Muhammad al-Arifi twittert, facebookt und youtubet vollzeit. Auf Arabisch, Persisch und Englisch. Seine deutschen Fans schreiben dann deutsche Untertitel zu Videos wie diesem: ein Ausschnitt aus einer arabischen Fernsehendung mit al-Arifi. Die Zuschauer können anrufen und Fragen stellen. Al-Arifi trägt wie immer ein weißes Gewand und schwarzen Vollbart. Hier will ein Anrufer von ihm wissen, ob die Deutschen in die Hölle kommen, wenn sie sterben, ohne zum Islam übergetreten zu sein. Nein, sagt al-Arifi, und liefert dafür eine ausführliche theologische Erklärung.
"Eine Orientierungsfigur"
Ein Café in Hamburg, ganz in der Nähe des Landesamtes für Verfassungsschutz. Bei dem arbeitet Behnam Said. Er ist Islamwissenschaftler und beobachtet Muhammad al-Arifi schon seit einigen Jahren.* Für Behnam Said und den Verfassungsschutz ist al-Arifi ein Extremist.
"Weil er zum einen Feindbilder aufbaut. Das heißt, er agitiert sehr feindselig gegen Schiiten. Er hat ein extrem reaktionäres Bild von Frauen. Genauso, wie er natürlich für die Todesstrafe bei Homosexualität sich ausspricht."
Al-Arifi äußert sich auch antisemitisch, nennt Juden "die Enkel von Affen und Schweinen". Aber er spricht vor allem zu ganz banalen, lebenspraktischen Fragen. Ist dies islamisch erlaubt, ist jenes verboten?
"Er ist tatsächlich so etwas wie eine Orientierungsfigur für seine Anhänger."
Aber nicht nur das, sagt Behnam Said. Für ihn ist Muhammad al-Arifi:
"Ein religiöser Star, der mittlerweile in der Mainstream-Gesellschaft Saudi-Arabiens derart angekommen ist, dass er auch Werbespots betreibt und nun eben Werbung für Reis und andere Produkte macht. Was einer gewissen Komik tatsächlich nicht entbehrt."
Autodidaktischer Medienprofi
Muhammad al-Arifi wird 1970 geboren. In den 80ern und 90ern beeinflusst ihn die Sahwa-Bewegung, eine salafistisch-oppositionelle Strömung im wahabitisch dominierten Saudi-Arabien. Sie prägt al-Arifi nicht nur religiös und politisch, sondern auch, was neue Medien betrifft.
"Er hat dann recht früh angefangen, Predigten auf Kassetten aufzuzeichnen und die in Umlauf zu bringen. Und später, als das Internet dann aufkam, hat er sehr früh verstanden, was Twitter etc. für ihn bedeuten kann. Er hat es so geschafft, von einem relativ unbekannten Prediger, der auch nicht an einer besonders angesehenen Ausbildungsstätte gelernt hat, zu einem der führenden Popstars des Islams in der Neuzeit zu werden."
Mit über 20 Millionen Followern findet sich al-Arifis Twitter-Profil in den Top 100 der beliebtesten Accounts, zwischen Schauspielern, Sängerinnen und Sportstars. Das hat al-Arifi einen Spitznamen eingebracht: der "Tom Cruise des Salafismus".
"Ich finde, dass al-Arifi weder optisch Tom Cruise ähnelt, noch sehe ich große Actionfilme mit ihm."
Trotzdem erkennt Islamwissenschaftler Behnam Said Parallelen zwischen dem Hollywood-Star und dem Internet-Star.
"Ein erfolgreicher religiöser Prediger ist ja letztendlich auch eine Art Schauspieler. Er trägt sein Stück über eine Bühne vor und er versucht, sein Publikum zu erreichen. Und dieses Publikum sitzt bei al-Arifi vor dem Bildschirm, und nicht unbedingt in seiner Moschee."
Meist lehrt al-Arifi in einer kleinen Moschee in Riad, vor wenigen Zuschauern. Aber über das Internet sind Tausende dabei. Al-Arifi nutzt den Streaming-Dienst Periscope für Live-Übertragungen. Und verbreitet so und über andere Kanäle teils radikale Inhalte.
Religiöse Einigkeit und politischer Streit
"Al-Arifi war einer derjenigen, die sehr feurig aufgerufen haben, sich am Dschihad in Syrien zu beteiligen, die dortigen Gruppierungen zu unterstützen. Bis dann im Frühjahr 2012 die saudische Regierung interveniert hatte und al-Arifi und andere Prediger dazu aufgefordert hat, solche Aufrufe zu unterlassen."
Al-Arifi testet also aus, was in Saudi-Arabien gesagt werden kann und was nicht. Der salafistische Prediger fordert das wahabitische Königshaus heraus. In religiösen Fragen sind sich beide Seiten dabei weitgehend einig. Gestritten wird um Politik. 2014 muss al-Arifi sogar kurz ins Gefängnis – aus einem recht banalen Grund, findet Behnam Said:
"Und zwar hatte er die Organisation der jährlichen Pilgerreise zum Hadsch kritisiert und damit sozusagen das Königreich bloßgestellt. Und um ihn wieder zur Räson zu bringen, wurde er dann inhaftiert. Wobei man sagen muss, dass das vielleicht nicht der wirkliche Grund der Inhaftierung gewesen sein mag. Was da im Hintergrund sich abgespielt hat, das bleibt im Dunkeln."
Einreiseverbot trotz Distanzierungen
In die saudische Politik mischt sich al-Arifi inzwischen nicht mehr ein. Auch vom Islamischen Staat hat er sich distanziert. Trotzdem darf der Prediger schon seit einigen Jahren nicht in den Schengen-Raum einreisen. Al-Arifi ist ein Sicherheitsrisiko, weil er junge Muslime radikalisiert - so sehen es mehrere europäische Sicherheitsbehörden. Trotzdem hat al-Arifi mehrfach in Moscheen in Deutschland gepredigt. Etwa 2013 in Heidelberg. Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg berichtete damals unter anderem, al-Arifi habe sich "über die Evolutionslehre in äußerst plumper Weise lustig" gemacht.
Von Tunesien bis Thailand war der salafistische Star-Prediger für Auftritte unterwegs. Im Internet ist er der erfolgreichste islamische Gelehrte weltweit, aber bei Weitem nicht der einzige. Auch andere Prediger haben Millionen Fans in den sozialen Netzwerken - und verbreiten so zum Teil extreme Islamauslegungen.
"Sie streuen ihre Botschaft weit über das enge Sympathisantenumfeld hinaus. Das heißt, dass offensichtlich viele Leute auch sehr unkritisch herangehen an diese Menschen und ihnen zuhören, weil sie religiöse Expertise anbieten und damit offensichtlich in eine Marktlücke stoßen. Das heißt, es gibt eine Nachfrage nach religiöser Expertise, einen Bedarf. Und es gibt Leute wie al-Arifi oder zum Beispiel Pierre Vogel in Deutschland, die eine gute Herangehensweise haben im Sinne von Marketing, eine gute Marketingstrategie verfolgen und religiöse Inhalte eben sehr emotional an den 'Kunden' bringen. Und das wird gerne aufgenommen."
Al-Arifi und andere Internet-Prediger haben so erheblichen Einfluss auf die globalen Entwicklungen im Islam. Wenn es nach Al-Arifi ginge, würden sich frauenfeindliche, antisemitische, homophobe und gewaltverherrlichende Strömungen im Islam durchsetzen.
*Al-Arifi ist oder war allerdings kein offizielles Beobachtungsobjekt des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz.