Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn betonte im Interview mit dem Deutschlandfunk aber auch, dass humanitäre Hilfe ebenfalls wichtig sei. In Europa werde diese Hilfe organisiert.
Die Außenminister der Europäischen Union hatten sich gestern bei einer Sondersitzung in Brüssel grundsätzlich für Waffenlieferungen in den Irak ausgesprochen. Allerdings ist die Bereitschaft dazu von Land zu Land unterschiedlich. Frankreich, Italien und Tschechien hatten Waffenlieferungen für die Kurden im Nordirak angekündigt. Die Bundesregierung lässt eine deutsche Beteiligung weiter offen.
Das Interview zum Nachlesen:
Thielko Grieß: Die Außenminister der Europäischen Union haben gestern in Brüssel versucht, eine einheitliche Haltung zu finden, wie dem Irak, wie den Kurden, den Jesiden und anderen Minderheiten zu helfen ist.
- Und am Telefon ist einer, der gestern dabei war, in Brüssel, der Außenminister Luxemburgs, guten Morgen, Jean Asselborn!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Grieß!
Grieß: Im Grundsatz ist die europäische Beschlusslage nach dem Treffen dieselbe wie davor: Jedes Land macht, was es für richtig hält?
Asselborn: Ich glaube, gestern haben wir sehr in die Tiefe gearbeitet. Wir haben versucht, zu verstehen, welche Dimensionen von Problemen wir haben. Das erste ist ja im Irak die politische Dimension, wo es Hoffnung gibt, das mit dem neuen Präsidenten, wo ja auch vorgestern ein neuer Premierminister jetzt benannt wurde. Er muss zwar noch seine Regierung aufstellen, aber dass man das fertig bringt, politisch gesehen, im Irak eine Regierung, wo nicht nur Schiiten, sondern auch Sunniten und Kurden eingebaut sind. Das zweite ist – und Sie haben es geschildert – ist die humanitäre Lage. Also wir haben vielleicht in der Geschichte der Menschheit das erste Mal damit zu tun, dass Grausamkeit das Propagandainstrument wird. Wir haben Zeugenberichte gehört gestern in Brüssel, wo diese Menschen, wie Frank-Walter Steinmeier richtig gesagt hat, abgeschlachtet werden, die nicht die Meinung oder die Lebensauffassung teilen von diesen Leuten vom Kalifat. Die Frauen werden effektiv zu Sklaven degradiert, die Kinder werden verschleppt. Und das Problem ist ja, dass diese Isis, die Islamic-States-Leute, sehr, sehr viele Mittel haben. Sie haben allein in Mossul 500 Millionen Dollar erbeutet. Und damit können sie modernste Waffen kaufen. In der humanitären Lage haben wir gestern ... ganz klar haben wir uns ja entschieden, dass Länder wie Deutschland, Italien, Frankreich, England und so weiter, die Transportmaschinen haben, dass sehr schnell humanitäre Hilfe kommt ...
Grieß: Und wie sie reagieren, Herr Asselborn, und genau das ist natürlich auch ein ganz wichtiger Punkt, den Sie da ansprechen. Frank-Walter Steinmeier, den Sie ja auch genannt haben, hat mehrfach gesagt, er wolle bis an die Grenzen dessen gehen, was politisch machbar ist – in Deutschland gibt es natürlich noch eine bestimmte Rechtslage dazu, aber eben auch politisch machbar ist. An welche Grenzen soll denn Europa gehen, was politisch machbar ist? Mit anderen Worten: Sollen Waffen geliefert werden?
Asselborn: Wir haben ja jetzt von der humanitären Hilfe gesprochen für die Christen, für die Jesiden, die auf der Flucht sind. Das sollen mehr als eine Million Menschen sein, die Hilfe brauchen. Wenn sie keine Hilfe in den nächsten Tagen bekommen, werden sie entweder am Hungertod oder dass sie überhaupt keine Nahrungsmittel mehr haben, werden sie sterben.
Grieß: Ja, die ist ja unstrittig, die humanitäre Hilfe.
Asselborn: Ja, das ist unstrittig, aber in Europa wird sie organisiert. Ich glaube, das ist auch ein positiver Punkt, wo wir uns gestern geeinigt haben. Das Dritte ist natürlich die Sécuritaire, die Sicherheitsdimension. Also, man darf nicht glauben, dass diese Kalifatsleute, wenn ich so sagen darf, dass die sich nur beschränken auf die Region des Iraks oder Teile von Syrien. Sehr schnell werden wir auch in Europa damit konfrontiert werden. Davon war auch fast jeder von uns gestern überzeugt. Darum muss man dieses kriminelle Potenzial stoppen. Und man kann es natürlich nicht stoppen bei solchen Leuten mit Appellen an die Vernunft. Präsident Obamas Initiative haben wir begrüßt. Und wir haben gestern ganz klar im Text gesagt, keiner wird gezwungen, aber Länder, die können militärisch kooperieren, unter der Bedingung, dass natürlich die irakische Regierung, Bagdad oder dass die Kurden, Kurdistan, dass sie diese Hilfe beanspruchen. Und das machen sie ja, ganz klar, das hat der Franzose, der ja da war, hat das gesagt, das wird auch Frank-Walter Steinmeier sehen, dass wir dann auch positiv reagieren können – also die Länder, die das wollen.
Grieß: Es gab früher einmal das Diktum Peter Strucks, des früheren deutschen Verteidigungsministers, der gesagt hat, Deutschland wird am Hindukusch verteidigt – da ging es um den Einsatz in Afghanistan. Jetzt verstehe ich Sie so, dass die Argumentationsfigur lautet, Europa werde am Sindschar-Gebirge verteidigt.
Asselborn: Ja. Also Peter Struck hatte total recht. Wenn Sie sich erinnern, Massoud, der vor 9/11 ermordet wurde, hat gesagt, mit Al Kaida wird die Welt noch zu tun bekommen, nicht nur Afghanistan. Und hier haben ... Auch der kurdische General hat ganz klar gesagt, die visieren nicht nur uns, sie visieren weit darüber hinaus. Und ich glaube, das soll man ernst nehmen, das muss man ernst nehmen.
Grieß: Also Waffen aus Europa in den Irak, das höre ich jetzt raus, das befürworten Sie. Es wird doch in solchen Situationen häufig gefordert und verlangt, dass die europäische Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsamer auftritt, aber dann noch mal zurück zu meiner Eingangsfrage: Es ist schon so, dass jedes Land seine Kompetenzen so einbringt, wie es das gerne möchte. Wenn die Franzosen schnell bei der Hand sind mit Waffenlieferungen, dann ist das okay, und wenn Deutschland wochenlang mit sich ringt, dann auch.
Asselborn: Also ich bin jetzt nicht hier, um Deutsche und Franzosen ... aber Deutschland ist ein großes Land, Frankreich hat gezeigt, zum Beispiel in Mali oder in Zentralafrika, dass es richtig lag, direkt zu reagieren, sonst wäre der Schaden noch viel, viel größer geworden. In Deutschland ist eine Debatte, Deutschland hat eine andere Geschichte als Frankreich, aber ich bin auch überzeugt, dass Deutschland das tut, was jedenfalls humanitär wichtig ist. Und dass man aus Deutschland auch erwarten kann, positiv erwarten kann, dass diese Banden, dass diese kriminellen Menschen, dass das Potenzial gestoppt wird. Ich will aber etwas hinzufügen: Es ist hier nicht ein Kampf in der arabischen Welt Sunniten gegen Schiiten, es geht hier auch um die Ehre des Islam. Und es geht eigentlich auch um die Zivilisation der arabischen Welt. Und darum, Europa, die Debatte ist sehr wichtig, Amerika, der Beitrag ist sehr wichtig, aber ich hoffe auch, dass das Engagement der Golfländer, der Länder der Arabischen Liga auch stärker zum Tragen kommt, als das bisher der Fall war, um diese islamistische Bewegung zu stoppen.
Grieß: Nun hat Europa, nun hat der Westen an verschiedenen Stationen der Geschichte versucht, den Islam von außen militärisch und den arabischen Raum von außen militärisch zu beeinflussen, das ist in aller Regel schiefgegangen. Warum sollte das diesmal anders sein? Man muss ja auch an die Zeit denken, wenn die Zeit der ersten Hilfe womöglich vorüber ist.
Asselborn: Ich glaube, man muss hier, wie oft in der Außenpolitik – und ich bin nur ein ganz kleiner Außenpolitiker –, aber man muss wissen, dass es nie Risiken gibt. Hier steht die ganze Welt, auch natürlich Europa, vor einer Herausforderung: Entweder man verschließt die Augen und man sieht zu und man vertuscht das, man glaubt nicht daran, was geschieht, aber hier geschieht etwas Monströses. Hier werden Leute gefragt, ihr habt zwei Stunden Zeit, um euch zu entscheiden, verlasst ihr eure Religionsrichtung und kommt zu uns, wenn nicht, dann werdet ihr abgeschlachtet oder ihr werdet vertrieben. Und das muss gestoppt werden. Und diese Menschen, die das tun, haben nach Mossul, nach der Stadt, die sie erobert haben, unheimliche viele Mittel, um modernste Waffen zu kaufen. Ich hoffe auch, dass kein Land der Welt, was Mitglied ist der UNO, diese Bewegung unterstützt.
Grieß: Herr Asselborn – Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs, gerade im Gespräch hier im Deutschlandfunk, – Herr Asselborn, lassen Sie uns eine kleine Zäsur in unserem Gespräch machen und uns jetzt vom Irak der Ukraine zuwenden. Da gab es gestern die Behauptung, die Ukraine habe einen russischen Militärkonvoi auf ukrainischem Gebiet angegriffen und zerstört. Die russische Seite widerspricht. Das jüngste Kapitel dieser Spannungen, das beschreibt uns jetzt erst einmal kurz Bernd Großheim.
((Beitrag Bernd Großheim))
Grieß: Wir haben es gehört, die eine Seite widerspricht der anderen. Herr Asselborn, nach wie vor bei uns am Telefon, welchen Reim machen Sie sich darauf?
Asselborn: Also ich glaube, man muss russisch denken und sprechen können, um alles zu verstehen, was hier geschieht. Russland – ist ja offenkundig – liefert weiterhin Waffen, auch nach dem Abschuss des Flugzeugs ...
Grieß: Also das ist aber auch eine Behauptung, glaube ich.
Asselborn: Bitte?
Grieß: Das ist auch eine Behauptung des Westens.
Asselborn: Ja, also Russland liefert Waffen. Es sind russische Waffen in der Ukraine. Das ist keine Behauptung, das ist ein Fakt. Weiter werden die Söldner unterstützt, das heißt, der militärische Konflikt wird stimuliert, und die Zivilbevölkerung leidet darunter. Russland schickt parallel dazu einen Konvoi mit Lebensmitteln. Warum, warum – das ist eigentlich die Frage – werden die Waffen nicht weggeschoben, warum werden die Waffenlieferungen nicht gestoppt, warum werden die Separatisten weiter unterstützt, anstatt dass sie nicht mehr unterstützt werden. Und man könnte über den Wiederaufbau der Ukraine reden. Ich glaube, um es kurz zu machen, die Versammlung, die jetzt am Sonntag stattfindet in Berlin, von Frankreich, Deutschland, Ukraine, Russland, könnte eine Chance sein. Und Frank-Walter Steinmeier hat sich sehr viel Mühe gegeben, das zustande zu bekommen, dass man miteinander wieder redet, dass Russland keinen totalen Gesichtsverlust erleidet, einerseits, und andererseits, dass Russland sich nicht selbst pusht, militärisch in die Ukraine einzumarschieren. Und dazwischen muss die Lösung zu finden sein. Sie wird nicht militärisch gefunden werden, auch nicht von ukrainischer Seite, sie wird nur politisch-diplomatisch gefunden werden.
Grieß: Entdecken Sie denn eine russische Logik in den vergangenen Tagen?
Asselborn: Leider nicht. Ich hätte mir wirklich gewünscht, wie viele Menschen auf der Welt, dass nach diesem Unglück, diesem Abschuss der malaysischen Maschine, dass die Russen aufhören würden, solche sophistikierten Systeme, Waffensysteme an diese Separatisten zu liefern. Die Separatisten sind vor allem Söldner, die unerfahren auch mit diesen ganzen gefährlichen Dingern umgehen. Nach diesem Unfall, wo Hunderte Menschen gestorben sind, dass man damit aufhört, aber das ist leider nicht der Fall. ...
Grieß: Entschuldigung, ist denn in Ihrer Runde gestern in Brüssel darüber gesprochen worden, was passiert, wenn all diese Bemühungen, jetzt auch morgen, am Sonntag, in Berlin nicht fruchten werden, ob es dann weitere Sanktionen geben könnte?
Asselborn: Ich bin dafür, dass man wirklich sich ... dass man einsieht, dass man mit Sanktionen allein und immer wieder Sanktionen, die Schraube der Sanktionen drehen, dass man damit das Problem nicht löst. Ich hoffe noch wirklich, ich hoffe noch wirklich, dass auch diese ganzen indirekten Sanktionen, die ja in Russland jetzt zum Tragen kommen, dass die Einsicht bringen, dass Russland eigentlich kein Ziel haben kann, mit diesen Separatisten etwas aufzubauen, was positiv auch für Russland sein könnte in der Ostukraine. Das Ziel ist doch, Russland und die Europäische Union sollten versuchen, wirklich die Ukraine zu stabilisieren, das wäre im Interesse Russlands und in unserem Interesse und im Interesse der Menschen in der Ukraine.
Grieß: Und da müssen wir einen Punkt machen. Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs, Europas Haltung zum Irak und zur Ukraine. Danke schön für das Gespräch, ein schönes Wochenende!
Asselborn: Bitte, bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.