Kunst erforschen."
Die Arbeiten – Malereien, Zeichnungen, Collagen, Fotos, kleine Skulpturen, Objekte oder auch Texte – sind in Fächern von Holzstellwänden untergebracht. Die Ausstellungselemente, die jeweils bis zu 35 Einzelarbeiten aufnehmen, dienen zugleich dem Transport. "Imago Mundi" war von vornherein auf Wanderausstellungen ausgerichtet. Das neue Museum zeigt nun kleine Teile der Sammlungen in Rotation. Dazu werden einige Künstler aus den jeweils ausgestellten Ländern eingeladen, sich auch im großen Format zu präsentieren.
Kunst ist Politik
Zum Beispiel Oussama Tabti aus Algerien. In seiner Installation mit Astgabeln und einem Lautsprecher erinnert er an den Musiker Mohamed El Badji, der 1957 während der Schlacht um Algier ins Gefängnis gesperrt wurde. Seine Wärter verhöhnten ihn als einen Finken und riefen ihm zu: "Sing, kleiner Vogel, sing". Daraus entstand später der berühmte Song "Maknine Ezzine". Der gesellschaftliche Aspekt von Kunst, so unterstreicht Nicolas Vamvouklis, ist in den Sammlungen von Imago Mundi mit Händen zu greifen.
"Kunst ist Politik. Dieser Aspekt zieht sich durch alle Sammlungen. Die Arbeiten stellen sich ästhetischen Fragen, aber genau so anthropologischen, historischen, soziologischen Fragen. Jede Sammlung bildet einen Querschnitt, formt ein künstlerisches Bild auch der politischen und sozialen Verhältnisse eines Landes."
Das kann man gut nachvollziehen bei einer weiteren Ausstellung von Sammlungen, die gerade in Triest eröffnet wurde. Unter dem Titel "Unire le distanze" – "Vereine die Entfernungen" - werden zum Beispiel Arbeiten aus Syrien gezeigt, die ein ganzes Ausstellungselement füllen: Smartphones, auf denen jeweils verschiedene Kurzvideos mit Szenen aus dem Bürgerkrieg zu sehen sind.
Ein faszinierend weltoffenes Projekt
Bei dieser Ausstellung in Triest werden auch Werke von Künstlern präsentiert, die in Deutschland leben. Arbeiten unter anderem von Olaf Nicolai, Christin Lahr oder Sabine Groß.
",Imago Mundi' ist ein demokratisches Projekt, denn international bekannte Künstler stehen hier neben aufstrebenden. Alle werden gleich präsentiert, ob Meister oder Schüler."
So auch in den rund 80 Einzelkatalogen, die bislang zu den jeweiligen Sammlungen herausgegeben wurden und in denen die Werke in Originalgröße abgebildet sind. Die ganze Welt im kleinen Format von der Kunst der Albaner bis zu der der Pygmäen, von der aus Palästina bis zu der aus Tibet, den USA oder Zypern. "Imago Mundi" ist ein faszinierend weltoffenes Projekt. Wichtig gerade in Zeiten, in denen man in Europa Wahlen durch das Schüren von Ängsten vor dem Fremden und dem Anderen gewinnen kann.