Katharina Hamberger: Frau Özoğuz, was bedeutet für Sie denn gelungene Integration?
Aydan Özoğuz: Die typische Frage, die immer wieder schwer zu beantworten ist, weil jeder unter Integration etwas anderes versteht. Aber da ich es jetzt ja kurz machen soll, würde ich sagen: Ein gelungenes Zusammenleben von Menschen, die ins Land einwandern, die schon eingewandert sind, deren Nachkommen und allen, die hier schon immer gelebt haben.
Hamberger: Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht: Integration sei ein Prozess, der allen etwas abverlange. Was verlangt denn dieser Prozess genau und von wem verlangt er etwas ab?
Özoğuz: Na, da könnte ich ja jetzt wirklich von der Kita bis zu den Senioren tausend Beispiele aufzählen. Das Wichtige ist doch, dass wir merken, man kann eben nicht nur sagen: Da ist jemand gekommen, da ist jemand neu im Land. Und der muss sich irgendwie darauf einstellen, wie es hier läuft, sondern – wie es jetzt beispielsweise gerade ja aktuell diskutiert wird –, auch Arbeitgeber sollten denjenigen, die einen fremden Namen haben, eine Chance geben. Also alle Seiten müssen etwas dazu beitragen, dass man tatsächlich auch gelungen zusammenleben kann. Und das stellen wir an vielen, vielen Stellen fest. Wichtig ist beispielsweise noch der Punkt Sprache. Es ist eben eine Herausforderung, zweisprachig groß zu werden, und zwar nicht nur für diejenigen, die damit groß werden, sondern auch für Lehrerinnen und Lehrer, die das jetzt natürlich schon ganz gut wissen und mittlerweile auch damit umgehen können. Aber früher war das nicht so, da hat man immer gedacht: Na ja, die machen nur Fehler im Deutschen und das andere interessiert mich nicht weiter oder kann ich nicht einschätzen. Das sind Entwicklungen und Prozesse, die werden meines Erachtens nie abgeschlossen sein. Wir müssen immer weiter daran arbeiten, denn wir haben ja jetzt gerade auch wieder Neuzuwanderung, die wieder neue Herausforderungen mit sich bringt.
Hamberger: Was verlangt das denn von Ihnen als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ganz speziell ab?
Özoğuz: Na, da ist erst mal eine ganze Reihe im Koalitionsvertrag, was abzuarbeiten ist. Wir haben mit der Optionspflicht begonnen – das ist für mich einer der ganz wesentlichen Punkte. Wir haben hier einen riesigen Schritt gemacht. Und ich glaube, das ist ein guter Pfad. Auf solchen Wegen gehe ich. Da wäre noch die Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete, die es noch umzusetzen gilt. Aber gleichzeitig muss ich auch die Rechte der Menschen hier wahren, denke ich, die angegriffen werden. Also wenn man aufgrund von Armut oder weil man manches nicht so kann wie andere, ausgegrenzt wird oder in eine Ecke gestellt wird, dann sehe ich es auch als meine Pflicht an, darauf hinzuweisen, dass das nicht geht.
Hamberger: Und das heißt, Sie werden da des Öfteren noch zu hören sein, wenn mal wieder von rechts geschossen wird?
Özoğuz: Ja. Also wenn von Rechts geschossen wird sowieso immer. Tatsächlich aber ist die große Herausforderung, Diskriminierung zu entlarven, die häufig sehr unbewusst läuft. Es ist gar nicht immer rechtes Gedankengut, was uns auseinandertreibt oder was auch viele Konflikte hervorbringt, sondern mitunter sind es einfach alte Strukturen, also ich sage mal, wie eben bei dem Beispiel: Bei Einstellungsverfahren sind es Dinge, die hat man vor 20, 30 Jahren die Leute gefragt hat. Und jemand, der zugewandert ist, weiß nicht alles über deutsche Geschichte – das macht ihn aber nicht zu einem schlechteren Handwerker. Also da müssen wir an manchen Stellen tatsächlich genauer hingucken und auch mal etwas entlarven, damit jeder bei uns auch eine faire Chance hat, wirklich in die Gesellschaft hineinzuwachsen.
Hamberger: Sie selbst haben in einen Text 2010 geschrieben: Es gäbe im politischen Diskurs noch zu viel Trennung zwischen "wir" und "die" und zwischen Bürgern mit und ohne Migrationshintergrund. Sie haben auch gerade gesagt: Der Prozess der Integration wird nie abgeschlossen sein – aber wie weit sind wir denn? Haben wir denn seit 2010, seitdem Sie das geschrieben haben, schon einen großen Fortschritt erreicht?
Özoğuz möchte mehr Aufklärung an den Schulen
Özoğuz: Ich denke, jedes Jahr erreichen wir tatsächlich Fortschritte, weil es auch dieses "wir" und "die" in Wahrheit ja gar nicht gibt. Und ich denke, das wird vielen immer bewusster, also wer sind denn "die Migranten"? Das sind über 100 Nationen, über die wir sprechen, aus denen Menschen einst gekommen sind oder von deren Eltern sie abstammen und so weiter. Und in Deutschland hat auch nicht jeder die gleiche Meinung – Gott sei Dank –, sondern wir sind eine sehr plurale, vielfältige Meinungsgesellschaft. Das ist von daher immer ein stetiger Prozess, dass man schauen muss, wie kommen Menschen selbstverständlich zusammen? Wir haben Unterschiede in Deutschland – das muss man sagen – beispielsweise dort, wo schon Zuwanderung stattgefunden hat und wo Menschen bestimmte Prozesse überhaupt nicht mehr als fremd oder bedrohlich wahrnehmen, sondern auf echte Probleme zum Beispiel hinweisen, wenn sie sagen: Wir haben hier ganz viele Leute, die arm sind, wir wissen nicht, wie wir sie so schnell alle beschulen oder ins Gesundheitssystem einspeisen sollen. Aber es gibt schon Unterschiede dort, wo wenige Menschen je angekommen sind, die in unser Land eingewandert sind, da merke ich, dass ist eine große Gefahr. Man kann leider oft auch Menschen ganz viel Furcht und Ängste einreden, wenn sie überhaupt keine Erfahrung damit haben, wie es ist, dass Paolo oder Ali oder – was weiß ich – Fatma, meine Klassenkameradin ist. Also da gibt es Unterschiede. Und deswegen ist Aufklärung immer wieder das höchste Gebot der Stunde.
Hamberger: Ein Projekt der Bundesregierung, das es jetzt seit ein paar Jahren gibt, das eben auch Integration fördern soll, ist der Integrationsgipfel. Sie selbst stehen jetzt vor der Aufgabe, den zu gestalten. Sie haben das Format vorher sehr oft kritisiert, also vor allem das Ergebnis, diesen nationalen Aktionsplan, den es gibt. Das sei lediglich ein Papier mit Empfehlungen für die Politik, haben Sie mal geschrieben. Hat dieser Plan denn wirklich nichts gebracht bislang?
Özoğuz: Na beim Integrationsgipfel würde ich sagen, wir haben am Anfang ihn ja alle durchaus auch gelobt. Wir haben gesagt: "Es ist eine Symbolveranstaltung" - das war die Kritik - und gleichzeitig war es eben so, dass wir gesagt haben: Es ist aber einmalig, dass eine Kanzlerin ins Kanzleramt einlädt. Und das hat auch vielen etwas bedeutet. Der Punkt ist nur, wenn man Jahr um Jahr einlädt, um quasi alle möglichen Themen zu besprechen, verfängt irgendwann der Gedanke nicht mehr so. Deswegen habe ich jetzt als Beauftragte vorgeschlagen der Kanzlerin, dass wir ein Schwerpunktthema wählen, nämlich das, was ich auch für dieses Jahr für meine Arbeit gewählt habe, das Thema Ausbildung, ein Stück weit Arbeit natürlich, und sie war sofort einverstanden. Darüber habe ich mich sehr gefreut, weil wir jetzt auch ein bisschen in die Tiefe gehen können. Also da soll ein Schwerpunkt entstehen, wo man tatsächlich klare, nüchterne Zahlen auswerten kann, aber auch mit der Thematik umgeht: Wir haben ein Ausbildungsrekordtief in unserem Land seit der Wiedervereinigung, damit müssen wir umgehen. Und gleichzeitig stellen wir immer noch starke Diskriminierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt fest bei den Auszubildenden beispielsweise – und da müssen wir ran. Und das müssen wir dann entsprechend ja auch kleinarbeiten können. Und das erhoffe ich mir natürlich jetzt auch vom Integrationsgipfel.
Hamberger: Wie würde denn so eine Kleinarbeit aussehen? Also die aktuelle Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat ja eben gerade das festgestellt, was Sie auch beschrieben haben, die Diskriminierung von Bewerbern mit Migrationshintergrund bei bestimmten Betrieben. Was kann man dagegen tun?
Diskriminierung auf den Arbeitsmarkt soll verhindert werden, sagt Özoğuz
Özoğuz: Wichtig ist tatsächlich die Aufklärung zunächst einmal. Ich denke, dass viele es nicht angenommen hätten, diesen Vorwurf, wenn es nicht eben belegt wäre, und zwar wissenschaftlich belegt wäre. Es gab ja auch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine ähnliche Untersuchung, die schon gezeigt hat, dass es eben nicht nur darum geht, ob ich einen fremden Namen habe, Zuwanderungshintergrund, sondern auch schon zwischen Frauen und Männern es eben sehr deutliche Unterschiede gibt. Und am Ende der Kette ist dann die migrantische Frau, die überhaupt nicht in den Beruf findet. Also so etwas muss uns doch ein Stück weit aufmerksam machen. Und gleichzeitig wollen wir natürlich bei dieser Studie schon noch mal genauer hingucken, dass hier beim Sachverständigenrat besonders gute Zeugnisse ja kreiert wurden. Also wir haben es hier mit einer Situation zu tun, wo sehr gut Ausgebildete, sobald sie einen fremden Namen tragen, aussortiert werden beziehungsweise seltener eingeladen werden, und zwar teilweise eklatant seltener eingeladen werden. Also bei einem Durchschnitt von 1,9 oder 2 im Abizeugnis werde ich seltener eingeladen, als eben mein deutscher Kollege. Das sollte uns doch noch mal nachdenklich machen, ob das die richtigen Strukturen sind, woran das liegt. Und es gibt Unternehmer, die haben schon Konsequenzen gezogen, die machen zum Beispiel – das ist ein Instrument – anonymisierte Bewerbung. Wir haben das auch in der Verwaltung. Also es gibt schon Möglichkeiten, etwas zu verändern. Aber ich will nicht verhehlen, dass der öffentliche Dienst da auch besser vorangehen könnte. Da haben wir eine ganze Menge zu tun, wenn wir Modell sein wollen für die Unternehmer und die Republik. Da sind bei uns doch noch eklatante Lücken feststellbar.
Hamberger: Wird das dann auch im Zuge dieser auch im Koalitionsvertrag genannten Stärkung der Willkommenskultur sein? Also dieser sogenannten Willkommenskultur, dass man sagt: Man muss Deutschland wieder mehr öffnen? Sind wir da so verschlossen? Haben wir keine Willkommenskultur?
Özoğuz: Also ich habe ja neulich einmal gesagt: Willkommenskultur ist nicht alles. Und da hat eine Zeitung daraus gemacht, ich hielte sie für unnötig. Das ist nun nicht der Fall! Der Punkt ist nur: Wir sind ja vielschichtig. Also wenn ich in Hamburg geboren wurde, wie viele Tausende andere auch eben in Deutschland geboren wurde, brauche ich nicht die Willkommenskultur, sondern eine Anerkennungs- und Teilhabestruktur in diesem Land, dass ich ganz selbstverständlich hier reinwachsen kann. Aber natürlich brauchen wir auch die Willkommenskultur für alle die, die kommen. Das beinhaltet für mich zum einen eine Atmosphäre im Land, also wie reden wir politisch über Zuwanderung, über Zuwanderer, über Menschen mit fremden Namen. Aber natürlich auch, wie gehen wir mit ihnen um, wenn sie denn da sind. Und da wollen wir ja auch mit meinem Arbeitsstab ordentlich mitwirken, dass es einfach bessere Strukturen gibt, dass man nicht ankommt und dann von A nach B nach Z nach sonst wo geschickt wird – was man häufig ja gar nicht leisten kann. Sondern gerade Hochqualifizierte haben natürlich ein Interesse daran, auch ihre Familien mitzubringen und wollen wissen, wie das ist mit der Betreuung der Kinder, ob die Ehefrau auch arbeiten kann oder der Ehemann, der da mitkommt. Also all so etwas ist ein gewisser Servicecharakter und -gedanke, der in manchen Kommunen jetzt schon eingesetzt wird. Aber da können wir auch noch flächendeckend einiges bewegen.
Hamberger: Wo soll denn das Geld herkommen für solche Projekte, für diese Stärkung der Willkommenskultur? Vor allem jetzt mit dem Hintergrund, dass ja der Finanzminister unbedingt die schwarze Null behalten will.
Özoğuz: Ja, aber ich glaube, so etwas, das sind gar nicht immer so hohe Kostenfaktoren, über die wir sprechen. Teilweise kann man ja sogar dadurch, dass man Dinge in der Verwaltung zusammenlegt, effizienter arbeiten und möglicherweise sogar Kosten sparen. Aber klar ist auch, wir müssen ein Stück investieren – da ist auch im Koalitionsvertrag festgehalten –, beispielsweise aufgrund der hohen Flüchtlingsströme, die uns erreichen. Die Beamten schaffen es kaum noch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, alles abzuarbeiten. Und da haben wir uns dafür eingesetzt, dass mehr Personal eingesetzt werden soll. Und das wird sicherlich jetzt auch geschehen in der nächsten Zeit, denn anders wäre das gar nicht zu bewältigen.
Hamberger: Eine Lösung sieht aber so aus, dass man plant, bestimmte Herkunftsländer zu sicheren Herkunftsländern zu machen. Das sind jetzt im Moment drei, die im Koalitionsvertrag stehen und fünf sollen es jetzt im Endeffekt werden – also das wären dann Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Albanien und Montenegro. Ist das denn der richtige Weg?
Özoğuz: Also wir haben drei im Koalitionsvertrag. Und das ist für uns auch die Grundlage nun zunächst einmal, über die wir sprechen. Tatsächlich ist es so, dass es ja darum geht, dass wir kaum Anerkennungsquoten aus diesen Ländern haben und es tatsächlich für die Verwaltung schon schwierig ist, wenn eben jemand seinen ganzen Antrag abgegeben hat, der wurde nun bearbeitet, er wurde abgelehnt, wie es eben in den meisten Fällen ist – also wir sprechen hier teilweise von unter einem Prozent Anerkennungsquoten –, und dann stellt die gleiche Person gleich wieder einen Antrag. Dass wir hier ein Stück weit auch sehen müssen, das muss verschlankt werden möglicherweise. Das heißt nicht – das möchte ich deutlich sagen, weil mir das wichtig ist –, dass nicht jemand, der aus diesen Ländern kommt und möglicherweise tatsächlich eine Verfolgung erlebt oder so etwas, politische Verfolgung, dass der nicht eben einen entsprechenden Antrag stellen kann und das ja auch geprüft werden muss. Aber es kann eben schneller geschaut werden, ob das überhaupt eine Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Und wir stellen fest, in den allermeisten Fällen aus diesen Ländern, hat es keinen Erfolg.
Hamberger: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoğuz. Ich würde gerne noch einmal auf das Thema doppelte Staatsbürgerschaft, das Sie bereits angesprochen haben, zurückkommen. Das war ja gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit eigentlich eine Feuertaufe. Jetzt gibt es einen Kompromiss, den wir haben, ausgehandelt zwischen dem Justizministerium und dem Innenministerium – vor allem, was dieses Wörtchen aufgewachsen betrifft, das im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, dass jemand die doppelte Staatsbürgerschaft nur bekommen kann, wenn er hier auch aufgewachsenen ist. Und das gilt jetzt mit: acht Jahre hier gewohnt, Schulbesuch und Schulabschluss oder Berufsabschluss. Sie haben sich am Anfang durchaus doch zufrieden gezeigt und das jetzt auch noch mal angedeutet, dass das wichtig ist, haben aber dann doch laut über eine Regelung für Altfälle nachgedacht. Sind Sie denn jetzt zufrieden?
Özoğuz hält Doppelpass-Kompromiss für wirklich wichtigen Schritt
Özoğuz: Also, ich finde, wir haben einen wirklich wichtigen Schritt gemacht. Der Punkt ist ja, man muss sich einfach die Dimensionen klar machen. Im Moment sind es ja "nur" einige Tausend – also nur in Anführungsstrichen –, die es betrifft, weil man damals im Jahr 2000, als diese Regelung kam, auch rückwirkend es quasi angesetzt hat. Aber ab dem Jahr 2018 werden uns 40.000 junge Menschen prognostiziert, die sich dann entscheiden sollen für eine Staatsangehörigkeit von zwei Staatsangehörigkeiten, die sie beide seit der Geburt haben durften. Also, sie können sich weiterhin für die deutsche entscheiden oder eben für die Herkunft der Eltern. Nur, das muss man sich mal praktisch überlegen – was heißt denn das? Da wird möglicherweise jemand der sagt: Nein, meine Herkunftsstaatsangehörigkeit kann ich nicht aufgeben, der wird dann zum Ausländer, mit 18, der hier immer schon Deutscher war und so geboren ist. Was hat Deutschland davon? Also diese Frage muss man sich ja mal ernsthaft stellen. Und wir haben im Moment eine Situation, wo bei den Einbürgerungen, bei der Mehrzahl der Einbürgerungsfälle wird die doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen. Also wir haben eine gewisse Schieflache in dieser ganzen Debatte. Und deshalb freue ich mich, dass wir jetzt diesen wirklich wichtigen Schritt machen konnten, zu sagen: Da muss nicht jemand zum Amt gehen und alles Mögliche nachweisen von sich aus, um überhaupt seine Staatsbürgerschaften behalten zu können. Es kann nicht passieren, wie in der Vergangenheit möglich: Ich melde mich nicht auf irgendein Schreiben und verliere automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. All das ist damit jetzt ausgeschlossen. Und de facto ist es ja so, mit acht hat sich das Thema eigentlich erledigt, wenn ich hier im Land gelebt habe und hier angefangen habe zur Schule zu gehen – was auch immer –, dann ist das eigentlich schon durch. Also ich werde auch nie wieder befragt werden müssen und dafür immer meine zwei Staatsangehörigkeiten behalten. Das finde ich einen ganz, ganz wichtigen und guten Schritt.
Ja, und die Altfälle, die Sie angesprochen haben, das ist schon so, dass auch Thomas de Maizière ja mal sagte: Man müsste mal gucken bei diesen eineinhalb Geburtenjahrgängen, die es betroffen hat, ob man da nicht eine Regelung finden kann, weil wir jetzt plötzlich eine Gruppe haben, die schon optieren musste, wie es heißt, also schon wählen musste. Und möglicherweise die deutsche Staatsangehörigkeit jetzt verloren hat. Da gibt es ja einige hundert Fälle offensichtlich. Und die stehen jetzt so in einer Lücke, die sind völlig ungeklärt. Das sind diejenigen, die hier schon geboren sind, groß geworden sind, aber weil das Gesetz jetzt für sie zu spät kommt, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr haben. Da wäre natürlich der Wunsch, dass man daran noch weiter arbeitet.
Hamberger: Sie haben gerade gesagt: Was hat denn der Staat davon, wenn jemand sozusagen die deutsche Staatsbürgerschaft verliert und nur noch einen Pass hat - aber was hat jemand von zwei Pässen?
Özoğuz: Ach, das ist für viele Menschen einfach eine ganz wichtige Lebenswirklichkeit. Also ich habe das selber erlebt, als meine Mutter gestorben ist, wie wichtig es war, die Staatsangehörigkeit zu haben dann im Land und eben auch sagen zu können, wo man sie nun beerdigen möchte. Staatsangehörigkeiten sind Verwaltung, sind ein Stück weit auch Lebenswirklichkeit für Menschen. Und sie halten sich auch nicht über Generationen. Also mein Wunsch wäre es, dass es irgendwann möglich ist, dass mal alles auf den Tisch zu legen und eine Lösung zu machen, die für die nächsten 50 Jahre Bestand hat. Aber weil das Thema so emotional ist, gehen wir in Schritten – dieses Mal haben wir einen großen gemacht.
Hamberger: Wann werden Sie sich denn dafür einsetzen, dass die Optionspflicht komplett abgeschafft wird, ohne das Wörtchen aufgewachsen?
Özoğuz: Ja gut, jeder weiß, dass ich ja dafür stehe, auch weiterhin, aber ich bin ein guter Koalitionspartner und habe eben hart mitverhandelt, dass wir zu einer wirklich guten Lösung kommen. Das ist ja jetzt der Fall. Und deswegen müssen wir diesen Weg unbedingt gehen, diesen Schritt müssen wir machen. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht noch weitere machen könnten.
Hamberger: Ich würde auch gerne noch mal auf ein anderes Thema, das mit dem Innenministerium zu tun hat und Sie auch betrifft, kommen, nämlich die Islamkonferenz. Das ist etwas, was bislang immer für großen Streit gesorgt hat. Jetzt hat Thomas de Maizière das Ganze neu aufgezogen. Er hat es geschafft, jetzt erst einmal für die Islamkonferenz ein Stück weit Frieden zu schaffen. Was halten Sie denn von dem jetzigen Format der Islamkonferenz?
Özoğuz lobt de Maizière für die neue Islamkonferenz
Özoğuz: Ja, ich muss schon sagen, da muss man Thomas de Maizière ein großes Lob aussprechen. Die Islamkonferenz war ja schon kurz vor Tod. Die war in der letzten Legislatur wirklich ein Mittel gewesen, um die Gesellschaft, in meinen Augen, wirklich komplett auseinanderzutreiben und gerade Muslime auch wahnsinnig zu stigmatisieren. Das will er deutlich anders machen – das merkt man. Er hat einen neuen Stil – wie mir auch von den Teilnehmern nun gesagt wird. Aber es geht hier wirklich um einen gemeinsamen Weg, wie wir in dieser Gesellschaft auch religiöses Leben gestalten. Da tut es auch mal gut, verschiedene Religionen miteinander zu vergleichen oder zu gucken: Wie haben es denn die einen oder die anderen gemacht. Und so etwas ist natürlich gut, zu wissen, weil wir merken, wir müssen ja auch viele Vereinbarungen treffen mittlerweile, um beispielsweise die Menschen richtig bestatten zu können, um zu überlegen, wie soll das mit dem Religionsunterricht sein. Und die Verbände haben sich jetzt sehr stark dafür ausgesprochen, das Thema Wohlfahrt in die Hand zu nehmen. Das, glaube ich, ist ein ganz, ganz wichtiges Thema, weil es natürlich auch heißt: Wie geht man mit anderen Wohlfahrtsverbänden um? Was kann sozusagen ein islamischer Anteil daran sein? Und das, glaube ich, muss jetzt sehr genau bearbeitet werden.
Hamberger: Also es ist sicher ein positives Zeichen für Migranten mit einem muslimischen Hintergrund. Aber kann es nicht sein, dass sich andere Religionsgruppen dadurch benachteiligt fühlen und sagen: Warum kriegen Muslime eine eigene Konferenz und wir nicht?
Özoğuz: Na, ich denke, das war schon dem Charakter geschuldet damals, dass gerade es auch viel ein Bild gab von Muslimen – meistens ja durch das Ausland und nicht erst durch den 11. September, muss man sagen –, als seien nun viele Muslime so partiell radikal oder Terroristen. Und ich habe schon den Eindruck, dass man an diesem Bild auch sehr stark arbeiten muss. Wir haben auch auf Ebenen, die sich jetzt nicht so dramatisch auswirken, wie das eben skizzierte, ja durchaus die Lage: Wo finden eigentlich Frauen mit Kopftuch in unsere Gesellschaft? Die bekommen so gut wie keine Arbeit, sie können noch so gut qualifiziert, studiert sein. Wie ist es mit den Friedhöfen? Also, da gibt es schon eine ganze Reihe von Themen. Das hat sicherlich mit der Größe der Gruppe zu tun. Für mich heißt das aber nicht, dass die anderen Religionen jetzt irgendwie hinten über fallen, sondern ich bemühe mich beispielsweise wirklich zu allen wichtigen religiösen Feiertagen, die auch entsprechend zu würdigen, auch die Verbände dann jeweils anzuschreiben – das ist mir sehr, sehr wichtig.
Hamberger: Sie sehen also auch nicht die Gefahr, dass Sie als Integrationsbeauftragte, nicht als die Integrationsbeauftragte aller Einwanderungsgruppen gesehen werden, sondern vielleicht nur die der türkischstämmigen Muslime?
Özoğuz: Na, ich möchte auch nicht nur als Beauftragte der Einwanderergruppen gesehen werden, sondern ich bin Beauftragte für Zuwanderung, für Flüchtlinge und für das Zusammenleben in unserem Land – wenn ich das jetzt mal so übersetzen darf, was diese Begriffe Migration und Integration ja bedeuten können und sollen. Und deswegen bin ich also weder nur für eine Gruppe da, noch eben nur für Einwanderergruppen. Ich sehe mich wirklich in der Verantwortung, auch zu schauen, was treibt den Unternehmer? Was treibt vielleicht in irgendeiner Tagesstätte eine Gruppe, sich gegen eine andere auszusprechen? Was ist vor Ort los – in Duisburg oder Dortmund –, wo dann ganz viele Flüchtlinge vielleicht ankommen und man sagen muss: Ja, wenn man es aufs ganze Land sieht, haben wir überhaupt gar keine Dramatik; wenn man es aufs ganze Land sieht, haben wir Hochqualifizierte – in der absolut überwiegenden Mehrzahl aus Bulgarien oder Rumänien zum Beispiel. Es geht immer um alle. Man muss immer an alle denken, denn sonst passt das Zusammenleben ja nie.
Wahlkampfsprüche der CSU seien überhaupt nicht hilfreich
Hamberger: Wie hilfreich ist es denn, wenn aus Ihrer eigenen Koalition – vor allem von der CSU – mit solchen Parolen wie "Wer betrügt, der fliegt" Wahlkampf gemacht wird? Das ist doch für Sie dann eher schwierig?
Özoğuz: Ja, das ist überhaupt nicht hilfreich. Das habe ich ja auch sehr deutlich und sehr schnell damals schon formuliert. Man muss aber sagen, an dieser Stelle sieht man beispielsweise den Fortschritt in unserer Debatte. Wie schnell hat sich eine Allianz von Gewerkschaften bis zu Unternehmern, also Arbeitgebern, gebildet, die gegengehalten hat, die gesagt hat: Also, so dürfen wir es nicht machen, wir sind angewiesen auf Zuwanderung, wir brauchen die Menschen, wer soll uns eigentlich alle mal pflegen? Und ich glaube auch nicht, dass Bayern darauf verzichten wird, in Zukunft Zuwanderer zu haben. Also das ist etwas, wo ich völlig unabhängig wirklich davon, wer das nun sagt, mich durchaus in der Pflicht sehe, darauf aufmerksam zu machen, das das nicht zu einem guten Zusammenleben führt und ich auch finde, dass diese Bilder langsam der Vergangenheit angehören sollten.
Hamberger: Stellen Sie sich da noch auf mehr Kämpfe ein mit der CSU?
Özoğuz: Auf interessante, herausfordernde Diskussionen.
Hamberger: Sie sind ja auch selbst stellvertretende SPD-Vorsitzende – welche Bilanz ziehen Sie denn jetzt nach gut 100 Tagen Großer Koalition?
Özoğuz: Na, ich denke schon, dass wir sehr, sehr aktiv sind. Also man merkt es ja an den Gesetzentwürfen, die vorliegen – und das sind große Pakete. Rente, Mindestlohn, wir haben ja jetzt gerade in den Tagen sehr viel zur Energie gehört, wir haben die Optionspflicht, wenn ich das aus meinen Bereich natürlich noch mal dazu fügen kann. Also man merkt, wir legen da nicht die Hände in den Schoß, sondern wir sind wirklich aktiv, arbeiten auch gut zusammen. Und ich persönlich muss sagen, ich finde auch, dass ich als einzige sozialdemokratische Staatsministerin im Kanzleramt sehr gut behandelt werde.
Hamberger: Fühlt es sich interessant an, wenn man so nah an der Kanzlerin dran ist? Es ist ja nicht gewöhnlich, dass sich die Kanzlerin tatsächlich den kleineren Koalitionspartner ins Kanzleramt holt.
Özoğuz: Nein, das ist eine ungewöhnliche Konstruktion. Staatsministerin Maria Böhmer ist ja dafür auch im Auswärtigen Amt – also das ist ja quasi so über Kreuz, wir haben beide ein anderes Haus jeweils. Das ist aber mal eine ganz schöne Herausforderung, muss ich sagen. Und gerade bei dem Thema Integration ist das sicherlich hilfreich, dass man hier doch deutlich macht: Wir wollen uns nicht emotional gegeneinander aufspielen – das ist in der Vergangenheit ja nicht gerade selten der Fall gewesen. Deswegen ist dieses Zeichen: Wir wollen jetzt hier etwas gemeinsam schaffen und es muss auch zu einem guten Zusammenleben für alle in Deutschland führen, glaube ich, der richtige Weg.
Hamberger: Dann sage ich danke schön.
Özoğuz: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.