Die Konfliktparteien könnten es alleine nicht schaffen, zu einer Lösung zu kommen, betonte Stein im Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Krieg sei erst zu Ende, wenn das Ziel des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu erreicht sei, für "lange Zeit Ruhe und Sicherheit" zu erlangen. Ein Ende der Verhandlungen der Konfliktparteien sei jedoch noch nicht abzusehen.
Zwei wichtige Säulen jeder zukünftigen Abmachung zwischen Israel und den Palästinensern seien die Entmilitarisierung des Gazastreifens und der Wiederaufbau, sagte Stein. Trotz anfänglicher Bedenken Netanjahus solle Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas weiter ein Partner für Israel bleiben.
Eine UNO-Verwaltung des Gazastreifens, wie sie auch Israels Außenminister Lieberman vorgeschlagen habe, sei eine völkerrechtliche Frage, über die man sprechen könne, meinte Stein.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Seit Israel sich vor neun Jahren aus Gaza zurückgezogen hat, hat das Land fünf Kriege um den Küstenstreifen geführt. Der jetzige ist der längste und der mit den größten Zahlen an Opfern. Seit gestern Abend gibt es so etwas wie einen Funken Hoffnung, auf ein Ende der Gewalt. Israel und die Hamas haben sich auf eine dreitägige Waffenruhe geeinigt, in Ägypten soll sogar über eine dauerhafte Lösung verhandelt werden.
Die Kampagne geht weiter, mit diesen Worten hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu noch gestern zunächst das Ende einer weiteren einseitigen Feuerpause kommentiert und ein Ende des Krieges in Gaza erst für den Fall in Aussicht gestellt, dass für einen längeren Zeitraum Ruhe und Sicherheit für Israels Bürger hergestellt wären. Am Abend dann aber aus Kairo die Nachricht, dass sich die Kriegsparteien auf eine dreitägige Feuerpause geeinigt haben und auf Verhandlungen über eine längere Waffenruhe.
Shimon Stein war von 2001 bis 2007 Botschafter Israels in Deutschland, heute arbeitet er am Institut für Sicherheit und strategische Studien der Universität Tel Aviv. Schönen guten Morgen, Botschafter Stein!
Shimon Stein: Ich grüße Sie!
Barenberg: Gestern hatte Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident Israels ja erst noch angekündigt, dass die militärische Offensive fortgesetzt wird. Nun die Einigung auf eine dreitägige Feuerpause und zumindest indirekte Verhandlungen. Was hat Israel bewogen, jetzt die Meinung zu ändern?
Stein: Es ist eine gute Frage. Ich meine, alle Entscheidungen im Laufe dieses Krieges, der bereits schon 29 Tage dauert, haben sich auch geändert. So zum Beispiel war ja nicht das ursprüngliche Ziel dieses Krieges, die Tunnel völlig zu zerstören, sondern einfach eine Ruhe für lange Zeit zu erlangen und die Raketenproblematik auch zu beenden, und dann im Laufe dieser Auseinandersetzung kam auch diese neue Mission. Sodass ich glaube, die Lage ist eigentlich sehr dynamisch. Wenn Netanjahu sich erst vor ein paar Tagen entschieden hat zu einem einseitigen Rückzug, weil er kein Interesse hatte, indirekt mit der Hamas zu verhandeln, so hat sich Netanjahu dann mit Blick auf die Lage auch entschieden zu was anderem. Ich glaube, dass man hier auch die zentrale Rolle, die gegenwärtige zentrale Rolle und auch die zukünftige Rolle, die ja Ägypten auch hier spielen wird, auf Ägypten einzugehen, scheint auch offensichtlich der israelischen Regierung von großer Bedeutung zu sein. Und wenn es so wird, dass die israelische Regierung einlenkt hier, so kann man es auch begründen mit dem Blick auf die Entscheidung, die ja der Premierminister Netanjahu getroffen hat.
"Für Netanjahu ist der Krieg noch nicht zu Ende"
Barenberg: Gestern kam ja schon die Meldung Israels, dass man es geschafft habe, alle Tunnel zu zerstören, die Kämpfer der Hamas für ihre Angriffe genutzt haben, alle Tunnel jedenfalls, die man kennen würde. Hat das eine wichtige Rolle bei der Entscheidung gespielt? Sie haben ja jetzt eher angespielt auf ein Zugeständnis in Richtung Kairo, dass man die Vermittlungen dort ernst nimmt und befürwortet.
Stein: Zumindest ist das eine gewisse Legitimation um zu sagen, wir haben unsere Mission erfolgreich beendet. Und jetzt kann man, wie gesagt, entweder die Entscheidung, die er vor einigen Tagen, Netanjahu, getroffen hat, zu sagen, nun haben wir unsere Mission erreicht und wir können uns einseitig zurückziehen und nicht auf Hamas abwarten. Und heute kann man sagen, wir haben unsere Mission erreicht, jetzt hat uns Ägypten ein Angebot unterbreitet und deshalb sind wir bereit, indirekt auf die ägyptische Initiative einzugehen. Sodass man momentan sehen muss erstens, ob die 72 Stunden Pause etwas länger dauern werden, und dann, wie lange werden die Verhandlungen dauern. Denn es stehen auf der Tagesordnung laut Meldeberichten ganz schwierige Fragen für beide Seiten, und was am Ende herauskommt, muss abgewartet werden. Sie haben schon bereits mit Recht im Beitrag gehört und gesagt, dass für Netanjahu der Krieg noch nicht zu Ende ist, weil er noch ein Ziel gesetzt hat, und das ist für lange Zeit Ruhe und Sicherheit. Das wird man erst dann erreichen können, wenn die Gespräche und Verhandlungen zu Ende sind. Aber das Ende ist noch nicht abzusehen.
Barenberg: Was kann, was muss Israel der Hamas denn in diesen Verhandlungen anbieten, wozu ist die israelische Regierung bereit?
Stein: Ich meine, es wäre gut, wenn Israel sich neu überlegt, die Blockade aufzuheben, zum Teil die wirtschaftliche Blockade. Die Frage, ob Israel bereit wäre, auch Häftlinge, palästinensische Hamas zu entlassen, muss abzusehen, denn das ist ein innerisraelisches, schwieriges Thema, wie am Ende sich der Ministerpräsident in dieser Sache auch entscheiden wird, bleibt abzusehen. Aber ich glaube, wir werden mit der Blockade zum großen Teil aufhören. Die Frage ist, welche Rolle wird dann Ägypten übernehmen bei der Entscheidung von Israel, auch die Grenzübergänge freizumachen, Haifa und andere. Insofern, da sind Entscheidungen, die wichtig sind. Aber am Ende des Tages, damit wir nicht uns noch einmal in ein, zwei Jahren treffen in einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung, stellt sich für mich die Frage, ob wir in dieser Runde einen Wendepunkt sehen werden. Und bei Wendepunkt meine ich, dass die Ursachen, die zu dieser Auseinandersetzung geführt haben, beseitigt werden. Insofern, einerseits die Entmilitarisierung des Gazastreifens, und den Wiederaufbau andererseits. Das müssen zwei wichtige Säulen jeder zukünftigen Abmachung zwischen uns und den Palästinensern sein. Und bei den Palästinensern meine ich auch, dass Mahmud Abbas, auch eine Möglichkeit mit der Behörde geben soll, sich wieder in Gaza zurückzufinden. Es wird unausweichlich eine große Rolle auf Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und die gemäßigten arabischen Staaten einerseits und die internationale Staatengemeinschaft andererseits, sich zu engagieren. Der Rede über die Lage, die ja so verfahren war vonseiten der Europäischen Union und von anderen, müssen am Ende auch Taten folgen, die Staatengemeinschaft muss einen Weg finden, sich einzumischen, Garantien anzubieten. Insofern stehen vor uns sehr, sehr große Aufbau- und Sicherheitsfragen auf der Tagesordnung, die Parteien alleine werden es nicht schaffen, und am Ende müssen wir uns bemühen, wie gesagt, damit dieser Krieg zu einem Wendepunkt kommt und nicht eine Runde in zukünftige weitere Runden. Das können wir uns nicht mehr erlauben.
Politische Gespräche sind von großer Bedeutung müssen aber neu überlegt werden
Barenberg: In den USA wird dieser Tage allerdings vor allem über den Außenminister John Kerry diskutiert und seine bisher vergeblichen Vermittlungsbemühungen, Vermittlungsversuche. Welche Rolle kann die USA überhaupt noch spielen und welche Rolle möglicherweise die UN beziehungsweise die EU?
Stein: Ja, zunächst über die zentrale Rolle der USA: Wissen Sie, wir beschweren uns immer – beziehungsweise nicht nur Israel, sondern alle – über die nachlassende Rolle der USA in der Region und auch weltweit. Aber am Ende, wenn etwas in dieser Region passieren soll, politisch, meine ich, dann geht kein Weg an Washington vorbei. Washington hat es durchaus, Mister Kerry, in neun Monaten versucht, die politischen Gespräche in Gang zu setzen mit einer Hoffnung auf eine Beilegung des Konflikts, nicht geschafft. Was die Gründe dafür sind, ist uns, glaube ich, allen klar, es war von Anfang an zu sehen, dass die letzte Kerry-Mission bedauerlicherweise zum Scheitern verurteilt war. Den Versuch zu unternehmen, jetzt noch einmal einen Anlauf zu nehmen vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges, muss sich neu überlegt werden. Die Gespräche über eine politische Perspektive scheinen mir von großer Bedeutung zu sein. Und deshalb glaube ich, Abbas soll ein Partner weiter für uns bleiben, auch wenn Netanjahu anfangs Bedenken eben hatte. Erstens, wie gesagt, die Amerikaner müssen diesen Versuch wieder aufnehmen, die Europäische Union, wie Außenminister Steinmeier mit Recht gesagt hat, können nicht diese zentrale Rolle für sich alleine in Anspruch nehmen. Die Europäische Union und die Amerikaner müssen sich gegenseitig ergänzen. Ob das Quartett eine Rolle haben wird, muss auch gesehen werden. Meiner Meinung nach: ja. Insofern, glaube ich, es steht eine ...
An der Rolle der Staatengemeinschaft geht kein Weg vorbei
Barenberg: Herr Stein, ich möchte noch auf einen konkreten Vorschlag zu Sprechen kommen von Israels Außenminister Lieberman, der von einer internationalen Kontrolle von Gaza durch die UN spricht und das in Erwägung zieht. Halten Sie das für einen ernsthaften und realistischen Vorschlag?
Stein: Wissen Sie, ich möchte mich über die Äußerungen von Außenminister Lieberman im Laufe dieser Auseinandersetzung nicht ins Detail sprechen. Ob die UNO bereit wäre, die Kontrolle zu übernehmen, beziehungsweise dass Israel keine Verantwortung weiter tragen wird, das ist eine völkerrechtliche Frage, über die man auch sprechen kann. Aber generell die Tatsache, dass die internationale Staatengemeinschaft, UNO, die Europäische Union und die Amerikaner, und die gemäßigten arabischen Staaten in diesem Konflikt, in dieser Auseinandersetzung um die Beilegung eine Rolle spielen, da, glaube ich, gibt es keinen Zweifel. Wie genau soll es geschehen, das muss verhandelt werden. Aber an der Rolle der Staatengemeinschaft, damit es zu einem Wendepunkt kommt, geht kein Weg vorbei.
Barenberg: Shimon Stein, der frühere Botschafter Israels in Deutschland heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Botschafter Stein!
Stein: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.