Fünf weiße Plastikstühle symbolisieren in Amatrice die Hoffnung. Sie stehen vor der Bar "Il rinascimento". Die erste Bar, die nach dem Erdbeben vom 24. August 2016 wieder aufgemacht hat. Betreiber Fabio Magnifici war vorher Antiquitätenhändler. "Das Rinascimento ist für mich die schönste Epoche. Natürlich beziehe ich mich auch auf heute, auf die Wiedergeburt, die wir erhoffen."
Doch diese Hoffnung haben nicht mehr alle. Die Gemeindemitarbeiterin Catia Clementi hat in den vergangenen Wochen viele Dutzend Namen aus dem Melderegister von Amatrice gestrichen, wegen Wegzugs: "Es gibt hier nur zwei Reaktionen: flüchten, aus Angst und Verzweiflung, oder bleiben. Selbst dann, wenn das Haus zerstört wurde. Ich weiß nicht, wer am Ende den höheren Preis zahlt."
Angst vor dem "Ungeheuer"
Der Einzelhändler Antonio Fontanella ist nicht geblieben. Sein Delikatessengeschäft mitten in Amatrice war nur noch ein Schutthaufen und sein Haus nicht mehr bewohnbar: "Amatrice war ein Ausflugsziel für Feinschmecker. Ein zauberhafter Flecken Erde. Leider hat das Ungeheuer ihm seine Unschuld geraubt."
"Das Ungeheuer" nennt Antonio Fontanella das Erdbeben. Oder besser die Beben. "Das Ungeheuer ist noch nicht satt und wir wissen nicht, was es noch verschlingen will. Diese wiederholten Beben säen Zweifel, ob es überhaupt möglich ist, auf diesem Boden wieder neu anzufangen."
Diese Frage stellen sich immer mehr Einheimische. Doch offen aussprechen mag sie kaum jemand. Die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Amatrice wiederaufzubauen, bricht ein Tabu. "Vielen ist noch nicht klar, dass sie sich an etwas klammern, das es nicht mehr gibt. Wir alle haben Amatrice so in Erinnerung, wie wir es kannten, wie es einmal war. Und wir haben Mühe anzuerkennen, dass es nicht mehr da ist. Amatrice ist nichts als ein Trümmerhaufen."
Dorfgesellschaft kämpft um Zusammenhalt
Selbst knapp ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben, bei dem fast 300 Menschen starben und der Dorfkern völlig zerstört wurde, sind noch überall Trümmer zu sehen. Das ärgert die Dorfbewohner, und den Bürgermeister Sergio Pirozzi:
"Auf Privatgelände liegen 1,2 Millionen Tonnen Trümmer, um die muss sich die Region kümmern. Die Arbeit ist ausgeschrieben, aber den Auftrag vergibt nicht die Gemeinde, sondern die Region. Ich habe vorgeschlagen, ihn in drei Blöcke zu unterteilen und an drei verschiedene Firmen zu vergeben, aber ich kann nur Vorschläge machen."
Sergio Pirozzi kämpft gegen die Bürokratie. Und gegen den Zerfall der Dorfgemeinschaft. Die materiellen Schäden lassen sich beheben, das dauert, aber das geht. Der wirkliche Kampf ist der um die Gemeinschaft. Das ist das Schwierigste. Aber im Gegensatz zu den kleineren Dörfern, gibt es in Amatrice einen harten Kern.
Der harte Kern - das sind diejenigen, die trotz widrigster Umstände in Amatrice geblieben sind und seit 11 Monaten in Wohnwagen und behelfsmäßigen Containern leben. Wie der Maurer Beppe und seine Familie. Beppes Mutter durfte als eine der Ersten in eines der orangefarbenen Fertighäuser ziehen, die rund um den zerstörten Dorfkern aufgestellt wurden. "Es braucht Mut", sagt die Mutter, "hier zu bleiben. Diese Erde vibriert unter unseren Füßen. Ich hoffe, dass es vorbei ist, aber wer weiß das schon".
Ein müder Blick, ein Achselzucken. Was sie sich wünscht? Dass es Amatrice anders ergeht als beispielsweise L`Aquila, wo das zerstörte Stadtzentrum nach dem Erdbeben von 2009 noch nicht wiederaufgebaut ist. Andere Erdbebenregionen Italiens wie die Emilia Romagna waren schneller und effizienter. Ein durchgehendes Muster gibt es nicht. Noch ist die Zukunft von Amatrice nicht entschieden.