Sie sollen jungen Muslimen deren eigene Religion näherbringen, neue Erkenntnisse über den Islam gewinnen, sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen - und am besten noch religiösen Extremismus bekämpfen. Erwartungen gibt es zuhauf an die Islamische Theologie, die an den Universitäten in Erlangen, Frankfurt und Gießen, Münster und Osnabrück und Tübingen gelehrt wird. Dabei existiert das Fach erst seit knapp fünf Jahren, erläutert Ruggero Vimercati Sanseverino, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Tübingen:
"Die Islamische Theologie ist jetzt noch mit sich selbst beschäftigt. Mit ihrer eigenen Gründung, ihrer Existenz und auch damit, überhaupt erst mal zu bestimmen, was Islamische Theologie eigentlich ist. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Voraussetzungen geschaffen sind, um eigene theologische Entwürfe zu entwickeln."
Indes wird das Fach von verschiedenen Seiten kritisch beäugt. Zum einen durch diejenigen, die meinen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Zum anderen durch konservative Muslime. Sie fürchten, an den Hochschulen werde die Glaubenslehre relativiert, es entstehe ein konturloser Euro-Islam. Immerhin entstand die Islamische Theologie mithilfe einer 20-Millionen-Anschubfinanzierung der Bundesregierung.
Islamische Theologie nicht gleich Islam
"Natürlich gibt es von gewissen Seiten dieses Misstrauen. Eine Theologie, die von einem politischen Willen ausgegangen ist - da kann man sich diese Frage natürlich stellen." Sanseverino meint jedoch, die Skepsis beruhe auf einem Missverständnis:
"Ich denke, eine Schwierigkeit liegt darin zu verstehen, dass Islamische Theologie nicht gleich Islam ist. Dass die islamischen Theologen eben keine Muftis sind, das heißt auch nicht den Anspruch erheben, bindende Aussagen zu machen. Theologie ist ja ein systematisches, wissenschaftliches Reflektieren."
Die Freiheit der Wissenschaft führt immer wieder zu Streitigkeiten. Etwa an der Universität Münster, wo die muslimischen Verbände dem Religionspädagogen Mouhanad Khorchide vorwarfen, seine liberale Deutung bewege sich außerhalb des Islam. Zwar ist dieser Streit offiziell beigelegt. Allerdings halten nach wie vor nicht wenige Muslime die Islamische Theologie für das Privatvergnügen einiger weniger Professoren, also eine Art Hobby-Theologie. Solche Anwürfe kennt auch Mark Chalil Bodenstein vom Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Universität Frankfurt.
"Die Vorstellung, dass es eine richtige islamische Ausbildung eben nur an ordentlichen, etablierten islamischen Institutionen gibt wie man sie in Ägypten, im Jemen oder in der Türkei findet. So dass da durchaus Vorbehalte uns gegenüber bestehen. Da fehlt sozusagen der Stallgeruch. Es gibt schon ein traditionelles Denken, wie eben Lernen und Lehren funktioniert."
Das Anliegen der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten ist es aber gerade, über die Tradition hinauszugehen - eine Brücke zur Lebenswirklichkeit der hier lebenden Muslime zu schlagen. Die frühere Bundesbildungsministerin Annette Schavan sprach bei der Gründung der Islamischen Zentren von einem "Meilenstein für die Integration". Der Theologie solle es gelingen, Religion in die Gegenwart zu übersetzen. Dafür aber fehle es derzeit noch an der nötigen Breite und an Personal, sagt Mark Chalil Bodenstein von der Uni Frankfurt.
Islamische Theologie dialogfähig machen mit anderen Theologien
"Generell ist da glaube ich noch ein Defizit. Was wir größtenteils betreiben, ist Theologiegeschichte und Wissenschaftsgeschichte. Aber der Schwenk dahin, wirklich Theologie zu betreiben, auch mit den Studierenden, bedarf natürlich dann einer breiten Basis, auf der man aufbauen kann."
Allerdings: Schon jetzt sind mehrere Lehrstühle nicht besetzt, denn bislang gibt es zu wenig qualifizierte Nachwuchswissenschaftler. Die Hürden sind hoch: Professoren sollen umfassend theologisch ausgebildet sein und möglichst auf Deutsch lehren. Alle Wissenschaftler aus dem Ausland zu holen, sei keine Lösung.
"Weil unsere Studenten hauptsächlich deutsch sprechen, das ist das eine. Zum anderen ist unsere Aufgabe, eine Islamische Theologie für Deutschland zu entwickeln, die dialogfähig ist mit anderen deutschen Theologien. Das andere ist, dass Menschen, die in Deutschland groß geworden sind und hier das Bildungssystem durchlaufen haben, eher die sozialen Verhältnisse, die Denkstrukturen, die Bildungssituation der Studierenden kennen und sich darauf einstellen können, was bei ausländischen Wissenschaftlern nicht unbedingt der Fall sein muss."
Eine weitere Schwierigkeit: Im Vergleich zu evangelischer und katholischer Theologie sind einzelne Fachbereiche unterbelichtet, vor allem die Systematik und die islamische Philosophie. Dabei gelten gerade die Mystik sowie ethische Fragen als Felder, auf denen wissenschaftliche Reflexion aus islamischer Perspektive gefragt ist. Relativ gut abgedeckt hingegen ist die Religionspädagogik, geht es doch darum, weitere Lehrer für Islamischen Religionsunterricht auszubilden. Die Uni Frankfurt hat einen Schwerpunkt auf Koranexegese, in Osnabrück liegt ein Fokus auf Islamischem Recht.
Und die Berufsaussichten der insgesamt rund 1.800 Studierenden? Neben dem Lehramt sind islamische Theologen gefragt in der Sozialen Arbeit, in der Wissenschaft oder in der Politikberatung. Etliche Absolventen, heißt es an den Unis, würden gern in die Seelsorge gehen. Allerdings gibt es bisher wenig Kontakt zwischen Gemeinden und Hochschulen. Dieses Manko sieht auch der Islamexperte Tobias Specker von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Frankfurt-Sankt Georgen. Eine entscheidende Frage sei: Findet die Islamische Theologie Gehör unter gläubigen Muslimen?
"Das große, muslimische Leben in Deutschland, wird das eigentlich profitieren von der Ausbildung der Theologen? Hat man den Mut, diese ausgebildeten Theologinnen und Theologen auch in das muslimische Leben zu integrieren? Oder möchte man weiter seine Sonderexistenzen führen in seinem kulturellen Binnenbereich."
Islamische Theologie an deutschen Universitäten noch am Anfang
Specker ist Juniorprofessor für Katholische Theologie und zudem einer der ersten Absolventen des Bachelors Islamische Studien. Dieses junge Fach mit den seit Jahrhunderten etablierten christlichen Theologien zu vergleichen, hält er für problematisch:
"Die Gewichtungen in den Fächern sind zum Teil andere. Insofern kann ich nicht einfach sagen, wir werden in 20 Jahren einen muslimischen Karl Rahner haben, mit einem Gesamtentwurf für eine Theologie, die sich mit den Fragen der Neuzeit wirklich sehr tief auseinander gesetzt hat."
Der Vergleich zeigt, wie sehr die Islamische Theologie an deutschen Universitäten noch am Anfang steht. Die Bundesregierung wird das Fach zwar für weitere fünf Jahre fördern. Das allein reicht allerdings bei weitem nicht aus, um auch nur ansatzweise die Ausstattung der christlichen Theologien zu erreichen, sagt Ruggero Vimercati Sanseverino vom Tübinger Zentrum für Islamische Theologie:
"Da haben Sie einen Lehrstuhl für das Alte Testament, einen für das Neue Testament. Da habe Sie im Bereich der praktischen Theologie mehrere Lehrstühle, die sich mit verschiedenen Aspekten auseinandersetzen. Das ist, denke ich, auch für die Islamische Theologie notwendig, um die Anforderungen zu erfüllen, die an uns gestellt werden. Von Integration und Extremismusbekämpfung bis dazu, eine europäische Islamische Theologie zu entwickeln."
Manche Vertreter der Islamischen Theologie allerdings bremsen auch: Allen Erwartungen gerecht zu werden, sei unmöglich. Sie fürchten, das Schavan-Wort vom Meilenstein für die Integration könnte sonst zum Mühlstein werden.