Der Traum vom Orchideen-Wohnpalast mit Seeblick, "Orchid Lakeview", für Sonal ist er eigentlich schon ausgeträumt:
"Es wird jeden Tag schlimmer. Der Schaum kommt über die Straße, er kommt ins unsere Wohnung, in den Swimming-Pool der Wohnanlage, und wir müssen fast immer die Fenster geschlossen halten."
Seit etwas mehr als einem Jahr wohnt Sonal mit ihren beiden Kleinkindern hier, am Bellandur-See in Bangalore. Ihr Ehemann arbeitet in der IT-Branche, für die Bangalore so berühmt ist. Die Orchideen-Seeblick-Wohnanlage, in der sie sich eine Wohnung gekauft haben, könnte ein Symbol für den wirtschaftlichen Aufbruch in Indien sein. Stattdessen zeigt Sonal ihre Unterarme. Kleine Pusteln haben sich auf der Haut gebildet:
"Es kratzt. Vor allem, wenn ich koche. Sobald ich mit Wasser in Berührung komme."
"Das Feuer brannte orange-gelb"
Der Schaum, der die Pusteln verursacht, kommt vom Bellandur-See. An einem Ausläufer direkt gegenüber der Wohnanlage türmt sich auch an diesem Tag der Schaum meterhoch. Es stinkt nach Kloake. Manchmal entzündet sich der Schaum sogar. Dann brennt der Bellandur-See. Bilder, die auch TV Ramachandra aufgeschreckt haben:
"Das Feuer brannte orange-gelb, das zeigt, dass Industrieabwässer die Ursache sind. Das zeigt auch eine Analyse von Proben, die wir genommen haben. Die Seen hier werden von der Industrie missbraucht. Und die Abwässer der Stadt fließen ungeklärt hinein."
TV Ramachandra ist Ökologieprofessor am renommierten Indian Institute of Science. Auf seinem Computerbildschirm leuchten mehrere Karten von Bangalore.
"In den 70er-Jahren waren 68 Prozent der Stadtfläche Bangalores mit Grünflächen und Seen bedeckt. Wir haben ein Modell erarbeitet. Danach werden in drei Jahren nur noch sechs Prozent übrig sein. 94 Prozent der Stadt werden dann zubetoniert sein."
Fische und Spinat chemisch belastet
Ramachandra hat medienwirksam Alarm geschlagen: Falls die Stadt so weitermache, schrieb er in einer Studie, werde Bangalore in acht Jahren bereits unbewohnbar sein. Giftige Luft zum Atmen, verseuchtes Grundwasser.
"Die Studie zeigt, dass die Fische der Seen mit Schwermetallen belastet sind. Die Leute bauen Gemüse an. Spinat zum Beispiel. Radieschen. Das Gemüse beinhaltet viel zu hohe Werte etwa an Kupfer, Chrom oder Cadmium. Wir zahlen also schon jetzt einen Preis."
Indiens Regierung träumt von so genannten Smart Cities, intelligenten Städten, die deutsche Bundesregierung unterstützt die Idee. Bangalore mit seinen IT-Firmen, darunter auch SAP, müsste eigentlich Vorreiter sein. Stattdessen: Verkehrskollaps, überall Bauprojekte, dicke Luft, deutlich höhere Temperaturen in der Stadt. Der Grundwasserspiegel sinkt rapide. In einigen Vierteln müssen Tanklaster die Menschen mit Wasser versorgen. Dabei gab es einst in Bangalore 1450 Seen, sie versorgten die Stadt mit Wasser. Geblieben sind 193 Tümpel, fast alle verseucht wie der Bellandur-See.
Regenwald wie an der Uni wäre eine Abhilfe
Dabei könnnte es so einfach sein: TV Ramachandra hat auf dem weitläufigen Campus seiner Universität gezeigt, was zu tun wäre, um Bangalore zu retten. Er hat vor 30 Jahren rund um ein Gewässer tausende Bäume gepflanzt:
"Jetzt befindet sich hier ein kleiner Regenwald. Das Grundwasser lag früher 50 Meter tief, jetzt kann er Wald das Regenwasser speichern. Wir finden Grundwasser schon in fünf Metern Tiefe. Das zeigt, wie wichtig Seen, Teiche und Grünflächen sind."
Ramachandra hofft, dass seine Warnungen vor einem ökologischen Kollaps nicht zu spät kommen. Nachdem vor kurzem mal wieder besonders üble Bilder vom Schaum am Bellandur-See aufgetaucht sind, wurden die Behörden tatsächlich aktiv: Sie brachten vor der Wohnanlage von Sonal Sprenkler und Netze an, um den Schaum zu stoppen.
"Aber die Behörden gehen nicht planmäßig vor", meint Sonal. "Gibt es ein Problem, machen sie irgendetwas, aber eben ohne Strategie. Hier müssten alle Behörden mal gemeinsam über Maßnahmen nachdenken."
Arzt sagt, wie soll ich Ihnen da noch helfen?
Sonal und ihr Ehemann haben sich verschuldet, um die Wohnung am See zu kaufen. Wegziehen ist für sie bisher keine Alternative, trotz des Schaums, der die Haut angreift.
"Wir nehmen Kokosnussöl, um das Jucken etwas zu lindern. Aber immer wenn wir zu einem Arzt gehen, kommt die Frage: Wo wohnen Sie? Und wenn wir Bellandur-See sagen, lautet die Antwort nur: Wie soll ich Ihnen da noch weiterhelfen?"
Sonal lächelt etwas verlegen, als sie von den Arztbesuchen erzählt. An ihrer Hand zieht Arnav, einer der beiden Söhne, fünf Jahre alt. Der Kleine wird heute wieder drinnen spielen müssen. Es könnte sein, dass mal wieder giftige Schaumflocken vom Bellandur herüber wehen.