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In verschiedenen Posen

Das Werk der Else Lasker-Schüler erhält durch die Kritische Ausgabe ein neues Profil. Denn nach je einem Band mit Gedichten und Dramen sowie drei Bänden Prosa folgten sechs umfangreiche Bände mit Briefen. Und erst durch diese Korrespondenz erschließt sich das Gesamtbild der Schriftstellerin.

Von Eva Pfister |
    Das Werk der Else Lasker-Schüler erhält durch die Kritische Ausgabe ein neues Profil. Denn nach je einem Band mit Gedichten und Dramen sowie drei Bänden Prosa folgten sechs umfangreiche Bände mit Briefen. Andreas B. Kilcher, Germanistikprofessor an der ETH Zürich, ist Mitherausgeber der letzten drei Bände, die Briefe von Else Lasker-Schüler aus den Jahren 1933 bis 1945 enthalten, also aus den zwölf Jahren des Exils, das die Dichterin teils in der Schweiz, teils in Palästina verbracht hat. Diese Briefe werfen ein neues Licht auf ihre Emigranten-Existenz, so Andreas Kilcher:

    "Es kursierte oft die Vorstellung von Else Lasker-Schüler als einer völlig verarmten, vereinsamten, letztlich sogar geisteskranken Frau, die nicht mehr zurechnungsfähig ist und von einigen Wohltätern noch unterstützt wird und so das Exil durchseucht. Wenn man die Briefe jetzt liest, wird ein sehr anderes Bild von Else Lasker-Schüler deutlich. Die Härten des Exils werden natürlich erkennbar, zunächst auch das Vermissen von Berlin. Aber auf der anderen Seite wird auch deutlich, dass überall, wo sie hinging, etwa nach Zürich oder ins Tessin, nach Ascona, oder eben dann Palästina, überall ging es ihr eigentlich darum, Fuß zu fassen, Lesungen zu halten, mit Leuten in Kontakt zu treten, zu publizieren, Theaterstücke aufzuführen, also sie war im Grunde als Schriftstellerin höchst aktiv."

    In Jerusalem, wo Else Lasker-Schüler seit 1939 lebte, schrieb sie ihr Theaterstück "IchundIch", gründete einen literarischen Zirkel und publizierte den Gedichtband "Mein blaues Klavier". All das kommt in ihren Briefen und Postkarten auch zur Sprache. Aber dennoch sollten sie nicht als biografische Dokumente gelesen werden. Briefe zu schreiben war für Else Lasker-Schüler mehr als einfach sich mitzuteilen, so Kilcher:

    "Es war erst mal poetische Produktion, es ist Teil ihres literarischen Schreibens, es gibt keine Differenz zwischen der Literatur und den Briefen. Und sie hat natürlich auch sich selber dabei immer konstruiert, erfunden, man muss bei all diesen Briefen immer damit rechnen, dass Dinge, die sie schreibt, nicht ganz so stattgefunden haben. Deshalb sind die Briefe als biografische Quelle auch, haben eine gefährliche Seite. Man kann sich nicht hundertprozentig darauf verlassen, sondern sie hat sich eben erfunden. Und sie hat auch ihre Briefpartner in dieses Spiel, in dieses literarische Spiel des Erfindens mit einbezogen, sie hat sie benannt, - sie hat sie zu Figuren erklärt eines Spiels, und das konnten nicht alle gleich gut mitspielen."

    Wenn man die Briefe liest, kann man gut nachvollziehen, wie Else Lasker-Schüler auf ihre Mitmenschen gewirkt haben muss. Auf der einen Seite inszenierte sie sich in verschiedenen Posen – so wie sie sich auch äußerlich gerne verkleidete –, auf der anderen Seite konnte sie ihr Herz Menschen öffnen, die sie kaum kannte, und diese zu innigen Vertrauten machen. In Jerusalem war es der Kulturphilosoph und Pädagoge Ernst Simon, dem sie oft mehrmals in der Woche lange Briefe schrieb. Hier ein Ausschnitt aus einem Brief vom 2. August 41:

    So nett begegnen wir uns stets in der Phantasie und in Wirklichkeit beinah wie zwei feindliche, wie zu Stein gewordene Menschen. Sie lächeln und lächeln doch nicht, zu nah sitzt der Schatten, der eisige. Und werde ich nun angesteckt oder bin ich schon infiziert von dem Zustand der Zeit? ...
    Alles so schal und kalt geworden, die Welt ein Weltmarschall mit Epaulette und Orden.
    Aber nun sitze ich ganz allein im Café Vienna (vis à vis vom Cinema Zion) auf dem neugepolsterten Sopha, ganz alleine. Ich aß Eis und ich aß zwei Torten und nun ruhe ich mich aus und schreibe dazu dem Erzengel Gabriel diesen Brief. Das was mich gerade bewegt – unfiltriert und mit bloßer Hand. Hier im Café sind alle freundlich zu mir und aber wissen nicht, dass ich einen Brief schreibe an den Engel Gabriel.
    Sind Sie der Engel Gabriel? Und führt eine Brücke zu Ihnen, darüber Niemand von der Erde aus schreiten kann – nur von weitem in der Phantasie? Überraschen Sie? Oder enttäuschen Sie? Enttäuschten Sie mich, der ich Prinz bin von Theben? – Warum geizt hier alles mit der Seele? Kann hier Niemand recht viel loben wie der Baum der Gold und Silber wirft über ein Aschenbrödel? ...


    127 von den insgesamt 689 Briefen im elften und letzten Band der Kritischen Ausgabe sind an Ernst Simon gerichtet. Else Lasker-Schüler hatte den charismatischen Redner 1940 kennen gelernt, und ihre Bewunderung schlug bald in Verliebtheit um. Dabei war sich die Dichterin bewusst, dass diese Liebe zu dem 30 Jahre jüngeren Mann nur in einem poetischen Raum Platz hatte. In ihrem Gedichtband "Mein blaues Klavier", der 1943 erschien, sind zwölf Gedichte mit der Widmung "An ihn" versehen. Ernst Simon hatte die Verfasserin im Vorfeld gebeten, seinen Namen wegzulassen, aber er fühlte sich von der Zueignung doch geehrt. Es sind Liebesgedichte, und manchen merkt man nicht an, dass sie von einer über 70-jährigen Frau stammen:


    Ein Liebeslied

    Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen.
    Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
    Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
    Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

    Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
    Und färben sich mit deiner Augen Immortellen ...

    Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
    Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
    Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

    Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
    Im hohen Rohre hinter dieser Welt.


    Der Gedichtband "Mein blaues Klavier" erhielt in Palästina mehrere positive, ja überschwängliche Rezensionen. Der Rang von Else Lasker-Schüler als Lyrikerin war dort durchaus bekannt, zumal sie rege am Kulturleben der deutschsprachigen Exilgemeinde teilnahm. Sie besuchte nicht nur Vorträge und Lesungen, sie organisierte auch selbst einen literarisch-intellektuellen Kreis, den Kraal. Diesen Begriff, der in Afrika ein kreisförmig angelegtes Dorf bezeichnet, wandte sie schon in Berlin auf einen Freundeskreis von Künstlern an, wobei Lasker-Schüler den Kraal in eine verspielte Indianerwelt, verlegte. Sie schrieb sie zum Beispiel an Ludwig Strauß im Januar 1942:

    Im Kraal wird man gesund am River im Urwald. Leider kann Kraal kein Honorar geben, da von Skalpen gelebt wird und von Brotbaum mit Corrinthen ... In Eile mit wehem Handgelenk Ihr blauer Jaguar.

    Auch wenn sich das in den Briefen wie ein Kinderspiel anhören mag: was Else Lasker-Schüler, stets von Krankheiten geplagt, in Palästina leistete, war ernsthafte Kulturarbeit. Für jeden der insgesamt 27 Abende schrieb sie an die 70 handschriftliche Einladungen, die sie in Jerusalem oft auch persönlich zustellte, sie bat die Zeitungen um eine Ankündigung - und sie betonte, dass sie den Kraal allein organisierte und die Regeln bestimmte:

    "Ich würde hier tatsächlich das Spielerische etwas zurücknehmen, Kraal ist erstmal eine Gruppe von Freunden, die zusammenfinden und sich austauschen - auf hohem intellektuellem Niveau, das ist das Entscheidende. Es ist keine dichterische Einrichtung gewesen, obwohl sie dort in dieser Gruppe auch gelesen hat, und andere Dichter auch gelesen haben. Aber das Wichtige ist, dass dieser Kraal eben eine intellektuelle und auch zugleich soziale Leistung darstellt einer Exilantin, die sich aber zuhause fühlt in diesem Jerusalem und dort versucht hat, die Mitemigrierten zu verbinden, ein soziales Netzwerk zu schaffen, - und das war ihre Leistung."

    Eine wichtige Dimension der Briefe von Else Lasker-Schüler kann die Kritische Ausgabe leider nicht vermitteln: Die handgeschriebenen Karten und Briefe sind oft auch kleine Kunstwerke. So steht ein Davidstern statt eines Ausrufezeichens, Monde und Sterne verzieren die Zeilen, Blumen und Herzen werden brieflich verschenkt, und der Signatur, zum Beispiel als Prinz Jussuf, wird ein mit einem Fes bedeckter Kopf hinzugefügt. All das verzeichnet zwar die Kritische Ausgabe gewissenhaft in spitzen Klammern, bildet es aber nicht ab.

    Einige Briefzeichnungen kann man jedoch im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main betrachten, denn dort wird Else Lasker-Schülers bildnerischem Schaffen eine Ausstellung gewidmet, die eine Neuentdeckung der Zeichnerin und Malerin bewirken will.
    Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe, Band 11, Briefe 1941-1945. Nachträge. Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher. Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, Berlin 2010. 912 Seiten, Euro 124,-

    Ebenfalls im Jüdischen Verlag erscheint (im September) der Ausstellungskatalog "Else Lasker-Schüler: Die Bilder" erschienen, in dem in einem kommentierten Werkverzeichnis und Essays von Astrid Schmetterling und Ricarda Dick auch das bildkünstlerische Oeuvre von Else Lasker-Schüler erschlossen wird. Die Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt ist von 8. September 2010 bis zum 9. Januar 2011 zu sehen.


    (Zitate der Briefe aus Band 11 der Kritischen Ausgabe. Das "Liebeslied" zitiert nach: Else Lasker-Schüler. Werke in einem Band. Lyrik, Prosa, Dramatisches, Hg. Von Sigrid Bauschinger, Artemis & Winkler, München 1991, S. 64f.)