Es ist Nacht. Ich streife durch Tel Aviv, habe mich verlaufen. Vor einem kleinen Laden stellen eine Frau und ein Mann gerade einen Tisch auf, entkorken Wein, ordnen Plastikbecher. Wo bin ich hier, will ich von ihnen wissen.
"Das hier ist Downtown Tel Aviv. Siehst du die vielen kleinen Läden? Viele Einwanderer leben hier, vor allem ärmere Schichten. Weil die Mieten nicht so hoch sind, haben sich immer mehr junge anarchische Kreative in diesem Viertel angesiedelt. Hier finden sie Plätze für Theater oder Kultur."
Der Wein, den die Frau ausschenkt, erfahre ich, ist für die Gäste eines dieser neuen aufregenden Kulturplätze in Tel Avivs flirrender Kunstszene. Man drückt mir ein Glas Wein in die Hand, lädt mich ein in den einstigen Gemüseladen hinter dem Klapptisch.
Drinnen 30 Plätze, kaum einer davon noch frei. Das hier ist das Chanut-Theater. Heute zu Gast: Ariel Doron mit seinem Anti-Kriegs-Puppentheater. Wo einst Auberginen über den Verkaufstresen gingen, befindet sich nun ein leerer Tisch, eine schwarze Tischdecke. Bevor es losgeht, sieht sich Ariel Doron genötigt, ein paar Bemerkungen zu machen
"Bitte beachten Sie, das hier ist eine Show über den Krieg. Also es wird ein paar Booms and Bangs geben. Fürchten Sie sich nicht. Das kommt nicht von draußen, Sie müssen also nicht aufstehen und in die Bunker rennen - alles kommt nur von der Show."
"Plastic Heroes" heißt das Stück, dessen Hauptfiguren Spielzeugsoldaten und ein Plüschtiger sind, der mit Interesse beobachtet, was in seinem Wüstenrevier vor sich geht. In dem landet plötzlich ein Hubschrauber, Soldaten tauchen auf, die für den Tiger merkwürdige und unverständliche Dinge machen.
"Wir sollen uns an den Krieg gewöhnen"
"Ich denke, dieser Tiger hat viel mit dem Krieg zu tun, denn er ist unschuldig. Er sieht die Dinge, aber versteht sie nicht. Weil er sie nicht versteht, wird er am Ende sterben. Er sieht nicht, dass diese Dinge den Tod bringen. Diese Spielzeuge, die es zu Tausenden in unseren Kinderzimmern gibt, sind nur zu einem da: Wir sollen mit dem Krieg aufwachsen, uns an ihn gewöhnen, ihn als normal empfinden. Sie töten gewissermaßen das Kind in unseren Kindern. Das ist es, was der Tiger symbolisiert."
Wenn in "Plastic Heroes" ein Spielzeugsoldat per Skype-Video-Anruf mit seiner Frau, einer Barbie-Puppe, am anderen Ende des Tisches spricht, sieht wohl keiner der Anwesenden mehr die Puppen, sondern eher sich selbst oder die eigenen Kinder, denn alle im Raum waren selbst bei der Armee – Frauen wie Männer.
"Ich denke, Israel ist eine sehr militärisch geprägte Gesellschaft. Und immer wenn ein neuer Krieg bevorsteht, denken viele: 'Also los, lasst uns losziehen und jemanden vermöbeln!' Manchmal scheint es, als würden diese Leute das wirklich als Spiel ansehen. Sie denken weder über den Preis nach, noch darüber, dass Menschen sterben. Was ich zeigen will, ist, dass es in einem Krieg keinen wirklichen Sieger geben kann."
Das Antikriegs-Puppentheater des 34-jährigen Ariel Doron ist längst kein Geheimtipp mehr. Tourneen führten ihn bereits nach England, Frankreich, Indien und Estland. Dorons Stücke seien für viele Israelis vor allem eines: verstörend und provozierend, sagt die Frau vom Eingang in einer Pause.
"Ich war einmal in einer seiner Shows, als er plötzlich eine Hitlerpuppe hervorholte. Kaum sahen einige die Puppe, standen sie auf. Es war wie ein Automatismus. Sie sind nicht gegangen, sie sind regelrecht geflohen.
Doch ob Ariel Doron Hitler über den Tisch spazieren oder Kasperle mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Moshe Dayan kämpfen lässt - immer geht es ihm darum, eine Gesellschaft zum Nachdenken zu bewegen, die in zu vielen Ritualen erstarrt scheint und sich vielleicht auch deshalb schwer damit tut, den gordischen Knoten des Konfliktes mit den Palästinensern zu lösen.
"Ich denke, dass nur Leute mit sehr viel Phantasie etwas darüber sagen können, wie sie sich Israel in zehn Jahren vorstellen. Optimistisch können im Moment vielleicht nur Waffenhändler sein. Mein Traum wäre, dass der gesamte Mittlere Osten einmal eine Art Europäische Union wird. Jeder hat seine Würde, sein eigenes Zuhause, Religions- und Bewegungsfreiheit. Für diese Dinge, an die ich glaube, spiele ich mit Puppen. Ich denke nicht, dass das viel hilft, aber ich weiß nicht, wie man die Situation sonst ändern könnte."