Dr. Osama Hamouda vom Robert Koch-Institut in Berlin kann das Ziel klar benennen, es ist die Zahl 80: "In Deutschland dürften wir nicht mehr als 80 Masernfälle pro Jahr haben." Dann wäre eine von zwei Bedingungen erfüllt, damit die Weltgesundheitsorganisation Deutschland als masernfrei einstuft, erläutert der Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am Robert Koch-Institut. Die zweite Bedingung: "Die Impfabdeckung, also wie viel Prozent der Bevölkerung sind geimpft."
Hier lautet das Ziel 95. 95 Prozent der Bevölkerung müssen zweimal gegen Masern geimpft sein. Der aktuelle Masernausbruch in Berlin mit mehr als 1200 Fällen zeigt: Deutschland ist noch um einiges entfernt von diesem Ziel. Deswegen wurde in den vergangenen Monaten unter Federführung des Robert Koch-Instituts ein neuer nationaler Aktionsplan Elimination der Masern erarbeitet. Dr. Hamouda skizziert den Inhalt:
"Wir haben mit dem Aktionsplan versucht, ein Konzept zu entwickeln, was sowohl sich an die politische Ebene richtet, dass die Maßnahmen die notwendig sind um Masern zu eliminieren von der politischen Seite unterstützt werden, als auch an die verschiedenen Akteure. Das geht von dem öffentlichen Gesundheitsdienst über die Ärzte über die Krankenversicherungen und über die Krankenkassen, eben an alle, die in diesem Bereich tätig sind."
Alle müssen mit
Alle sollen mitmachen, das ist wichtig. Einmal, weil das deutsche Gesundheitssystem mit föderalen Strukturen, einer medizinischen Selbstverwaltung und vielen Krankenkassen nicht von oben herab zu dirigieren ist. Hier läuft nichts ohne Zustimmung und Kooperation. Zum Anderen sind aber auch die Hindernisse auf dem Weg zur Masern-Elimination ganz unterschiedlich. Ein Problem: Viele Menschen, die hilfesuchend nach Deutschland fliehen, kommen aus Ländern, wo Krieg und Not das Impfen unmöglich machte. Dr. Inka Daniels-Haardt beschreibt die Schwierigkeiten:
"Wir versuchen, so früh wie möglich zu impfen, aber einfach ist es nicht. Wir haben ja große Ströme von Asylsuchenden, die in unsere Einrichtung hineinkommen und das stellt natürlich logistisch vor ganz ganz große Herausforderungen."
Eigentlich sollten die Neuankömmlinge mindestens zwei Tage in der Erstaufnahme-Einrichtung bleiben. Doch wenn viele Menschen auf einmal ankommen, dann werden einige gleich weitergeschickt, in andere Einrichtungen, weil zu wenig Platz ist, beschreibt die Leiterin des Fachbereichs Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung im Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen. Da bleibt keine Zeit für die medizinische Untersuchung.
"Und das ist viel vorgekommen gerade in diesen Spitzenzeiten letzten Herbst, das die Leute ungeröntgt, ohne Registrierung, ohne alles, einfach erst einmal weitergeschickt wurden."
Weitergeschickt - auch ohne Impfung. Hier könnte eines vor allem helfen, meint Dr. Daniels-Haardt:
"Der Schlüssel ist wirklich die Erweiterung der räumlichen Kapazitäten. Wenn man da ein bisschen Luft hat und genug Plätze hat, ich glaube, dann erreichen wir eine Entspannung der Situation."
Impfungen bekannter machen
Der Punkt "Asylsuchende" ist nur einer von vielen im nationalen Aktionsplan. Ein anderer Punkt: Fachübergreifendes Impfen soll möglich werden. Damit zum Beispiel der Kinderarzt die Eltern gleich mit impfen darf. Hier sind die Kassenärztlichen Vereinigungen gefragt, die dies meistens verbieten, obwohl es medizinisch gesehen kein Problem wäre. Und auch die Ärzte sollen eingebunden werden: Sie sollen stärker auf notwendige Impfungen hinweisen, Patienten daran erinnern, schlägt Dr. Hamouda vor:
"Viele Ärzte scheuen sich, weil sie glauben, dass sie viel Zeit für Beratung aufwenden müssen und dann nur ein sehr geringes Honorar für die Impfung an sich bekommen, also hier wären Verbesserungen möglich."
Der nationale Aktionsplan enthält noch einige weitere Vorschläge, viele, wenn nicht alle, kosten Geld. So auch die neu eingerichtete Geschäftsstelle am bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Sie soll die Umsetzung der Maßnahmen koordinieren. Ihre Finanzierung ist schon mal geregelt.