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Istanbul ohne Europäer
Angst vor der Isolation

Konfrontation, Drohungen, Warnungen. Das deutsch-türkische Verhältnis ist schwierig. Nicht nur Touristen meiden die Türkei, sondern auch diejenigen, die eigentlich als Brückenbauer gelten: Austauschstudenten, Geschäftsleute, Kulturschaffende.

Von Luise Sammann |
    Blick auf Bosporus vom Szeneviertel Cihangir aus gesehen, Istanbul
    Im Szeneviertel Cihangir sah man Europäer früher zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Cafés sitzen, hörte deutsche, englische, französische Gesprächsfetzen im Vorbeigehen. (imago stock&people/ Ali Kabas / Danita Delimont )
    Im historischen Istanbuler Stadtviertel Sultanahmet ist die türkische Tourismuskrise unübersehbar: Zahlreiche der sonst ausgebuchten Boutique-Hotels und Restaurants mussten in den vergangenen Monaten schließen, der berühmte Große Basar mit seinen Juwelieren, Stoff- und Gewürzhändlern macht die schlechtesten Geschäfte seit 50 Jahren.
    "Immerhin die Iraner kommen noch. Aber was können die sich schon leisten?" klagt ein Basarhändler frustriert. "Auch die Araber und Chinesen helfen uns nicht wirklich. Wir brauchen die Kunden aus Europa zurück!"
    Die aber sieht man kaum noch in Istanbul heute. Und auch solche Europäer, die sich für Monate oder gar Jahre am Bosporus niederlassen, sind rar geworden.
    Viele Europäer sind gegangen, wenige geblieben
    Im Szeneviertel Cihangir sah man sie früher zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Cafés sitzen, hörte deutsche, englische, französische Gesprächsfetzen im Vorbeigehen. Nirgendwo sonst in Istanbul reihen sich so viele Delikatessengeschäfte, Espressobars und Weinläden aneinander wie hier, nur einen Steinwurf vom zentralen Taksim-Platz. Heute wirken die wenigen verbliebenen Europäer hier wie Überzeugungstäter. Gabi aus München lebt seit über zehn Jahren am Bosporus. Istanbul verlassen? Die Architektin schüttelt entschieden mit dem Kopf: "Also für mich persönlich kommt es überhaupt nicht in Frage. Weil ich find das immer noch lebenswert, hier zu sein. Es ist immer noch ein wunderbares Land. Istanbul ist ein magischer Ort. Daran hat sich ja nichts geändert."
    Doch die Unsicherheit, die dutzende Terroranschläge und ein unberechenbarer Staatspräsident seit Jahren verbreiten, hat Istanbuls magische Anziehungskraft für viele verblassen lassen. In Scharen verlassen sie die einst so beliebte Bosporus-Metropole. Ahmet Bircan ist Makler in Cihangir, spezialisiert auf schöne Altbauwohnungen mit Stuck und Bosporus-Blick, wie sie vor allem zahlungskräftige Europäer jahrelang bevorzugten. Inzwischen stehen viele von ihnen - trotz fallender Mieten - leer.
    "Ich kenne keine genauen Statistiken darüber, wie viele Istanbul bereits verlassen haben. Aber was ich sehr genau weiß ist, dass keiner mehr hierherzieht. Besonders an deutsche Lehrer habe ich früher viel vermietet. In diesem Jahr habe ich die deutschen und die österreichischen Schulen extra angerufen, habe gefragt: Warum sucht keiner mehr bei mir nach einer Wohnung? Sie haben gesagt: Ganz einfach, weil keiner mehr für ein paar Jahre nach Istanbul kommen will."
    Das Engagement der Europäer fehlt
    Makler Bircan zuckt mit den Schultern. Hoffnung darauf, dass sich sein Geschäft bald wieder erholt, hat er in der aktuellen politischen Lage kaum. Dabei reißen die fehlenden Ausländer am Bosporus nicht nur eine finanzielle Lücke, betont Korhan Gümüş, Architekt und bekanntes Mitglied der intellektuellen Szene Istanbuls: "Viele Europäer mieteten in Istanbul nicht nur Wohnungen, wie Gäste auf Zeit. Sie kauften auch alte Häuser und restaurierten sie. Sie fühlten sich als Bürger dieser Stadt. Einige arbeiteten hier, recherchierten, schrieben Bücher…. Istanbul war für sie nicht nur ein Ort zum Geld verdienen, sondern eine Stadt, die jeden einlud, sie mitzugestalten."
    Es war der rege kulturelle Austausch, das ständige Kommen und Gehen von Menschen und Ideen aus aller Welt, die Istanbul überhaupt erst zu dem machten, was es lange war, so Architekt Gümüş. Gemeinsam mit einigen anderen versucht er, mit allen Mitteln die kulturelle Isolation aufzuhalten, die der einstigen Kulturhauptstadt Europas zunehmend droht. Doch mit jeder weiteren Negativschlagzeile wird seine Arbeit schwieriger: "Stellen Sie sich vor, sie wollen eine Konferenz mit internationalen Gästen hier veranstalten. Früher war Istanbul dafür ein sehr beliebter Ort. Heute brauchen Sie gar nicht erst die Einladungen zu verschicken. Es will einfach niemand kommen."