Jasper Barenberg: Hassparolen und brennende Israel-Flaggen – wie muslimische Demonstranten in Berlin auf die Entscheidung von Donald Trump reagiert haben, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, das hat in der jüdischen Gemeinde vielen Sorge bereitet. Der Zentralrat dringt auf ein härteres Vorgehen der Polizei, auf schärfere Gesetze. Schon länger warnen jüdische Organisationen vor einem wachsenden Antisemitismus, und zwar auch und gerade unter den Flüchtlingen aus der arabischen Welt. Deren Einstellung zu Juden, zu Israel und zu demokratischen Werten genauer in den Blick zu nehmen, das war Ziel einer Studie, die das American Jewish Committee in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse jetzt vorgestellt wurden. Demnach sind judenfeindliche Ressentiments und antisemitische Verschwörungstheorien unter Flüchtlingen weit verbreitet.
Am Telefon ist der Psychologe und Autor Ahmad Mansour, geboren in Israel, aber er lebt seit 2004 in Deutschland, beschäftigt sich mit Initiativen und Projekten gegen islamische Radikalisierung und auch mit Antisemitismus in der islamischen Gesellschaft. Schönen guten Morgen, Herr Mansour.
Ahmad Mansour: Guten Morgen. – Danke für die Einladung.
Barenberg: Sehr gerne, Herr Mansour. Immer sehr gerne. – Sie sind, ich habe es erwähnt, bekannt auch für Ihre Arbeit gegen islamischen Antisemitismus. Bestätigt das, was wir jetzt über die Studie gehört haben, Ihre eigene Einschätzung zu diesem Thema?
Mansour: Absolut! Das bestätigt eigentlich meine eigene Erfahrung, das was ich erlebt habe, auch in meiner Kindheit, in meiner Jugend, und das bestätigt das, was ich eigentlich immer wieder fast tagtäglich in Berlin beobachte, und zwar nicht seit 2015, sondern seit 2004, seitdem ich hier bin.
"2014 gab es eine Welle von antisemitischen Äußerungen und Demonstrationen"
Barenberg: Haben wir das zu wenig im Blick gehabt in den vergangenen Jahren?
Mansour: Ich glaube schon. 2014 gab es eine Welle von antisemitischen Äußerungen und Demonstrationen. Da haben wir, da haben Sie als Medien sich mit dem Thema zwei, drei Wochen beschäftigt. Es gab hier und da ein paar Konferenzen. Aber eine Strategie, ein Konzept, vor allem ein pädagogisches Konzept zum Umgang mit Antisemitismus gibt es immer noch nicht, und das finde ich natürlich sehr schade.
Barenberg: Macht es denn Sinn, was man ja jetzt lesen kann, von einem neuen Antisemitismus zu sprechen, und auch einen Akzent darauf zu setzen, dass es ein Antisemitismus ist, der vor allem von Geflüchteten aus der arabischen Welt nach Deutschland getragen worden ist und getragen wird?
Mansour: So undifferenziert würde ich das nicht sagen. Antisemitismus ist immer noch herkunftübergreifend. Man findet ihn in links, rechts und Mitte der Gesellschaft. Da dürfen wir das nicht vergessen. Und ich würde nicht sagen, bei Flüchtlingen ist Antisemitismus stark, sondern vor allem bei Leuten, die aus bestimmten Ländern kommen, wo Antisemitismus eine Art der Sozialisation war. Das heißt, wir müssen über Palästinenser, die seit 30, 40 Jahren in Deutschland leben, wir müssen über Jugendliche, die aus der Türkei kommen, wo Verschwörungstheorien sehr stark vertreten sind, wir müssen über arabische Länder reden und nicht nur diejenigen, die 2015 gekommen sind, obwohl diejenigen, die 2015 gekommen sind, meistens aus Syrien, auch starke antisemitische Bilder mitgebracht haben.
"Antisemiten haben weniger Hemmungen, das zu äußern"
Barenberg: Nun hören wir ja aus den jüdischen Gemeinden dieser Tage, dass da gesprochen wird von einer zunehmenden verbalen Enthemmung, von Radikalisierung der Gesellschaft, von Verrohung der Sitten, und es gibt einige Beispiele dafür, dass, sagen wir, Schüler an Schulen bedrängt und beleidigt werden. Hat sich doch etwas qualitativ verändert in den letzten Jahren?
Mansour: Ich glaube, es ist bewusster geworden. Antisemiten sind selbstbewusster geworden. Sie sind lauter geworden. Sie haben weniger Hemmungen, das zu äußern. Wir dürfen nicht vergessen, dass mittlerweile in bestimmten Bezirken in Berlin Menschen mit Migrationshintergrund den Oberton haben. Das sind ihre Bezirke und natürlich reagieren sie aufgrund von ihren Einstellungen und teilweise Sozialisation und Erziehungen auf Juden sehr allergisch und manchmal auch sogar greifen sie die Menschen an, und das ist etwas, was wir nicht akzeptieren sollten. Das glaube ich schon. Ich erlebe das auch selber als jemand, der natürlich versucht, das Thema Antisemitismus immer wieder anzusprechen. Das ist sogar für mich manchmal sehr gefährlich, in bestimmten Bezirken in Berlin, Neukölln zum Beispiel oder Kreuzberg, unterwegs zu sein.
Barenberg: Sie haben ja versucht zu differenzieren, dass es keinen Sinn macht, den Blick vor allem auf Flüchtlinge oder Geflüchtete zu richten. Wie groß sehen Sie denn die Gefahr, dass der latente Antisemitismus, den es ohnehin in Deutschland gibt, darüber jetzt ein wenig aus dem Blick gerät und dass die ganze Debatte eine Schieflage bekommt?
Mansour: Na ja. Ich glaube, dass es für viele Menschen sehr einfach ist zu sagen, die anderen sind daran schuld, das hat mit Deutschland nichts zu tun, das sind die Migranten, das sind die Muslime, die dazugekommen sind. Das sehe ich schon als Gefahr. Ich glaube, es ist aber sehr, sehr wichtig, dass wir eine gemeinsame Strategie entwickeln, dass wir ein nationales Konzept entwickeln zum Umgang mit Antisemitismus. Wir haben Schulen, die seit Jahren eigentlich Antisemitismus als Schwerpunkt sehen. Die bearbeiten das. Es gibt zahlreiche Unterrichtseinheiten zum Holocaust, zum Antisemitismus, das was in Deutschland stattgefunden hat. Aber das Problem ist, dass diese Konzepte die Alis und Ahmads und Yilmas nicht mitnimmt, und die sind auch Teil von Deutschland. Die gehen in unsere Schulen, aber sie erreichen wir nicht zum Thema Antisemitismus, zum Thema auch Islamismus, und da muss sich auch pädagogisch definitiv was ändern.
"Man kann diese Jugendlichen erreichen"
Barenberg: Wenn es schon diesen Schwerpunkt im Bildungswesen, in Schulen gibt, was würden Sie denn empfehlen? Wie kann man diese Jugendlichen erreichen?
Mansour: Ich erlebe es tagtäglich. Man kann diese Jugendlichen erreichen. Diese Einstellungen und Vorurteile sind schwarz-weiß. Sie haben sie übernommen von Elternhäusern, von Peer-Groups, vom Internet. Sie haben das nicht infrage gestellt. Es macht mich jeden Tag fassungslos zu merken, welche Inhalte in sozialen Medien eigentlich gepflanzt werden, wie schwarz-weiß, wie hasserfüllt, wie falsch eigentlich diese Propaganda, diese antisemitischen Bilder sind, und ich frage mich, wo ist zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung. Wieso sind wir im Internet nicht aktiv? Wieso schaffen wir nicht Gegennarrative? Wieso erlauben wir und befähigen wir nicht unsere Lehrer und Lehrerinnen, auch differenziert über den Nahost-Konflikt zu reden, über Verschwörungstheorien zu sprechen, die Jugendlichen zu befähigen, kritisch zu denken, zu hinterfragen, solche Einstellungen infrage zu stellen? Da sehe ich tagtäglich, wie groß ist der Bedarf und wie hilflos manche Lehrer fast sind, obwohl sie die Motivation mitbringen, ihre Jugendlichen, ihre Schülerinnen und Schüler erreichen zu wollen, und trotzdem aufgrund von fehlendem Wissen und Erfahrungen schaffen sie das nicht, diese Jugendlichen, diese Schülerinnen und Schüler zu erreichen.
"Das ist eine historische Verantwortung von Deutschland"
Barenberg: Stattdessen wird ja über schärfere Gesetze und das Vorgehen der Polizei gesprochen. Was wäre denn geholfen, wenn es, sagen wir, künftig verboten sein würde, Israels Flagge öffentlich zu verbrennen?
Mansour: Wissen Sie, manchmal habe ich das Gefühl, wir müssen eigentlich auf der Flüchtlingsroute, da wo die Menschen nach Deutschland kommen, ein riesen Plakat machen und sagen, herzlich willkommen, Sie sind jetzt in Europa, hier wird das und das nicht akzeptiert. Eine Sache, die wir nicht akzeptieren dürfen, ist antisemitische Bilder. Die Leute müssen wissen, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen haben, wenn sie die Existenz Israels infrage stellen, oder wenn sie den Holocaust leugnen oder antisemitische Bilder bewusst verbreiten. Das ist eine historische Verantwortung von Deutschland und da muss nicht Ahmad Mansour das sagen. Ich bin nur 12, 13 Jahre in diesem Land. Aber trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass die Leute, die zu uns kommen, gewisse Regeln mitbekommen, und die müssen wir kommunizieren. Wir müssen sie natürlich gewinnend kommunizieren, pädagogisch kommunizieren, aber wir müssen auch Gesetze haben, die es erlauben, Botschaften zu vermitteln, dass so was nicht toleriert wird.
Natürlich brauchen wir bessere Polizei. Natürlich brauchen wir bessere Gesetze. Natürlich müssen wir bestimmte Flaggen und bestimmte Terrororganisationen in diesem Land nicht akzeptieren und nicht dulden. Wir brauchen aber nicht nur – das ist auch immer wieder, was von Politik kommt – bessere Gesetze, scharfe Gesetze. Was hier unser Schwerpunkt sein muss ist die Tatsache, dass wir in Schulen, in Integrationskurse gehen müssen, die Leute befähigen nachzudenken, zu hinterfragen und Konzepte zu liefern, dass das ein alltägliches Thema, ein Schwerpunktthema ist.
Barenberg: Herr Mansour, wir müssen zum Ende kommen. Vielen Dank für das Gespräch, Ahmad Mansour.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.