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Islamischer Staat
"Exit-Strategie für diese Kämpfer"

Militärisch werde es der Islamische Staat nicht mehr lange aushalten, sagte Stephan Rosiny, Nahost-Experte vom German Institute of Global and Area Studies (GIGA), im DLF. Derzeit mangele es dem IS zunehmend an Einkünften, Kämpfern und Territorium, die sie erobern. Es müssten Exit-Strategien für IS-Kämpfer überlegt werden, denn viele stammten auch aus Europa.

Stephan Rosiny im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Rauch über Kobane
    IS hatte unter anderem offenbar Teile von Kobane ein. (picture alliance / dpa / Tolga Bozoglu)
    Friedbert Meurer: Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz im englischen Coventry gilt als eine gut informierte Quelle für das, was in Syrien passiert. Diese Beobachtungsstelle berichtet jetzt, dass sich Mitglieder der sunnitischen Terrororganisation Islamischer Staat gegenseitig bekämpften. Immer mehr versuchten, zu desertieren, seitdem der IS so militärisch unter Druck steht. Das Kalifat bekäme demnach Risse. Stephan Rosiny ist Nahost-Experte des GIGA-Instituts, ein Forschungsinstitut für globale Fragen mit Sitz in Hamburg. Guten Tag, Herr Rosiny!
    Stephan Rosiny: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Teilen Sie diese Auffassung, dass das hermetisch abgeschlossene Kalifat Risse bekommt?
    Rosiny: Ja, solche Risse kann man schon seit einigen Wochen bis Monaten beobachten. Bereits im Dezember gab es Meldungen, dass etwa hundert Deserteure hingerichtet worden sind und mehrere hundert, die sich absetzen wollten vom Islamischen Staat, verhaftet wurden. Dann hat der islamische Staat ja auch mehrere militärische Niederlagen einstecken müssen und hat schon seit Monaten keine wirkliche neue Eroberung mehr geschafft, und von diesen Eroberungszügen hat er zuvor sehr stark gelebt, weil er da zahlreiche Beute bekommen hat, die er dann wieder verteilen konnte. Es mangelt ihm im Moment immer mehr an Einkünften und an Kämpfern und Territorium, die sie erobern.
    Meurer: Wer sind die Leute, die da desertieren wollen?
    Rosiny: Nun, sagen wir mal, die kritische Annahme ist, dass es natürlich vor allen Dingen die sind, die ohnehin schon Zweifel haben, und dass immer mehr ein harter Kern übrig bleiben wird, der dann auch sicherlich noch verbissener weiterkämpfen wird. In einer Zeitschrift, die der Islamische Staat selber veröffentlicht, wird beispielsweise gewarnt davor, dass man sich nicht der Liebe zu seiner Familie hingeben soll. Das deutet auch darauf hin, dass Menschen zurückkehren wollen zu ihren Familien und nicht mehr weiter dort kämpfen wollen im Islamischen Staat.
    "Durchhalteparolen bis hin zu Warnungen"
    Meurer: Als Sie diese Sätze in dieser Regierungszeitung gelesen haben, sind das Durchhalteparolen, die auf mehr schließen lassen?
    Rosiny: Das sind immer mehr Durchhalteparolen. Da hat sich die Sprache sehr verändert in den letzten Ausgaben. Am Anfang war noch immer von dem von Gott versprochenen Sieg die Rede. Inzwischen sind es Durchhalteparolen, dass es jetzt eine Prüfung ist Gottes an die wahrhaft Aufrechten und dass die Deserteure eben die Feiglinge sind, das ist auch schon alles angeblich vorhergesagt worden. Insofern finden wir immer mehr Durchhalteparolen bis hin zu Warnungen, Verhaltensregeln, dass man beispielsweise die Beute gerecht verteilen soll. Das spricht alles dafür, dass die Beute bisher möglicherweise ungerecht verteilt wurde, wenn man jetzt mit solchen Mahnungen kommen muss.
    "Militärisch wird sicherlich der Islamische Staat nicht mehr lange aushalten"
    Meurer: Sie haben gerade die These beschrieben, es gibt einen harten Kern und es gibt dann Kämpfer, die anfangen zu zweifeln. Gibt es auch einen Unterschied, der vielleicht gleichbedeutend ist, dass die ausländischen Kämpfer, die zum Beispiel auch aus Deutschland kommen, jetzt eine Realität vorfinden, die sie ganz anders erwartet haben?
    Rosiny: Ich denke, wir stehen jetzt vor einem großen Dilemma. Militärisch wird sicherlich der Islamische Staat nach meiner Interpretation es nicht mehr lange aushalten. Aber die große Frage ist, was passiert mit all diesen Kämpfern. Ich denke, dass man sich überlegen muss eine Exit-Strategie für diese Kämpfer, weil je mehr man sie in die Enge treibt, je weniger Auswege sie finden, desto radikaler werden sie sein, umso mehr werden sie möglicherweise den Märtyrer-Tod wählen in Form von Selbstmordanschlägen und noch möglichst viele aus ihrer Sicht Ungläubige mit in den Tod reißen. Das heißt, hier muss man jetzt langsam die Tore öffnen, um diesen Leuten einen Ausgang zu bieten. Ungefähr die Hälfte der Kämpfer des Islamischen Staates sind Ausländer. Der größere Teil kommt aus arabischen Ländern, aus Tunesien, Saudi-Arabien, Marokko. Auch diese Länder sind massiv gefordert, mit ihren Bürgern umzugehen, aber genauso natürlich auch Europa.
    "Form von Resozialisierung" für Aussteiger
    Meurer: Welchen Vorschlag haben Sie da, dass man ehemalige IS-Kämpfer wieder aufnimmt, nicht bestraft, ihnen eine Perspektive bietet? Wie soll das ablaufen?
    Rosiny: Da gibt es sicherlich kein Erfolgsrezept. Aber das Problem ist ja folgendes: Wir haben es letztendlich schon mit der zweiten und dritten Generation von Dschihad-Terroristen zu tun und viele von ihnen sind radikalisiert worden in den Gefängnissen. Das heißt, jeder, den man jetzt ins Gefängnis steckt, der wird möglicherweise noch radikaler später aus dem Gefängnis herauskommen. Also man muss letztendlich sich andere Institutionen überlegen, eine Form von Resozialisierung. Natürlich muss man Verbrechen gerade auch gegen die Menschlichkeit bestrafen. Die Leute können natürlich auch nicht straffrei nachhause kommen und sie müssen auch beobachtet werden. Es ist letztendlich ein sehr, sehr komplexes Problem und ich denke, man muss da wirklich jeden Einzelfall gesondert betrachten.
    Meurer: Die Argumentation leuchtet durchaus ein. Aber was kann man anbieten?
    Rosiny: Es gibt da durchaus Initiativen, in Berlin zum Beispiel, die sich um die Familien dieser Ausreiser kümmern. Das heißt, man muss versuchen, das soziale Umfeld darauf vorzubereiten, die Familien, die Schulen, die möglichst diese Jugendlichen wieder aufnehmen, und ihnen quasi wieder zeigen, dass es auch im Hier und Jetzt ein besseres Leben gibt und dass sie nicht mehr dem Paradies und dem islamischen Staat anhängen.
    Meurer: Das Kalifat des Terrorregimes Islamischer Staat weist immer mehr Risse auf - Stephan Rosiny vom GIGA-Institut in Hamburg, Nahost-Experte, plädiert für eine Exit-Strategie für die Kämpfer, die beim IS nicht mehr mitmachen wollen. Herr Rosiny, danke für diese Analyse und auf Wiederhören nach Hamburg.
    Rosiny: Ja, auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.