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James Frey: "Endgame"
Eine Feier der Gewalt

Wäre dieses Buch nur literarischer Müll, könnte man darüber schweigen. Doch beim Jugendroman "Endgame" des US-Autors James Frey handele es sich um lupenreine faschistische Ideologie, meint unser Rezensent – und mahnt die Verantwortung des Verlags an, der den Text breit crossmedial vermarktet.

Von Florian Felix Weyh |
    Claudia Maas richtet auf der Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen) am Stand der Verlagsgruppe Oetinger Exemplare von James Freys Buch "Endgame" aus.
    "Kommerzielles Trommelfeuer": "Endgame"-Bücher auf der Frankfurter Buchmesse (dpa / picture alliance / Arne Dedert)
    Da draußen in der Welt werden Menschen hingerichtet, indem man ihnen die Kehle durchschneidet. Man tut das allerdings nur, solange eine Videokamera läuft, damit der Akt der Unmenschlichkeit dann als Gewaltporno ins Internet gestellt werden kann. Das ist Teil des Propagandakonzepts der IS-Horden, des "Islamischen Staats", der sich jungen Menschen weltweit als nur eines präsentieren will: als cool. Wenn man weiß, wie in den Wirrungen der Adoleszenz Coolness erworben und gegenüber Gleichaltrigen praktiziert wird, dann weiß man auch: Das funktioniert. Früher sah man sich gemeinsam verbotene, aber immerhin noch fiktive Splattermovies an, und der Coolste ging zuletzt raus zum Kotzen. Heute dürfen es dann schon echte Morde sein.
    Verantwortung als Medienmacher lässt sich also exakt so definieren, dass man die Coolness-Bedürfnisse von Heranwachsenden, die ja nur für eine zeitweilige Entwicklungskrise stehen, prinzipiell ignoriert. Man spricht sie nicht an, um Geschäfte zu machen. Das ist eine ethische Grundhaltung, die in der westlichen Welt natürlich ständig von kommerziellen Interessen unterlaufen wird, die aber angesichts der unfassbaren IS-Barbarei da draußen keine Ausflüchte mehr erlaubt. Man könnte sagen, wir befinden uns in einem Endspiel – Endgame – um universelle humane Werte.
    "Baitsakhan grinst spöttisch. 'Blut für Blut', faucht er und wirft ihr die Fackel in den Schoß. Kala wimmert. Rauch hüllt sie ein, und ihre Kleider fangen Feuer, brennen. Baitsakhan wendet sich ab und geht davon. Sobald Chiyoko sicher ist, dass er nicht zurückkommt, springt sie lautlos von dem Steinblock und zieht ihr Wakizashi aus dem Gürtel. Kala sieht sie durch das Flackern der Flammen hindurch, und ein schmales Lächeln schleicht sich um ihre Mundwinkel. Chiyoko schneidet ihr mit einer raschen Bewegung der Klinge die Kehle durch."
    Ein Werk lupenreiner faschistischer Ideologie
    Als Vorrede zu einer Jugendbuchkritik mag das jetzt seltsam erscheinen, vielleicht sogar überzogen pathetisch, aber niemand publiziert Bücher im Vakuum. Im Gegenteil: Gerade die Jugendkultur ist besonders innig mit allen Phänomenen des Alltagslebens, noch mehr mit denen des medialen Alltags vernetzt. Kinder- und Jugendbuchverleger wissen das nur zu gut, weil sie immer häufiger mehr auf dieses Seitengeschehen als auf die originäre Substanz ihrer Bücher achten. Da wird jedem Trend besinnungslos nachgegangen, weil er Geld bringen könnte, und dann steht eines Tages so etwas im Programm jenes Verlages, dem wir in Deutschland Astrid Lindgren verdanken: "Endgame", erster Band "Die Auserwählten", des US-Autors James Frey, 600 Seiten dick und ein Werk lupenreiner faschistischer Ideologie. Für den amerikanischen Autor, der sich auch sonst in seinem Leben nicht mit Moralfragen aufgehalten hat – sein größter Coup war eine erlogene Autobiografie –, ist das vermutlich keine erkennbare Kategorie, aber ein deutscher Verlag muss das schon im Exposé bemerken: Wo zwölf Kinder von zwölf "Stämmen" gegeneinander in einem "Endspiel" antreten, damit zum Schluss ein einziger Stamm auf der Erde überlebt, da feiert das Herrenrasse-Konzept der Nazis fröhliche Wiederkehr. Ob nun wie im Buch von Außerirdischen initiiert oder von einem Diktator, spielt keine Rolle. Die Kinder sind reine Killer, werden ausgebildet, ihre Konkurrenten zu töten, und getötet wird am laufenden Band – ohne jedes innere Motiv, ohne jegliche Empfindung, quasi als Freizeitbeschäftigung.
    "Maccabee atmet tief ein und verlangsamt, wie er es gelernt hat, seine Herzfrequenz wieder. Wenn es sich als nötig erweist, jemanden zu töten, ist Gelassenheit die wichtigste Voraussetzung, denn dafür bedarf es konzentrierter, geschmeidiger Bewegungen. Zum ersten Mal hat er im Alter von 10 Jahren getötet, und seither hat er es noch weitere 44 Mal getan."
    Gewalt als Coolness-Konzept
    Wäre dieses Buch nur literarischer Müll, könnte man es auf die riesige Halde ähnlicher Genreliteratur sortieren, die es freilich in solch jämmerlicher Qualität selten in renommierte Verlage schafft. Die Ingredienzien sind von überall her zusammengeklaut. Das Setting von zwölf Spielern ist Fantasy-Standard, außerirdische Mächte als Ahnen der Weltbevölkerung kennt man seit Erich von Däniken, die Lösung mythischer Rätsel und die Jagd nach "Schlüsseln" lässt einen gähnen, weil die aufgeblasene Cliffhanger-Struktur ins spannungslose Nichts verpufft: Kapitel auf Kapitel folgt auf Kampf bloß Kampf, sonst nichts. Die zwölf Helden, männlich wie weiblich, lassen sich kaum auseinanderhalten, noch die flachste TV-Serienfigur ist ihnen an Komplexität und Tiefe überlegen. Man fragt sich, wie man als Schriftsteller überhaupt die Qual aushalten kann, so etwas über Hunderte von Seiten zu verfassen.
    Wie gesagt, wäre es nur dieser Müll, dann könnte man darüber einfach schweigen. Aber "Endgame" steht im eingangs erwähnten Kontext. Das Buch feiert die Gewalt, legt sie pubertierenden Jugendlichen als Coolness-Konzept nahe und sendet damit ein katastrophales Signal. Nur weil es so unfassbar schlecht geschrieben ist, kann man hoffen, dass seine identifikatorischen Angebote verpuffen. Aber leider ist das nicht alles. "Endgame" kommt als abgefeimtes "crossmediales" Spektakel daher. Es gibt nicht nur die auf drei Bände angelegte Buchausgabe, ein Lexikon, eine CD, eine App, ein geplantes Spiel, eine geplante Verfilmung, zahllose ergänzende eBooks, nein, dieses Trommelfeuer an Kommerzialität wird auch noch durch ein Gewinnspiel ergänzt. 500.000 Dollar in Gold können jugendliche Konsumenten gewinnen, vorausgesetzt, sie klinken sich in alle Medienkanäle ein, um das kryptografische Rätsel des "Endgames" zu lösen. Offenkundig traut James Frey nicht allein den Verlockungen der Gewalt, sicherheitshalber appelliert er auch noch an die Macht der Gier, damit er ganz sicher ans Taschengeld der Kids weltweit kommt.
    Trommelfeuer an Kommerzialität
    Was für ein Offenbarungseid für einen deutschen Verlag, der sich diesem widerlichen Projekt anschließt, weil er sich davon ebenfalls sprudelnde Einnahmen verspricht. Die mögliche Entschuldigung, man dürfe den Anschluss an andere mediale Sektoren nicht verlieren, auf denen es eben kruder zuginge als in der heilen Buchwelt, scheint kaum akzeptabel: Bücher machen den Unterschied, deswegen gibt es sie noch. Sie sind Teil eines humanistischen Projekts, und wenn sie das nicht mehr sein wollen, dann kann man auf sie auch verzichten. Gerade im Jugendbuch ist die Differenz zum restlichen Medienschrott entscheidend.
    Es ist allemal bequemer, Egoshooter zu spielen oder Youtube-Schnipsel zu begaffen als zu lesen. Aber wenn man liest, dann muss es dabei um mehr gehen, als nur für ein paar Stunden die Haltung eines simulierten Hirntods einzunehmen. Oetinger begibt sich hier in eine selbstgefährdende Sackgasse, und ich persönlich werde dem Verlag in meinem Leseverhalten eine Auszeit gönnen. Hier werden Verantwortliche ihrer Verantwortung als Kinder- und Jugendbuchverleger auf traurige Weise nicht gerecht. Wie soll ich ihnen in Zukunft trauen, dass sie das Wohl meiner Kinder im Auge haben und nicht bloß die Höhe ihres Kontostands? Gehen sie weiter in diese Richtung, wartet auf sie statt des finanziellen der moralische Bankrott.
    James Frey: "Endgame"
    Deutsch von Felix Darwin
    Oetinger Verlag, 592 Seiten, 19,99 Euro
    Hörbuch gelesen von Uve Teschner, 2 mp3-CD, ca. 800 Minuten