"Herzlich willkommen natürlich auch Ihnen zu Hause, willkommen beim Finale von "Germanys next Top Model" ..."
Neil Postmans Buch ist keine simple Abrechnung mit dem Fernsehen, und es ist auch nur bedingt eine Warnung vor zu vielen schlechten Unterhaltungsprogrammen. Der 2003 verstorbene Professor für Medienökologie hat nichts weniger verfasst als eine gelehrte Abhandlung darüber, wie Kommunikationstechniken die Gesellschaft verändern – und wie sich unsere Kultur selbst zu zerstören droht. Er tat dies auf einem so hohen gedanklichen wie sprachlichen Niveau, dass sich zeitgenössische Kulturkritiker vom Schlage eines Frank Schirrmacher oder eines Michael Jürgs dagegen oberflächlich und banal ausnehmen.
" ... und heute kommen wir ans Ziel. Heute finden wir Germanys next Top Model ..."
Postmans Kernthese: Es könne nicht ohne Folgen bleiben, wenn sich die Art und Weise ändert, wie sich die Menschen über die Welt informieren, in der sie leben. Eindrücklich beschreibt Postman, wie eine ausgeprägte Buch- und Vortragskultur im Amerika des 19. Jahrhunderts auch einfache Menschen in den Stand versetzte, mit Sachkompetenz Dinge des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Das Ergebnis war, so Postman, ein allgemeiner Gedankenaustausch, der die Demokratie in starkem Maße prägte. Doch diese Kultur der ernsthaften Erörterung wurde nach Postmans Ansicht schon mit der Erfindung des Telegraphen beschädigt, einem Medium, das unterschiedslos und schnell Nachrichten aus aller Herren Länder transportieren konnte.
Die Telegraphie verlieh der Idee der kontextlosen Information Legitimität, also der Vorstellung, dass sich der Wert einer Information nicht unbedingt an ihrer etwaigen Funktion für das soziale und politische Entscheiden und Handeln bemisst, sondern einfach daher rühren kann, dass sie neu, interessant und merkwürdig ist. Der Telegraph machte aus der Information eine Ware, ein "Ding", das man ohne Rücksicht auf seinen Nutzen oder seine Bedeutung kaufen oder verkaufen konnte.
Der langsame Erwerb und die intensive Verarbeitung von Informationen durch den Einzelnen wurde abgelöst durch eine Nachrichtenflut, bei der nicht mehr zwischen wichtig oder nur interessant unterschieden werden konnte. Im Grunde, so Postman, wurde nun alles zur Unterhaltung: Denn was nutzen selbst ernste Nachrichten, wenn sie den, der sie liest, nicht in die Lage versetzen, zu reagieren? Berichte über ferne Naturkatastrophen und überseeische Kriege würden seitdem in erster Linie zum Zeitvertreib konsumiert. Die Hilflosigkeit gegenüber der Überfülle an Informationen, die nicht unmittelbar mit dem tagtäglichen persönlichen Erleben zu tun haben, wurde, meinte Postman, durch die Einführung des Fernsehens noch verstärkt, denn dort musste nun alles Berichtenswerte erst recht unterhaltsam, also schnell verdaulich sein. Das Medium verlange es so. Das Denken habe in dieser Bilderwelt keinen Platz, denn:
Denken ist keine darstellende Kunst.
Wir haben mehr Informationen denn je, wissen aber nicht, wie wir damit umgehen sollen, fühlen uns handlungsunfähiger als je zuvor. Auch die Politik hat sich den Zwängen zur fernsehgerechten Unterhaltung, zum kurzen Statement unterworfen. Sogar gebildete Menschen messen Politik nicht länger daran, ob sie stringent ist, sondern ob sie glaubwürdig ist. Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Unstimmigkeiten, ja sogar Lügen amerikanischer Präsidenten geraten schnell in Vergessenheit, wenn sie denn überhaupt wahrgenommen werden. Dabei sei Unterhaltung an sich ja nichts Verwerfliches, sagt Postman, aber:
Wenn sich ein Volk von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr - das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.
Nicht die Gesellschaft bestimmt, was im Fernsehen läuft, das Fernsehen formt die Gesellschaft – und die merkt es nicht einmal und wehrt sich auch nicht. Diese Diagnose von Neil Postman ist heute noch gültig. Dass, wie der Medienwissenschaftler schrieb, die Pädagogen unserer Zeit nicht die Lehrer, sondern die Fernsehmacher seien, wird jeder bestätigen, der Kinder hat oder kennt. Wer Kinder bilden will, muss das immer gegen das Fernsehen, nicht mit dem Fernsehen tun. Selbst Bildungs- und Informationssendungen, so legte Postman schlüssig dar, bringen keinem Kind das logische Denken bei. Auch der Siegeszug des Internet widerlegt den Medienwissenschaftler nicht. Es mag sein, dass das Internet mehr Menschen denn je zum Schreiben und Lesen gebracht hat, wie Netzenthusiasten meinen. Wer sich unterhalten lassen will, wird dort immer etwas finden. Wer allerdings nach fundiertem und überprüfbarem Wissen sucht, ist auch in unserer digitalisierten Epoche in jeder Bibliothek besser aufgehoben.
Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie"
Fischer Taschenbuch Verlag
206 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-596-24285-6
Neil Postmans Buch ist keine simple Abrechnung mit dem Fernsehen, und es ist auch nur bedingt eine Warnung vor zu vielen schlechten Unterhaltungsprogrammen. Der 2003 verstorbene Professor für Medienökologie hat nichts weniger verfasst als eine gelehrte Abhandlung darüber, wie Kommunikationstechniken die Gesellschaft verändern – und wie sich unsere Kultur selbst zu zerstören droht. Er tat dies auf einem so hohen gedanklichen wie sprachlichen Niveau, dass sich zeitgenössische Kulturkritiker vom Schlage eines Frank Schirrmacher oder eines Michael Jürgs dagegen oberflächlich und banal ausnehmen.
" ... und heute kommen wir ans Ziel. Heute finden wir Germanys next Top Model ..."
Postmans Kernthese: Es könne nicht ohne Folgen bleiben, wenn sich die Art und Weise ändert, wie sich die Menschen über die Welt informieren, in der sie leben. Eindrücklich beschreibt Postman, wie eine ausgeprägte Buch- und Vortragskultur im Amerika des 19. Jahrhunderts auch einfache Menschen in den Stand versetzte, mit Sachkompetenz Dinge des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Das Ergebnis war, so Postman, ein allgemeiner Gedankenaustausch, der die Demokratie in starkem Maße prägte. Doch diese Kultur der ernsthaften Erörterung wurde nach Postmans Ansicht schon mit der Erfindung des Telegraphen beschädigt, einem Medium, das unterschiedslos und schnell Nachrichten aus aller Herren Länder transportieren konnte.
Die Telegraphie verlieh der Idee der kontextlosen Information Legitimität, also der Vorstellung, dass sich der Wert einer Information nicht unbedingt an ihrer etwaigen Funktion für das soziale und politische Entscheiden und Handeln bemisst, sondern einfach daher rühren kann, dass sie neu, interessant und merkwürdig ist. Der Telegraph machte aus der Information eine Ware, ein "Ding", das man ohne Rücksicht auf seinen Nutzen oder seine Bedeutung kaufen oder verkaufen konnte.
Der langsame Erwerb und die intensive Verarbeitung von Informationen durch den Einzelnen wurde abgelöst durch eine Nachrichtenflut, bei der nicht mehr zwischen wichtig oder nur interessant unterschieden werden konnte. Im Grunde, so Postman, wurde nun alles zur Unterhaltung: Denn was nutzen selbst ernste Nachrichten, wenn sie den, der sie liest, nicht in die Lage versetzen, zu reagieren? Berichte über ferne Naturkatastrophen und überseeische Kriege würden seitdem in erster Linie zum Zeitvertreib konsumiert. Die Hilflosigkeit gegenüber der Überfülle an Informationen, die nicht unmittelbar mit dem tagtäglichen persönlichen Erleben zu tun haben, wurde, meinte Postman, durch die Einführung des Fernsehens noch verstärkt, denn dort musste nun alles Berichtenswerte erst recht unterhaltsam, also schnell verdaulich sein. Das Medium verlange es so. Das Denken habe in dieser Bilderwelt keinen Platz, denn:
Denken ist keine darstellende Kunst.
Wir haben mehr Informationen denn je, wissen aber nicht, wie wir damit umgehen sollen, fühlen uns handlungsunfähiger als je zuvor. Auch die Politik hat sich den Zwängen zur fernsehgerechten Unterhaltung, zum kurzen Statement unterworfen. Sogar gebildete Menschen messen Politik nicht länger daran, ob sie stringent ist, sondern ob sie glaubwürdig ist. Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Unstimmigkeiten, ja sogar Lügen amerikanischer Präsidenten geraten schnell in Vergessenheit, wenn sie denn überhaupt wahrgenommen werden. Dabei sei Unterhaltung an sich ja nichts Verwerfliches, sagt Postman, aber:
Wenn sich ein Volk von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieté-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr - das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.
Nicht die Gesellschaft bestimmt, was im Fernsehen läuft, das Fernsehen formt die Gesellschaft – und die merkt es nicht einmal und wehrt sich auch nicht. Diese Diagnose von Neil Postman ist heute noch gültig. Dass, wie der Medienwissenschaftler schrieb, die Pädagogen unserer Zeit nicht die Lehrer, sondern die Fernsehmacher seien, wird jeder bestätigen, der Kinder hat oder kennt. Wer Kinder bilden will, muss das immer gegen das Fernsehen, nicht mit dem Fernsehen tun. Selbst Bildungs- und Informationssendungen, so legte Postman schlüssig dar, bringen keinem Kind das logische Denken bei. Auch der Siegeszug des Internet widerlegt den Medienwissenschaftler nicht. Es mag sein, dass das Internet mehr Menschen denn je zum Schreiben und Lesen gebracht hat, wie Netzenthusiasten meinen. Wer sich unterhalten lassen will, wird dort immer etwas finden. Wer allerdings nach fundiertem und überprüfbarem Wissen sucht, ist auch in unserer digitalisierten Epoche in jeder Bibliothek besser aufgehoben.
Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie"
Fischer Taschenbuch Verlag
206 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-596-24285-6