Ann-Kathrin Büüsker: Herr Haseloff, gestern wurde vereinbart, dass die ländlichen Räume und Kommunen gestärkt werden sollen. Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen das gestern ein etwas zufriedenes Lächeln beschert hat, oder?
Reiner Haseloff: Ja, ich bin mit dem Ergebnis zumindest der Themenliste, die wir fixiert haben, sehr zufrieden. Es hat im Prinzip dazu geführt, dass wesentliche Dinge, die auch gerade die neuen Länder betreffen, aber auch generell in ganz Deutschland die unterschiedlichen Lebensbedingungen betreffen, doch auf den richtigen Weg gebracht wurden und auch im Konsens dort Lösungswege vorgeschrieben wurden.
Das heißt, dass wir keine Ergebnisse erzielen, kann man überhaupt nicht sagen. Ganz im Gegenteil! Angefangen von der zwischenmenschlichen Stimmung bis hin zu den Ergebnissen können wir gestern eine positive Bilanz ziehen.
Büüsker: Diese gezielte Strukturförderung im ländlichen Raum, könnte das aus Ihrer Sicht ein Ersatz für den Solidaritätszuschlag sein?
Haseloff: Der Solidaritätszuschlag ist natürlich eine allgemeine Einnahmequelle des Bundes, des Bundeshaushaltes. Das sind derzeit über 18 Milliarden Euro im Jahr. Wie man darüber eine Entscheidung so findet, dass die Haushalte überhaupt dann wieder gedeckt sind, das muss man sehen. Wir halten einen sofortigen und schnellen Ausstieg für unmöglich. Aber das ist kein ostdeutsches Thema, sondern mehrheitlich geht ja der Soli in den Westen, einfach pro Kopf in der Verteilung des Bundeshaushaltes.
Das heißt, drei Viertel landen in den ganzen alten Bundesländern. Für die ostdeutschen ist wichtig, dass wir feststellen: Bei 53 Prozent pro Kopf Steuereinnahmen, die wir erzielen, nach 27 Jahren Wiedervereinigung merken wir, dass irgendwo die Instrumente, die wir bisher eingesetzt haben, begrenzt sind. Wir brauchen neue Ansätze. Das betrifft aber genauso strukturschwache Gebiete wie in der Oberpfalz oder im Bayerischen Wald. Also generell Lösungen, die entsprechend auch die Angleichung der Lebensverhältnisse sichern, und da haben wir Wege aufgezeigt.
"Wir haben als Staat auch Möglichkeiten der direkten Förderung"
Büüsker: Herr Haseloff, was meinen Sie denn damit konkret?
Haseloff: Ganz konkret meine ich damit, dass wir neben den Möglichkeiten der Politik, die ja gerade schon aus Berlin kommentiert wurden, nämlich Dezentralisierung von Behörden, auch besondere Festlegungen, wo Forschungseinrichtungen und Universitätseinrichtungen und Hochschuleinrichtungen ihren Platz finden, wir als Staat auch Möglichkeiten der direkten Förderung haben.
Wir haben die GAW, die Gemeinschaftsaufgabe zur Finanzierung von Investitionen in der Wirtschaft, oder auch die sogenannte GAK, das ist die Gemeinschaftsaufgabe für Agrarwirtschaft und Küstenschutz. Diese Instrumente könnte man zusammenlegen und ganz gezielt in strukturschwache Gebiete so einsetzen, dass dort vor Ort mit den Kommunen Lösungen zur Arbeitsplatzentwicklung, aber auch zur Infrastruktur gefunden werden.
Büüsker: Und Sie glauben, wenn das verbessert wird, dann ziehen auch nicht mehr so viele Menschen aus den strukturschwachen Regionen weg?
Haseloff: Genauso ist es. Wir haben ja die Erfahrungen, da wo wirklich Arbeitsplätze und auch behördliche Strukturen das öffentliche und das gesellschaftliche Leben ermöglichen, dass dort der Wegzug wirklich auch gebremst werden kann. Ganz im Gegenteil! Wir haben sogar Gebiete in solchen Fällen, wo es wieder zum Rückzug kommt und junge Menschen vor allen Dingen auch ihre Familienplanung vornehmen.
Da ist der Staat nicht zahnlos. Da haben wir durchaus Erfahrungen. Aber das läuft nicht alleine über den Markt, das müssen wir steuern. Es geht auch um eine Raumordnungsstrategie des Bundes, die in zwei Bundesministerien ja angesiedelt war, aber die in den letzten 10, 20 Jahren nicht besonders erfolgreich gewesen ist.
"Wir müssen gucken, wie wir das Geld, was da ist, zielgerichteter einsetzen"
Büüsker: Herr Haseloff, verstehe ich das richtig, dass eigentlich genug Geld da ist, aber die Strukturen, um das Geld richtig zu investieren, nicht so richtig funktionieren?
Haseloff: Das ist richtig. Wir haben vieles jetzt in den 27 Jahren der Wiedervereinigung experimentiert, haben auch Erfolge dabei erzielt, aber merken, dass diese Instrumente jetzt regelrecht ausgelutscht sind, wie man so schön im Volksmund sagt. Das heißt, da ist ein großer Impuls nicht mehr zu erwarten. Wir müssen gucken, wie wir das Geld, was da ist, zielgerichteter einsetzen und an die aktuellen Bedingungen anpassen, und dass wir da auch die neuen Länder besonders in den Blick nehmen, hängt damit zusammen, dass wir ja irgendwann mal auch eine selbsttragende Wirtschaft benötigen, damit wir insgesamt Deutschland in Europa auch weiterbringen.
Da bin ich auch dankbar, dass Horst Seehofer und auch die anderen Kollegen gestern klar gesagt haben, wir müssen das Problem der Wiedervereinigung und der deutschen Angleichung der Lebensverhältnisse hinbekommen. Das ist in jedem Bundesland eine Aufgabe, aber besonders immer noch zwischen Ost und West.
"Wir merken jetzt, dass die letzte Lücke nicht schließbar ist"
Büüsker: Das heißt aber auch, dass die Ostländer da in den letzten Jahren eigentlich ein bisschen was verpennt haben, wenn ich Sie richtig verstehe?
Haseloff: Nein! Wir haben versucht, offensiv das zu nutzen, was da ist, und wir sind ja auch weitergekommen. Wir merken jetzt aber, dass die letzte Lücke nicht schließbar ist. Wir haben eine Annäherung an die westdeutschen Verhältnisse erreicht, aber jetzt ist ein Sättigungseffekt mit einer Lücke von vielen Prozent immer noch auch in den Steuereinnahmen pro Kopf zu erzielen.
"Großinvestitionen finden nicht mehr statt"
Büüsker: Herr Haseloff, was heißt Sättigungseffekt? Was meinen Sie damit?
Haseloff: Sättigungseffekt heißt, dass die Instrumente zum Beispiel zur Investitionsförderung nicht mehr die Impulse bringen, die wir noch vor 10, 20 Jahren hatten. Das heißt, Großinvestitionen finden nicht mehr statt. Wir müssen auch neue Innovationsstrategien entwickeln und vor allen Dingen uns auf Branchen konzentrieren, die eine Zukunft haben. Allein in den ostdeutschen Ländern sind viele im erneuerbaren Bereich entstanden, Arbeitsplätze im Solarbereich und in der Windkraft.
Da haben wir auch wieder einen Verlust erlebt. Die Solarbranche ist heute in Asien. Wir müssen also neue Ansätze finden und da ist auch die Forschung und Entwicklung gefragt, und dass wir hier auch einen Schwerpunkt setzen, das ist ebenfalls vereinbart. Ich glaube, dass mit Kenia da auch eine gute Möglichkeit eines großen Konsenses gegeben sein kann.
Büüsker: Herr Haseloff, lassen Sie uns bei den Branchen, die eine Zukunft haben, bleiben und ein bisschen über Klimaschutz sprechen. Die Union, die sperrt sich jetzt sowohl gegen den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor als auch den Ausstieg aus der Braunkohle. Wie wollen Sie unter diesen Voraussetzungen die Klimaziele erreichen?
Haseloff: Erst mal muss man sagen, an der Physik kommt auch Politik nicht vorbei. Wenn wir so locker über die Einstellung in den nächsten Jahren von Verbrennungsmotoren sprechen, dann wissen wir, dass die Alternativen im Elektromobil-Bereich und auch unter Wasserstoff-Gesichtspunkten nicht vorhanden sind. Das können Elemente sein, die müssen ausgebaut werden. Ich bin absolut für Klimaschutz, aber wir müssen einfach …
Büüsker: Aber wie wollen Sie dann die Klimaziele erreichen?
Haseloff: Ja! Wir haben ja durchaus nicht bloß die Felder der Energieerzeugung über Braunkohle zum Beispiel, übrigens die modernsten Kraftwerke, die es weltweit gibt, in Ostdeutschland. Die werden wir jetzt nicht wieder stilllegen, sondern …
"Viele technische Probleme aufgeladen" durch die Energiewende
Büüsker: Die produzieren aber zum Teil Strom für den Export.
Haseloff: Das ist richtig. Aber wir brauchen diesen Strom auch zur Grundlastsicherung. Der Export ist ja eigentlich nicht geplant, sondern oftmals müssen wir Spitzen in die Umländer beziehungsweise in die angrenzenden Länder auch abgeben, damit unser Netz nicht auseinanderfliegt. Wir haben mit der erneuerbaren Strategie und mit der Energiewende uns auch so viele technische Probleme aufgeladen, dass wir aus einer grundlastfähigen Energieversorgung über Braunkohle derzeit gar nicht rauskommen.
Wir haben aber Bereiche in der Volkswirtschaft – das fängt im Verkehr an, das geht über Energie-Effizienzmaßnahmen, Wärmedämmung – noch so viele Potenziale, dass wir sagen, da ist etwas zu erschließen. Ostdeutschland – das will ich noch mal ganz klar sagen – hat die Ökobilanz der letzten 25 Jahre für Deutschland in Europa herbeiführen helfen. Durch die Abstellung von großen Industrieanlagen konnten wir bisher überhaupt unsere Bilanz bringen. Westdeutschland hat so gut wie nichts gebracht. Ganz im Gegenteil! Da ist die Emission gestiegen. Jetzt müssen wir mal gesamtdeutsch denken und uns auch mal die Branchen vornehmen bis hin zu alten Steinkohlekraftwerken, die jetzt auch wirklich die entsprechenden CO2-Emittenten sind und wo wir wirklich die Bilanz positiv verbessern können.
Büüsker: … sagt Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Wir haben über die Sondierungsgespräche und die ostdeutschen Interessen gesprochen. Vielen Dank, Herr Haseloff!
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