Tobias Armbrüster: Heute nun trifft sich der neue Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Berlin mit Vertretern von mehreren muslimischen Organisationen, um über eine Neuausrichtung der Islamkonferenz zu sprechen. Wir wollen heute Morgen gerne wissen, was junge Muslime in Deutschland von einer solchen Konferenz erwarten. Am Telefon ist jetzt Esra Kücük, 30 Jahre alt. Sie ist Geschäftsführerin der Jungen Islam-Konferenz. Das ist ein Projekt der Mercator-Stiftung in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau Kücük.
Esra Kücük: Guten Morgen!
Armbrüster: Ist so eine Konferenz, eine Islam-Konferenz eigentlich etwas, das junge Muslime in Deutschland wirklich beschäftigt?
Kücük: Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Deutsche Islam-Konferenz grundsätzlich nicht so bekannt war, besonders auch bei jungen Leuten nicht so bekannt war. Das Thema allerdings, Islam und Rolle von Muslimen in Deutschland, beschäftigt sehr, sehr viele junge Menschen in Deutschland, weil Sie müssen wissen, dass von den vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen etwa die Hälfte, also zwei Millionen, unter 25 Jahre alt sind. Das heißt, das beschäftigt auf jeden Fall die junge Generation in Deutschland.
Armbrüster: Was muss sich denn ändern, wenn diese Konferenz jetzt noch mal eine Neuauflage erleben soll?
Kücük: Grundsätzlich ist erst mal sehr positiv zu sehen, dass Bundesinnenminister de Maizière nun offen in die Gespräche gehen möchte. In der Vergangenheit hat nämlich, muss man dazu wissen, das Bundesinnenministerium die Agenda der Deutschen Islam-Konferenz bestimmt, und dies hat für besonders viel Kritik gesorgt, da somit auch Sicherheitsfragen dieses Gremium dominiert haben. So mussten muslimische Mitglieder erst einmal sich formell zum Grundgesetz bekennen und sich später dann auch gegen Islamismus und häusliche Gewalt aussprechen. Im Rahmen des heutigen Treffens soll es anders werden. Der Innenminister beteuert, dass nun die Agenda gemeinsam verabschiedet werden kann.
Wohlfahrtsverbände und Seelsorge
Armbrüster: Was soll neu auf dieser Agenda stehen?
Kücük: Neu sollen die Themen sein. Dort sollen jetzt erst einmal zwei Themenschwerpunkte gesetzt werden, und zwar Wohlfahrtspflege und Seelsorge. Bei der Wohlfahrtspflege geht es unter anderem darum, gemeinsam zu prüfen, ob es sinnvoll ist, muslimische Wohlfahrtsverbände aufzubauen, ganz ähnlich wie die christliche Seite, beispielsweise Caritas und die Diakonie. Die Frage der muslimischen Seelsorge betrifft verschiedene Bereiche, angefangen von Militärseelsorge bei der Bundeswehr, Bundespolizei, Seelsorge in Krankenhäusern, Haftanstalten und Altenheimen. Darüber hinaus haben die Verbände eine Forderung zur Einführung eines bundesweiten islamischen Feiertages. Aber Sie hören schon bei den Themen, dass es weniger um alltägliche Fragen gehen soll, sondern mehr um die religionsrechtliche Gleichstellung, was zunächst auch einmal eine Empfehlung der Jungen Islam-Konferenz in ihrem letzten Empfehlungskatalog war. Nun ist es aber so, dass die Zusammensetzung, die der Innenminister jetzt vorsieht, sich verkleinert. Das heißt, wir werden zukünftig in der Deutschen Islam-Konferenz ausschließlich Vertreter der muslimischen Verbände haben. Zu den bisherigen kommen noch weitere hinzu, der Islamrat und der Zentralrat der Muslime. Die seit 2010 nicht mehr Teil der DIK waren, sitzen nun mit am Tisch, genauso wie die Ahmadiyya-Gemeinde.
Armbrüster: Das heißt, es ist eine Vergrößerung der Runde?
Kücük: Es ist eine Verkleinerung, denn nun haben wir keine Einzelvertreter mehr. Sie müssen wissen, dass in den Verbänden nur ein kleiner Teil der Muslime in Deutschland organisiert sind. Vorher wurde dieses Problem damit gelöst, dass Einzelvertreter, auch säkulare Vertreter, auch in diesem Gremium vertreten waren. Dies wird zukünftig nicht der Fall sein.
Langer Weg bis zur Gleichstellung
Armbrüster: Frau Kücük, glauben Sie denn, dass so eine Konferenz wirklich etwas ändern kann an der Lebenswirklichkeit von Muslimen in Deutschland? Oder wird da nicht einfach nur geredet?
Kücük: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst die Kritiker dieses Forums letztendlich gar nicht für die Abschaffung der Deutschen Islam-Konferenz waren, weil sie in der Tat auch wirklich in gewissen Bereichen was erreicht hat, wenn wir mal an die Einführung des islamischen Religionsunterrichts oder die Etablierung islamischer Theologie an Hochschulen denken. Allerdings sind die Erwartungen sehr, sehr groß an dieses Gremium. Am Ende dieser Legislatur wird nämlich die Deutsche Islam-Konferenz bereits elf Jahre getagt haben. Sie wird am Ende daran gemessen werden, ob sie das Ziel, das sie am Anfang hatte, nämlich die religionsrechtliche Gleichstellung des Islams, erreichen wird, und bis dahin ist noch ein langer, langer Weg. Junge Leute in diesem Land, denen geht es besonders auch um Zeichen, um Symbole, die aus der Politik kommen. Aus diesem Grund plädiert die Junge Islam-Konferenz dafür, wenn die Themensetzung der Deutschen Islam-Konferenz jetzt so ist, wie sie ist, dass die Fragen, die wirklich das Zusammenleben und den Zusammenhalt dieser Gesellschaft betreffen, dann woanders debattiert werden müssen, vielleicht im Deutschen Bundestag.
Armbrüster: Aber zunächst mal bleibt es bei dieser Islam-Konferenz, und da fragen sich wahrscheinlich doch viele, ob so etwas, so eine Konferenz speziell für muslimische Verbände, ob so eine Konferenz alleine nicht schon wieder ein Zeichen von Ausgrenzung ist, weil man zeigt damit ja, dass Muslime irgendwie doch nicht dazugehören in der deutschen Gesellschaft. Deshalb brauchen sie so eine Konferenz.
Kücük: Dem würde ich nicht zustimmen. Schließlich geht es ja in dieser Konferenz darum, dass sich eine Demokratie Gedanken darüber macht, wie sie mit einer ihrer größten religiösen Minderheiten umgehen sollte. Wir haben bisher einfach noch keine bundesweiten Gesetze, die Kopftuch in Schule regeln, die Bestattungsregelungen haben, die Wohlfahrtsverbände regeln, und eine Demokratie muss sich einfach Gedanken darüber machen, wie mit diesen Dingen im Umgang mit religiösen Minderheiten umgegangen werden muss. Von daher: Es soll, wenn wir die Bestrebungen des Innenministers jetzt ernst nehmen, keine weitere Islam-Problemkonferenz sein, sondern wirklich eine Islam-Konferenz, die sich diesen Fragen jetzt annimmt.
Nicht nur Sicherheitsfragen beachten
Armbrüster: Und die Themen Sicherheit und militanter Islamismus, die sollen jetzt ausgeblendet werden?
Kücük: Soweit die Ankündigungen sind. Wir hoffen, dass es dabei bleibt.
Armbrüster: Aber warum denn eigentlich? Das ist doch auch etwas, was viele Menschen sicher beschäftigt, wenn sie von der Islam-Konferenz hören?
Kücük: Hier werden zweierlei Dinge vermischt. Auf der einen Seite geht es darum, wie sollen staatliche Regelungen getroffen werden, um mit einer Religionsgemeinschaft oder mit mehreren Religionsgemeinden umzugehen.
Armbrüster: Da wird also etwas vom Staat erwartet. Aber umgekehrt erwartet doch möglicherweise auch der Staat etwas von den muslimischen Verbänden.
Kücük: Ganz, ganz richtig. Nur indem wir muslimische Verbände nur aus der Brille Sicherheitsfragen betrachten, geben wir diesem Gremium gar keine Chance, wirklich die Fragen anzugehen, die den Alltag in Deutschland beschäftigen. Um Sicherheitsfragen kümmern sich die Sicherheitsbehörden und das sind Bereiche, für die nicht unbedingt die Vertreter der Verbände an einen Tisch kommen müssen, sondern ganz andere Akteure gefragt sind.
Armbrüster: Esra Kücük war das, die Geschäftsführerin der Jungen Islam-Konferenz. Das ist ein Projekt der Mercator-Stiftung in Berlin. Ich habe mit ihr gesprochen über die Neuauflage der Islam-Konferenz zwischen muslimischen Verbänden und Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die soll heute eine Neuauflage starten. Vielen Dank, Frau Kücük, für das Gespräch heute Morgen.
Kücük: Vielen Dank!
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