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Institut Mathildenhöhe in Darmstadt
Wiederentdeckung des Stilbildners Hans Christiansen

Von Christian Gampert |
    Wie bekommt man einen sehr erfolgreichen Pariser Künstler ausgerechnet nach Darmstadt? Ganz einfach: Man ernennt ihn zum Professor. Großherzog Ernst Ludwig berief Hans Christiansen 1899 als erstes Mitglied der Künstlerkolonie, und nicht nur die gesicherte Existenz, sondern auch die Möglichkeit, das eigenen Lebensumfeld im Sinne eines Gesamtkunstwerks zu gestalten, mag den aus Flensburg stammenden Christiansen bewogen haben, den Ruf anzunehmen. Von den Teppichen bis zum Essgeschirr, von den Möbeln bis zu den Kleidern der Gattin war fortan alles vom Hausherrn designt. Oder gemalt. Das leider nur als Reproduktion zu sehende Familienbild im Entrée der Ausstellung zeigt eine repräsentativ schwebende Idylle.
    Künstlerisches Allroundgenie und genialer Netzwerker
    Christiansen hatte zunächst Anstreicher und Dekorationsmaler gelernt, und er muss nicht nur ein künstlerisches Allroundgenie, sondern auch ein genialer Netzwerker gewesen sein. Denn irgendwie kommt er 1893 auf die Chicagoer Weltausstellung, sieht dort Glasarbeiten von Tiffany, macht Kontakte und beginnt in Paris Glasfenster zu fertigen. An der Académie Julian lernt er solides Handwerk, er saugt begierig auf, was von Toulouse-Lautrec und den Nabis auf dem Markt ist, bestaunt den Japonismus, entwirft Postkarten und Plakate und wird als Titelblatt-Gestalter der Münchner Zeitschrift "Jugend" ein Star. Da war schon das Flächige und die ornamental geschwungene Linie sein Markenzeichen.
    Die Ausstellung führt uns relativ schnell durch die Skizzen der Frühphase, zeigt vor roten Wänden die Pariser Zeit, und das heißt Nixen in der Meeresbrandung und verführerische nackte Damen, die einen Drachen zähmen, der ganze halbseidene erotische Schwulst des Fin de Siècle; dann den Kleiderschrank der jungen Familie mit der peitschenartigen Ornamentik des Pariser Jugendstils (Christiansen hatte dort Claire Guggenheim geheiratet). Mit dem Wechsel nach Darmstadt das Wachsen zum Gesamtkünstler, der Freistil und angewandte Künste verbindet, der auch Möbel, Geschirr und Vasen designt - durch den Einfluss des Chefgurus der Künstlerkolonie, des Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich, nun allerdings in der Form sachlicher und in der Bemalung nicht mehr so verspielt, eher abstrakt, aber sehr lebens- und farbenfroh.
    Und das ist genau das, was der Erzherzog mit der Berufung junger Künstler bezweckte: dass nicht nur Schönes, sondern auch Brauchbares ausgedacht und damit die Wirtschaft angekurbelt werde, sagt Kurator Philipp Gutbrod.
    Verbindung von Wirtschafts- und Kulturförderung
    "Er hat in der Jugend eine Möglichkeit gesehen, dass eine kreative Energie nach Darmstadt kommt und die Wirtschaft beflügelt. Das ist entscheidend. Christiansen hat auch für Firmen aus der Region Entwürfe geschaffen; die wurden umgesetzt und im Rahmen der Ausstellung 1901 gezeigt. So konnte der Großherzog Wirtschaftsförderung mit Kulturförderung verbinden."
    Die große Schau der Künstlerkolonie 1901 war ökonomisch eher ein Desaster, etablierte aber dauerhaft den Einfluss Darmstadts in Architektur und Kunsthandwerk. In der Kolonie verschmolzen die Sachlichkeit des durch Olbrich vertretenen Wiener Jugendstils und Christiansens aus Paris importierte Erotik zu schöner, lebensreformerischer Harmonie, am besten vielleicht veranschaulicht durch Christiansens Möbel-Ensemble für sein bürgerliches Wohnzimmer: über dem Sofa thront, in einer Einlegearbeit, Frau Musica.
    Die Ausstellungsmacher haben viel recherchiert und in einer unglaublichen Arbeitsleistung miteinander korrespondierende Objekte aus vielen Privatsammlungen herbeigeschafft - so sieht man einmal Christiansen Entwurf für einen Kragen, dann den Kragen selbst, dann das Bildnis seiner Frau, die eben diesen Kragen trägt. Ein von Christiansen entworfenes Kleid wurde nachgeschneidert. Das von ihm ausgestattete Haus, 1944 zerbombt, ist in einer Diashow zu sehen.
    1911 zog Hans Christiansen nach Wiesbaden, entwarf und malte und lebte bürgerlich in selbst gestalteten Empire-Möbeln. Er war ein kleines Universalgenie: dem Dekorativen und Formschönen verpflichtet, aber mit politischem Rückgrat. Nach 1933 rettete er seine jüdische Ehefrau vor den Nazis, indem er seine Wohnung vermietete und mit ihr in einer Dachkammer lebte. Vereinsamt und verarmt schrieb er Bücher mit Titeln wie "Meine Lösung der Welträtsel" - und starb kurz vor Ende der Hitler-Diktatur. Trauriges Ende eines der größten Kunsthandwerker des 20. Jahrhunderts; die Mathildenhöhe hat ihm nun ein Denkmal gesetzt.