"Ja, wir stehen jetzt also hier im Montagesaal, wo wir gerade die Orgel für die Leipziger Universitätskirche vormontieren. Das heißt, in den vergangenen Monaten, fast schon Jahren, sind Windladen, Spieltisch, Wellenbretter, Trakturteile, Pfeifen in den einzelnen Werkstätten hier bei uns gefertigt worden. Und ganz zum Schluss, kurz vor Auslieferung, wird halt das ganze Instrument einmal komplett vormontiert."
In einem gigantischen Klettergerüst aus dicken Holzbalken tauchen immer wieder die Köpfe zweier Männer auf. Sie spannen hauchdünne Holzleisten von den Tasten des Spieltischs zur Windlade, auf der später die Pfeifen stehen werden.
"Das Instrument selber bringen wir hier aber nicht zum Klingen, wir brauchen ja immer die jeweilige Akustik der Kirche. Das heißt, hier erfolgt nur ein technischer Aufbau, dann wird das Instrument wieder komplett zerlegt, per LKW dann nach Leipzig gebracht."
Die Orgel für Leipzig ist Opus 1.161. So viele Jehmlich-Orgeln gibt es bereits, von Greifswald bis Budapest, von Texas bis Tokyo. Ralf Jehmlich leitet das Unternehmen seit 2006 in sechster Generation, zur Zeit noch gemeinsam mit Schwiegervater Horst Jehmlich:
"Die erste Generation hat im Erzgebirge begonnen. Das waren drei Brüder und die haben in Neuwernsdorf eine Werkstatt eingerichtet, das ist direkt an der böhmischen Grenze. Dort haben sie 1808 begonnen."
Eine sächsische Orgellandschaft
Einer der Brüder, Johann Gotthold, hatte bei einem Schüler Silbermanns sein Handwerk erlernt. 1836 wurde er zum Königlich Sächsischen Hoforgelbauer ernannt. Fortan war er für die Pflege und Reparatur der großen Silbermannorgeln in der Dresdner Hofkirche und im Freiberger Dom zuständig. Und das ist die Firma Jehmlich bis heute. Zudem hat sie zahlreiche Silbermannorgeln restauriert:
"Wir versuchen in diesem klanglichen Stil von Gottfried Silbermann auch heute Orgeln weiter zu bauen. Man spricht ja im Orgelbau auch von Orgellandschaften und wir haben eben hier eine sächsische Orgellandschaft. Die ist sehr stark geprägt von Silbermann."
1897 bezog die Firma Jehmlich Orgelbau die heutige Werkstatt. Ein lang gestreckter zweistöckiger Bau in einem Dresdner Hinterhof. In der DDR ereilte viele Privatfirmen das Schicksal der Verstaatlichung, so auch 1972 den Jehmlich Orgelbau:
"Ich bin dann ab 1973 als Betriebsleiter berufen worden für den staatlichen Betrieb. Und konnte das aber ganz im Sinne meiner Vorfahren weiterleiten. Also wir hatten keinen Einfluss von staatlicher Seite."
Der Staat ermunterte den Betrieb sogar, viele Orgeln für den Export zu bauen, denn die DDR schielte nach Devisen. Das setzte voraus, dass die Firma fachlich auf dem neuesten Stand blieb. Gleichzeitig konnte sie viel günstigere Instrumente anbieten, da die Löhne in der DDR niedrig waren. Eine völlige Umstellung war da die Wende.
"Da musste man zwei Dinge eigentlich hier besonders berücksichtigen: Das erste war ein Mut zu Investition. Wir hatten ja alles mehr oder weniger zu DDR-Zeiten auf Verschleiß gefahren, denke ich mal an Maschinen, an Ausrüstung. Den Schritt habe ich sehr schnell getan, weil ich dachte: alles oder nichts. Und das andere war, dass man natürlich jetzt viel mehr Aufwand in die Auftragsbeschaffung legen musste."
25 stark spezialisierte Mitarbeiter
Der reibungslose Übergang gelang, und schon bald stand die Frage der Nachfolge ins Haus. Orgelbauer sei man aus Berufung, das könne nicht anerzogen werden, meint Horst Jehmlich. Schließlich entschloss sich Schwiegersohn Ralf Jehmlich, ein studierter Holztechniker, zum Einstieg in die Firma und absolvierte die Lehre zum Orgelbauer:
"Wir stehen jetzt hier am Gießofen. Hier wird also nach wie vor bei uns mit einem Holzfeuer dieser Gießofen betrieben. Und je nachdem, welche Klangfarbe wir in das Register legen wollen, ob es eher grundtöniger oder eher schärfer klingen soll, wird hier die Legierung ganz individuell gegossen."
In der Zinnbude wird die Schmelze dann in einem Schlitten über den Gießtisch gezogen, bis sie erstarrt, und mit einer riesigen Walze auf die richtige Dicke gebracht. Danach werden die Bleche geschnitten, zusammengelötet und auf Formen rund geschlagen. Die Metallpfeifen bilden das Prospekt, also die Fassade der Orgel, hinter der meist noch Hunderte weitere Pfeifen aus Metall und aus Holz versteckt sind.
"Das wäre jetzt zum Beispiel der Klang von Metallpfeifen. Dann Holzpfeifen."
Die Firma Jehmlich beschäftigt 25 Mitarbeiter und zwei Lehrlinge. Alle sind stark spezialisiert, wie Intonateur Matthias Ullmann. Bei ihm stehen die fertig geformten Metallröhren wie die sprichwörtlichen Orgelpfeifen und warten, dass er ihnen den Mund öffnet:
"Ich schneide mit dem Messer hier oben so viel weg, sodass der Aufschnitt, ähnlich wie bei einer Blockflöte, die richtige Höhe hat, sodass dann also auch ein Ton rauskommt, hier zum Vergleich: Die hier ist noch gar nichts."
Im letzten Werkstattraum, der klimatisiert werden kann wie eine Kirche, werden Restaurierungen durchgeführt. Ein Lehrling schleift den Leim von einer geklebten Holzpfeife. Ein anderer Mitarbeiter bestückt die Windlade einer historischen Orgel mit kleinen Lederpilzen, die sich heben, wenn der jeweilige Ton angespielt wird. Orgeln sind aufwendige Instrumente, die oft gewartet werden müssen. Tendenziell wird die Zahl der Aufträge aber zurückgehen, vermutet Horst Jehmlich:
"Das heißt, es werden viel weniger neue Orgeln gebaut, auch weil weniger neue Kirchen gebaut werden."
Doch der Name Jehmlich hat sich als Marke etabliert. 2008 feierte die Firma ihr 200. Jubiläum. Jehmlich Orgelbau ist weltweit das einzige Orgelbauunternehmen, das sich noch in der Hand derselben Familie befindet. Das verpflichtet, alle Register zu ziehen. Und so wagen Horst und Ralf Jehmlich immer wieder den Spagat zwischen Tradition und Innovation. Im Jahr 2000 gelang es der Firma, gemeinsam mit der Porzellanmanufaktur Meißen, eine Orgel mit Porzellanpfeifen zu bauen. Diese erste Porzellanorgel kann in der Meißner Manufaktur besichtigt und gehört werden.