Die phantastischen Leistungen im menschlichen Grenzbereich, der Medaillenregen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen ließ wohl jeden Sportenthusiasten in der DDR für einige Zeit die verfallenden Städte und die zerstörte Umwelt, die Mangelwirtschaft und das Grenzregime vergessen. Die SED wusste um die nationalen Stolz stiftende Wirkung des Sports, um seine ideologische Bedeutung für die internationale Systemauseinandersetzung. 1974 beschloss das Zentralkomitee der SED einen Staatsplan, demzufolge der Zwerg DDR zur führenden Sportnation der Welt aufsteigen sollte. Das Ziel war abgesteckt: "Diplomaten in blauen Trainingsanzügen" sorgen für Rekorde nach Plan. Republikweit erfolgte fortan eine systematische Talentsichtung. Alle sportwissenschaftlichen und pharmazeutischen Register wurden gezogen. Siegversprechende junge Athleten wurden in das zentral überwachte Dopingprogramm aufgenommen. Bei Turnerinnen und Schwimmerinnen geschah dies bereits ab dem elften Lebensjahr. Zum Dopingvorwurf befragt, erklärte Manfred Ewald 1990:
Ich habe gesagt, dass die Versuche für uns den Einsatz derartiger Mittel ausschlossen, weil sie sich als nicht nur fehlerhaft und unfair gegenüber anderen erwiesen hätten, sondern weil sie auch gar nicht nötig waren. Wir waren eingeschworen auf unser wissenschaftlich methodisches System, und darauf haben wir bestanden. Und wenn hier von Unwahrheiten oder wie Sie sagen, Lügen oder Nichtlügen die Rede ist, so kann ich sagen, wir haben im Ergebnis der uns vorliegenden Resultate das Doping untersagt. Es gab kein flächendeckendes System des Doping, wie behauptet wird. Und wir haben dort, wo Einzelne ohne unsere Erlaubnis, ohne unser Wissen und hinter unseren Rücken davon abgewichen sind, da haben wir eingegriffen und haben die jeweils Betroffenen auch zur Verantwortung gezogen.
Ines Geipel sieht das Körperprogramm des DDR-Sports, für das Manfred Ewald und Manfred Höppner hauptverantwortlich waren, weniger harmlos:
1974 ist ein geheimer Staatsplan in der DDR beschlossen worden, der Staatsplan 14.25. Er sah vor, Forschung in Bezug auf Doping, aber eben auch ein flächendeckendes Dopingsystem in der DDR aufzubauen, und dieses Konzept ist eben sehr schnell und sehr aggressiv umgesetzt worden. In der Praxis sieht es so aus, dass bis Ende 1989 über 10.000 Sportler und Sportlerinnen in der DDR innerhalb dieses Zwangsdopingsystems inbegriffen waren, dass im Zusammenhang mit diesem konspirativen Dopingsystem Versuche am Menschen gemacht wurden.
Mit "Verlorene Spiele. Journal eines Dopingprozesses" legt Ines Geipel ein Buch vor, das Aufmerksamkeit erregen dürfte. Es ist vor allem ein Buch über die Zeit nach dem Sport. Es untergliedert sich in drei Teile: erstens in das Gerichtsverfahren mit den pathologischen Schuldabweisungen der Angeklagten; zweitens in Porträts von vergessenen Frauen, ihre einstige Begeisterung für den Sport und ihr Leben mit Dopingschäden nach dem Sport; drittens beleuchtet das Buch die komplexe Struktur des staatlichen Zwangsdopingprogramms.
Ines Geipel, die als Siebzehnjährige ungewöhnlich spät als Leichtathletiktalent entdeckt wurde, beim SC Motor Jena trainierte und nach anderthalb Jahren bereits der 4x100-Meter-Staffel der Nationalmannschaft angehörte, spart ihre eigene Geschichte aus. Auch ihre jahrelange Bulimieerkrankung als Folge des Dopingentzugs. Dies geschieht, um einen möglichst sachlichen Blick zu wahren. Der fällt nicht immer leicht - angesichts der Arroganz der Angeklagten und des betroffen machenden Wissens aus Stasi-Akten und sportwissenschaftlichen Untersuchungen.
1975 wurde Manfred Höppner, der renommierte Sportarzt und IM "Technik", zum Leiter der Arbeitsgruppe "unterstützende Mittel" berufen. Als Vertreter in der Ärztekammer des IAAF-Weltverbandes brachte er ideale Voraussetzungen mit. Informiert über den neuesten Stand der Dopingpraxis in westlichen Ländern baute er streng geheim das zentral gesteuerte, flächendeckende Dopingsystem in der DDR auf.
Das System lief aus dem Ruder, kurz nachdem es legitimiert war. Trainer verabreichten bis zum Fünffachen der im DDR-Körperprogramm vorgesehenen Mittel. Einzig der Erfolg zählte. Sportler waren das Material. Körperliche Missbildungen wurden in Kauf genommen. Die ganze Tragweite, Testreihen mit Ahnungslosen - auch Minderjährigen in Sportinternaten, Versuche mit Blutdoping, aggressionssteigernde Psychopharmaka bei Wettkämpfen, chronische Leberschädigungen besonders bei kraftabhängigen Sportarten ... kamen im Prozess nicht zur Sprache. Noch 1988 ging es darum, flächendeckend zusätzliche Leistung durch Wachstumshormone zu erzielen. Das Risiko von Hepatitis-, Creutzfeldt-Jakob- oder Aidsansteckungen bei der aus den Hirnanhangdrüsen von Leichen gewonnenen Hormone war den Fachleuten bekannt. Sportwissenschaftler rechnen heute mit Dopingfolgeschäden bei mindestens 1.000 der 10.000 gedopten Leistungssportlern der DDR. Doch die Mehrheit schweigt. Sie verdrängt den an ihnen begangenen Missbrauch.
Dieser erste Teil der "Verlorenen Spiele" besticht besonders durch seine kritische und zugleich atmosphärische Berichterstattung des Strafprozesses, der nach Auffassung der Nebenklägerinnen Stückwerk blieb.
Im Verlauf des Prozesses sind 120 Athleten, die in der Anklageschrift inbegriffen waren, noch mal abgetrennt worden, am Ende noch mal zwei, so dass die beiden wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 20 Fällen verurteilt wurden, Manfred Ewald zu 22 Monaten Bewährung, Manfred Höppner zu 18 Monaten Bewährung. Gemessen an der Dimension dieser sehr technokratischen deutschen Vorgabe ist das natürlich sehr, sehr ambivalent zu sehen, dieses Urteil. Aber ich glaube, da spreche ich auch im Namen der anderen Nebenklägerinnen, es war vor allem wichtig, dass dieser Prozess stattgefunden hat.
Immerhin brachte der Prozess den Dopingmissbrauch ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit.
Emotional eindringlich lesen sich im zweiten Teil des Buches porträthaft wiedergegebene Selbstaussagen von sechs Frauen über ihr Leben im Sport, ihre Träume, etwas von der Welt zu sehen, Träume, denen sie ihre Jugend opferten, in Krafträumen mit bis zu 70 Tonnen Eisen am Tag oder im Schwimmbecken morgens ab halb Sechs mit bis zu fünf Trainingseinheiten à zwei Stunden. Es sind auch Geschichten über die Lust am Körpergefühl, über ihr Vertrauen zu den Trainern und der Verharmlosung "unterstützender Mittel": "Nimm das mal", sagte die Trainerin zur 13-jährigen Kugelstoßerin Birgit Boese, damit das mörderische Training durchzustehen und eine Fahrkarte zur Kinder- und Jugendspartakiade sicher war. "Vitamine für die verbrauchte Kraft", erklärte der Trainer der Schwimmerin Ute Krause, die daraufhin in einem Vierteljahr 15 Kilo zunahm, breite Schultern, einen harten Bauch bekam und mit 14 zum Olympiakader berufen wurde. Sie erinnert sich: "Mein Körper war mir fremd." - Beide Sportlerinnen wurden nach zu spät behandelten Bänderrissen, für das Athletenkarussell unbrauchbar, ausgemustert. Birgit Boese kämpft heute mit enormem Übergewicht durch Stoffwechselstörungen, Ute Krause wurde bulimiekrank.
Also man sieht schon sehr deutlich, die achtziger Jahre sind kein Beispiel dafür, dass es in der DDR neckisch oder süß zuging, sondern hier ging es wirklich darum, Sportler, sehr, sehr junge Schwimmerinnen, sehr, sehr junge Turnerinnen, aber im Grunde die ganze Palette, fast alle Sportarten in dieses System einzubinden, und die Neben- und Nachwirkungen waren natürlich immens. Das hat der Prozess deutlich gemacht. Die dort als Nebenklägerinnen standen, haben zu kämpfen mit Suchterkrankungen, mit Krebserkrankungen, es gibt behinderte Kinder, also Schäden in die zweite Generation hinein, Geschlechtsumwandlungen.
Erkrankungen, die vor Gericht nur bedingte Anerkennung fanden, weil aus den DDR-Krankenakten kein Zusammenhang zwischen Doping und den Folgeerkrankungen ersichtlich ist.
Der dritte Teil des Buches untersucht die Mitwirkung des MfS am streng geheimen Dopingprogramm der DDR, die Einbindung der Sportwissenschaft und Sportärzte. Immerhin 20 Prozent der Sportärzte in der DDR wechselten in den 80-er Jahren das Berufsfeld. Für Ines Geipel ein zusätzliches Indiz, wie aggressiv und kriminell mit Sportlern umgegangen wurde. Die Autorin stellt Fragen zum Einsatz ungetesteter Experimentalsubstanzen in den 80-er Jahren und zur Ost-Ost- und zur Ost-West-Vernetzung der Pharmaindustrie, besonders der heutigen Schering-Tochter Jenapharm. Es ist ein unbequemes Buch, auch in Hinblick auf die Gegenwart.
Das Doping-System der DDR, entschieden ausprobiert an jungen Mädchenkörpern, konnte sich nach 1989 – durch den Export von Spitzentrainern und Medizinern – erstaunlich gut in die freie Welt retten. Noch immer verstrahlt es den Sport, national wie international. Sind sie uns tatsächlich so teuer, unsere einmaligen Spiele?
Auf diese Frage bringt Ines Geipel das Sportsystem in "Verlorene Spiele" heute.
Doping ist ein globales Problem geworden, ein strukturelles Problem des Sports – es ist absolut aggressive Aufklärung nötig. Es ist ein gesellschaftliches Problem, und die Hoffnung besteht natürlich darin, dass dieses Buch zum Einen noch einmal die Dimension dieser Technokratie, dieses Körperprogramm, deutlich macht, aber hier muss mehr passieren, hier muss gerade für junge Menschen, die in diesem Sport sein wollen, die auch Vertrauen haben in dieses Sportsystem, muss eben auch gewährleistet sein, dass sie dort tatsächlich sein können.
Das ist die hochaktuelle Dimension dieses Buches: Männlichen Hormone, die bei zahllosen Leistungssportlern in der DDR irreversible Spätschäden verursachten, werden heute tausendfach im Breitensport, in Fitnessstudios geschluckt. "Verlorene Spiele" ist ein mutiges Buch, das seine Leser so leicht nicht loslassen wird, denn es enthält vor allem eins: Ein gerüttelt Maß Ernüchterung.
Udo Scheer über: Ines Geipel: "Verlorene Spiele. Journal eines Dopingprozesses". Transit Verlag, Berlin, 160 Seiten zum Preis von 29,80 DM.
Ich habe gesagt, dass die Versuche für uns den Einsatz derartiger Mittel ausschlossen, weil sie sich als nicht nur fehlerhaft und unfair gegenüber anderen erwiesen hätten, sondern weil sie auch gar nicht nötig waren. Wir waren eingeschworen auf unser wissenschaftlich methodisches System, und darauf haben wir bestanden. Und wenn hier von Unwahrheiten oder wie Sie sagen, Lügen oder Nichtlügen die Rede ist, so kann ich sagen, wir haben im Ergebnis der uns vorliegenden Resultate das Doping untersagt. Es gab kein flächendeckendes System des Doping, wie behauptet wird. Und wir haben dort, wo Einzelne ohne unsere Erlaubnis, ohne unser Wissen und hinter unseren Rücken davon abgewichen sind, da haben wir eingegriffen und haben die jeweils Betroffenen auch zur Verantwortung gezogen.
Ines Geipel sieht das Körperprogramm des DDR-Sports, für das Manfred Ewald und Manfred Höppner hauptverantwortlich waren, weniger harmlos:
1974 ist ein geheimer Staatsplan in der DDR beschlossen worden, der Staatsplan 14.25. Er sah vor, Forschung in Bezug auf Doping, aber eben auch ein flächendeckendes Dopingsystem in der DDR aufzubauen, und dieses Konzept ist eben sehr schnell und sehr aggressiv umgesetzt worden. In der Praxis sieht es so aus, dass bis Ende 1989 über 10.000 Sportler und Sportlerinnen in der DDR innerhalb dieses Zwangsdopingsystems inbegriffen waren, dass im Zusammenhang mit diesem konspirativen Dopingsystem Versuche am Menschen gemacht wurden.
Mit "Verlorene Spiele. Journal eines Dopingprozesses" legt Ines Geipel ein Buch vor, das Aufmerksamkeit erregen dürfte. Es ist vor allem ein Buch über die Zeit nach dem Sport. Es untergliedert sich in drei Teile: erstens in das Gerichtsverfahren mit den pathologischen Schuldabweisungen der Angeklagten; zweitens in Porträts von vergessenen Frauen, ihre einstige Begeisterung für den Sport und ihr Leben mit Dopingschäden nach dem Sport; drittens beleuchtet das Buch die komplexe Struktur des staatlichen Zwangsdopingprogramms.
Ines Geipel, die als Siebzehnjährige ungewöhnlich spät als Leichtathletiktalent entdeckt wurde, beim SC Motor Jena trainierte und nach anderthalb Jahren bereits der 4x100-Meter-Staffel der Nationalmannschaft angehörte, spart ihre eigene Geschichte aus. Auch ihre jahrelange Bulimieerkrankung als Folge des Dopingentzugs. Dies geschieht, um einen möglichst sachlichen Blick zu wahren. Der fällt nicht immer leicht - angesichts der Arroganz der Angeklagten und des betroffen machenden Wissens aus Stasi-Akten und sportwissenschaftlichen Untersuchungen.
1975 wurde Manfred Höppner, der renommierte Sportarzt und IM "Technik", zum Leiter der Arbeitsgruppe "unterstützende Mittel" berufen. Als Vertreter in der Ärztekammer des IAAF-Weltverbandes brachte er ideale Voraussetzungen mit. Informiert über den neuesten Stand der Dopingpraxis in westlichen Ländern baute er streng geheim das zentral gesteuerte, flächendeckende Dopingsystem in der DDR auf.
Das System lief aus dem Ruder, kurz nachdem es legitimiert war. Trainer verabreichten bis zum Fünffachen der im DDR-Körperprogramm vorgesehenen Mittel. Einzig der Erfolg zählte. Sportler waren das Material. Körperliche Missbildungen wurden in Kauf genommen. Die ganze Tragweite, Testreihen mit Ahnungslosen - auch Minderjährigen in Sportinternaten, Versuche mit Blutdoping, aggressionssteigernde Psychopharmaka bei Wettkämpfen, chronische Leberschädigungen besonders bei kraftabhängigen Sportarten ... kamen im Prozess nicht zur Sprache. Noch 1988 ging es darum, flächendeckend zusätzliche Leistung durch Wachstumshormone zu erzielen. Das Risiko von Hepatitis-, Creutzfeldt-Jakob- oder Aidsansteckungen bei der aus den Hirnanhangdrüsen von Leichen gewonnenen Hormone war den Fachleuten bekannt. Sportwissenschaftler rechnen heute mit Dopingfolgeschäden bei mindestens 1.000 der 10.000 gedopten Leistungssportlern der DDR. Doch die Mehrheit schweigt. Sie verdrängt den an ihnen begangenen Missbrauch.
Dieser erste Teil der "Verlorenen Spiele" besticht besonders durch seine kritische und zugleich atmosphärische Berichterstattung des Strafprozesses, der nach Auffassung der Nebenklägerinnen Stückwerk blieb.
Im Verlauf des Prozesses sind 120 Athleten, die in der Anklageschrift inbegriffen waren, noch mal abgetrennt worden, am Ende noch mal zwei, so dass die beiden wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 20 Fällen verurteilt wurden, Manfred Ewald zu 22 Monaten Bewährung, Manfred Höppner zu 18 Monaten Bewährung. Gemessen an der Dimension dieser sehr technokratischen deutschen Vorgabe ist das natürlich sehr, sehr ambivalent zu sehen, dieses Urteil. Aber ich glaube, da spreche ich auch im Namen der anderen Nebenklägerinnen, es war vor allem wichtig, dass dieser Prozess stattgefunden hat.
Immerhin brachte der Prozess den Dopingmissbrauch ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit.
Emotional eindringlich lesen sich im zweiten Teil des Buches porträthaft wiedergegebene Selbstaussagen von sechs Frauen über ihr Leben im Sport, ihre Träume, etwas von der Welt zu sehen, Träume, denen sie ihre Jugend opferten, in Krafträumen mit bis zu 70 Tonnen Eisen am Tag oder im Schwimmbecken morgens ab halb Sechs mit bis zu fünf Trainingseinheiten à zwei Stunden. Es sind auch Geschichten über die Lust am Körpergefühl, über ihr Vertrauen zu den Trainern und der Verharmlosung "unterstützender Mittel": "Nimm das mal", sagte die Trainerin zur 13-jährigen Kugelstoßerin Birgit Boese, damit das mörderische Training durchzustehen und eine Fahrkarte zur Kinder- und Jugendspartakiade sicher war. "Vitamine für die verbrauchte Kraft", erklärte der Trainer der Schwimmerin Ute Krause, die daraufhin in einem Vierteljahr 15 Kilo zunahm, breite Schultern, einen harten Bauch bekam und mit 14 zum Olympiakader berufen wurde. Sie erinnert sich: "Mein Körper war mir fremd." - Beide Sportlerinnen wurden nach zu spät behandelten Bänderrissen, für das Athletenkarussell unbrauchbar, ausgemustert. Birgit Boese kämpft heute mit enormem Übergewicht durch Stoffwechselstörungen, Ute Krause wurde bulimiekrank.
Also man sieht schon sehr deutlich, die achtziger Jahre sind kein Beispiel dafür, dass es in der DDR neckisch oder süß zuging, sondern hier ging es wirklich darum, Sportler, sehr, sehr junge Schwimmerinnen, sehr, sehr junge Turnerinnen, aber im Grunde die ganze Palette, fast alle Sportarten in dieses System einzubinden, und die Neben- und Nachwirkungen waren natürlich immens. Das hat der Prozess deutlich gemacht. Die dort als Nebenklägerinnen standen, haben zu kämpfen mit Suchterkrankungen, mit Krebserkrankungen, es gibt behinderte Kinder, also Schäden in die zweite Generation hinein, Geschlechtsumwandlungen.
Erkrankungen, die vor Gericht nur bedingte Anerkennung fanden, weil aus den DDR-Krankenakten kein Zusammenhang zwischen Doping und den Folgeerkrankungen ersichtlich ist.
Der dritte Teil des Buches untersucht die Mitwirkung des MfS am streng geheimen Dopingprogramm der DDR, die Einbindung der Sportwissenschaft und Sportärzte. Immerhin 20 Prozent der Sportärzte in der DDR wechselten in den 80-er Jahren das Berufsfeld. Für Ines Geipel ein zusätzliches Indiz, wie aggressiv und kriminell mit Sportlern umgegangen wurde. Die Autorin stellt Fragen zum Einsatz ungetesteter Experimentalsubstanzen in den 80-er Jahren und zur Ost-Ost- und zur Ost-West-Vernetzung der Pharmaindustrie, besonders der heutigen Schering-Tochter Jenapharm. Es ist ein unbequemes Buch, auch in Hinblick auf die Gegenwart.
Das Doping-System der DDR, entschieden ausprobiert an jungen Mädchenkörpern, konnte sich nach 1989 – durch den Export von Spitzentrainern und Medizinern – erstaunlich gut in die freie Welt retten. Noch immer verstrahlt es den Sport, national wie international. Sind sie uns tatsächlich so teuer, unsere einmaligen Spiele?
Auf diese Frage bringt Ines Geipel das Sportsystem in "Verlorene Spiele" heute.
Doping ist ein globales Problem geworden, ein strukturelles Problem des Sports – es ist absolut aggressive Aufklärung nötig. Es ist ein gesellschaftliches Problem, und die Hoffnung besteht natürlich darin, dass dieses Buch zum Einen noch einmal die Dimension dieser Technokratie, dieses Körperprogramm, deutlich macht, aber hier muss mehr passieren, hier muss gerade für junge Menschen, die in diesem Sport sein wollen, die auch Vertrauen haben in dieses Sportsystem, muss eben auch gewährleistet sein, dass sie dort tatsächlich sein können.
Das ist die hochaktuelle Dimension dieses Buches: Männlichen Hormone, die bei zahllosen Leistungssportlern in der DDR irreversible Spätschäden verursachten, werden heute tausendfach im Breitensport, in Fitnessstudios geschluckt. "Verlorene Spiele" ist ein mutiges Buch, das seine Leser so leicht nicht loslassen wird, denn es enthält vor allem eins: Ein gerüttelt Maß Ernüchterung.
Udo Scheer über: Ines Geipel: "Verlorene Spiele. Journal eines Dopingprozesses". Transit Verlag, Berlin, 160 Seiten zum Preis von 29,80 DM.