In der Flüchtlingsfrage erwarteten die Menschen klare Ausagen, sagte Herrmann. Deshalb müsse man in der Union zunächst "intern reden". Die CSU seit nicht bereit, auf eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme zu verzichten. Dafür sehe er auch Chancen bei der FDP, sagte Herrmann mit Blick auf eine mögliche Jamaika-Koalition. Mit den Grünen würde eine Einigung zu diesem Thema deutlich schwieriger.
Den von manchen befürchteten Rechtsruck werde es in der Union nicht geben, bekräftigte Herrmann. Man werde der AfD nicht entgegenkommen. Die CSU bleibe eine Partei der Mitte und der demokratischen Rechten.
Zwei Tage nach der Bundestagswahl kommt heute Nachmittag in Berlin die Unionsfraktion zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Fraktionschef Volker Kauder will sich zur Wiederwahl stellen. Die CSU-Landesgruppe soll nach dem Willen von Parteichef Horst Seehofer künftig vom bisherigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt geführt.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Joachim Herrmann. Er war Spitzenkandidat der CSU bei den Bundestagswahlen und ist bayerischer Innenminister. Guten Morgen, Herr Herrmann!
Joachim Herrmann: Grüß Gott! Guten Morgen.
Dobovisek: Dramatisch eingebrochen ist die CSU in Bayern. Sie standen auf Listenplatz eins, Herr Herrmann, und ziehen trotzdem nicht in den Bundestag ein. Wie sehr schmerzt Sie das?
Herrmann: Das Wahlergebnis - da geht es nicht um mich persönlich. Aber das Wahlergebnis ist insgesamt natürlich eine herbe Enttäuschung gewesen. Wir haben bis kurz vor der Wahl mit einem deutlich besseren Wahlergebnis gerechnet, zumal ja auch die Prognosen der demoskopischen Institute alle wesentlich besser ausgesehen haben. Wir werden jetzt weiter intensiv analysieren, was da passiert ist. Aber klar ist jedenfalls, wir haben mit 39 Prozent immer noch ein ganz beachtliches Ergebnis im Vergleich zu anderen Ländern.
Dobovisek: Und Schuld hat Angela Merkel.
Herrmann: Und wir haben mit diesen 39 Prozent jedenfalls einen klaren Auftrag bekommen, uns für das, wofür wir gekämpft haben im Wahlkampf, auch einzusetzen.
Dobovisek: Und Schuld hat Angela Merkel, frage ich noch mal?
Herrmann: Es hat insgesamt sicherlich in den letzten Jahren politische Entscheidungen gegeben, die zu Irritationen geführt haben, und man braucht sich ja nur ansehen, was auch zu Unmut bei den Wählerinnen und Wählern geführt hat. Wir müssen daraus jetzt die klaren Konsequenzen ziehen, nach vorne schauen, und das bedeutet natürlich, die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in ganz Deutschland will, dass die Flüchtlingszahlen begrenzt werden. Das ist ja keine bayerische Eigenheit, sondern das zeigen die Umfragen in ganz Deutschland. Wir müssen uns um die Sicherheit in unserem Land kümmern. Wir müssen auch solche Fragen, wie Sie sie gerade angesprochen haben, Begrenzung auch des Familiennachzugs bei den Flüchtlingen, uns darum kümmern. Da erwarten, denke ich, die Menschen auch klare Aussagen, klare Entscheidungen. Darüber wollen jetzt erst mal CSU und CDU intern reden.
"Fraktionsgemeinschaft mit CDU nicht infrage gestellt"
Dobovisek: Jetzt geht es da ganz plötzlich um grundsätzliche Fragen, was die Union ausmacht und ob es zwischen den Schwesterparteien überhaupt einen gemeinsamen programmatischen Nenner gibt. Kurz wurde gestern in München so laut über die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nachgedacht, dass es bei der Schwester durchaus als Drohung wahrgenommen werden konnte. War es auch so gemeint - als Drohung?
Herrmann: Nein. Es ist von niemandem diese Fraktionsgemeinschaft infrage gestellt worden. Wir haben sie ausdrücklich in der Parteivorstandssitzung einstimmig gebilligt, dass das weiter fortgeführt werden soll.
Dobovisek: Warum bedarf es dann überhaupt der Koalitionsgespräche, der Sondierungsgespräche mit der eigenen Schwester, wenn doch alles so harmonisch ist, wie Sie es uns ja auch im Wahlkampf verkauft haben?
Herrmann: Nun, es ist doch sinnvoll, dass wir, bevor wir in Gespräche beispielsweise mit den Grünen oder der FDP gehen, uns erst mal selber noch mal vergewissern, was sind die wesentlichen Punkte für eine Koalition. Denn man muss ganz klar sagen, dass Jamaika, jedenfalls vor allen Dingen eine Zusammenarbeit mit den Grünen, ja nun wirklich etwas ganz Neues jedenfalls für uns in Bayern ist. Und da muss man zunächst mal schon klare Pflöcke einschlagen, wo sind die wesentlichen Punkte der grundsätzlichen Zusammenarbeit von CDU und CSU, der gemeinsamen Überzeugung. Denn wir erleben ja diese Wahlergebnisse in ganz Deutschland. Wir haben hier in Bayern in der Tat auch enttäuschende Verluste, aber wenn man sieht, dass beispielsweise in Sachsen jetzt die AfD stärkste Partei ist, dann kann man doch nicht sagen, das ist alles ganz normal oder das geht jetzt so weiter wie bisher. Sondern wir müssen doch gemeinsam jetzt überlegen, wie stellen wir uns so auf, dass CDU und CSU wieder deutlich zunehmen können im Vertrauen der Wähler.
"Wir haben mit der AfD überhaupt nichts am Hut"
Dobovisek: Da spricht Horst Seehofer als CSU-Chef von einer offenen Flanke nach rechts. Er will sie schließen mit einem Mitte-Rechts-Kurs, wie er sagt. Klare Kante und keine falschen Kompromisse. Wieweit rechts ist denn Mitte-Rechts - so rechts wie die AfD?
Herrmann: Wir haben mit der AfD überhaupt nichts am Hut und ich habe gestern auch ausdrücklich noch einmal in der Vorstandssitzung und nach der Vorstandssitzung bekräftigt, die rechte Flanke zu schließen, wie Horst Seehofer gesagt hat, bedeutet keinen Rechtsruck der CSU, wie das dann schon wieder in den einen oder anderen Journalistenkreisen formuliert wurde.
Dobovisek: Na ja. Es wird durchaus so wahrgenommen, dass die CSU der AfD entgegenkommen will, ein Jahr vor der Landtagswahl.
Herrmann: Nein, wir kommen der AfD überhaupt nicht entgegen. Die AfD ist in ihrer ganzen Funktionärsebene eine völlig indiskutable Organisation. Wir nehmen das ernst, dass Wählerinnen und Wähler hier mit ihrer Stimmabgabe ein Stück Protest zum Ausdruck bringen wollten, dass sie unzufrieden waren mit einigem, was offensichtlich gelaufen ist. Das müssen wir ernst nehmen. Aber deswegen haben wir mit der AfD trotzdem überhaupt nichts am Hut. Und ich sage noch mal: Wir haben ein klares Wahlprogramm, ein gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU. Wir haben unsere bayerischen CSU-Positionen in unserem Bayernplan festgelegt, und das gilt. Und das ist der Maßstab auch jetzt für die weiteren Gespräche und für die weitere Orientierung. Da gibt es daran nichts zu ändern. Die CSU war immer eine Partei natürlich auch für konservative Wähler, für christlich überzeugte Wähler, für liberale Wähler. Wir sind eine Partei der Mitte und der demokratischen Rechten. Das werden wir weiter intensiv so leben. Aber für einen Rechtsruck der CSU gibt es überhaupt keinen Anlass.
"CSU ist nicht bereit, auf Obergrenze zu verzichten"
Dobovisek: Wenn im Bayernplan, so wie Sie ja sagen, auch die Obergrenze feststeht, ist das Bedingung für eine mögliche Koalition mit wem auch immer?
Herrmann: Das ist die klare Position der CSU. Das haben wir vor den Wahlen auch den Wählerinnen und Wählern versprochen. Es muss eine klare Begrenzung der Flüchtlingszahlen geben und das erwarten ja ganz offensichtlich auch die Mehrheit der Bevölkerung in ganz Deutschland. Und da müssen wir einen Weg dorthin finden. Das muss natürlich auch mit den Koalitionspartnern besprochen werden. Aber die CSU ist nicht bereit, darauf zu verzichten. Noch einmal: Nicht nur, weil das CSU-Position ist, sondern weil es ganz offenkundig auch der Wille der Mehrheit der Menschen in Deutschland ist.
Dobovisek: Aber selbst wenn Ihre Schwesterpartei, die CDU das am Ende akzeptieren sollte, glauben Sie, dass FDP und Grüne in einer potenziellen Jamaika-Koalition da mitgehen?
Herrmann: Ich habe Herrn Lindner beispielsweise vonseiten der FDP in den letzten Monaten ja auch im Wahlkampf immer wieder so erlebt, dass er selbst auch die Flüchtlingspolitik in den letzten Jahren als zu großzügig empfunden hat, dass er gesagt hat, da muss mehr Ordnung rein, da muss eine Begrenzung rein. Und ich sehe von daher da durchaus gute Chancen, sich mit der FDP zu einigen.
Dobovisek: Und die Grünen lehnen es klar ab, wie Katrin Göring-Eckardt sagt.
Herrmann: Wie das mit den Grünen wird, das vermag ich heute noch nicht zu sagen. Das wird auch aus meiner Sicht zweifellos eine schwierige Situation.
Dobovisek: Reicht bei Ihnen die Fantasie für ein Jamaika-Bündnis?
Herrmann: Grundsätzlich bin ich immer ein sehr zuversichtlicher optimistischer Mensch, und bei gutem Willen aller Beteiligten ist das möglich. Grundsätzlich stehen wir zur Regierungsverantwortung wieder bereit. Ich finde es schon eine merkwürdige Entwicklung, dass in der Wahlnacht nacheinander verschiedene Leute in Berlin vor allen Dingen erklärt haben, dass sie Opposition machen für leichter empfinden als regieren.
"Gegen alles zu sein, ist keine Kunst"
Dobovisek: Da reden Sie vor allen Dingen über die SPD.
Herrmann: Das ist auch keine Kunst, in der Tat nur gegen alles zu sein und an allem entsprechend, ich sage es mal etwas salopp: herumzumotzen. Das ist in der Tat leichter, als Regierungsverantwortung zu tragen. Das sind wir von extremen Parteien wie der AfD oder der Linkspartei auch nicht anders gewohnt. Dass die SPD sich jetzt auch dahin flüchtet, ist nach deren schlimmem Wahlergebnis einerseits emotional nachvollziehbar, ist aber natürlich auch nicht unbedingt sehr verantwortungsvoll. Insofern: Es muss ja Kräfte geben, die bereit sind, dieses Land weiter zu regieren, und dazu sind CDU und CSU natürlich willens. Das ist gar keine Frage. Und mit Abstand als politisch stärkste Kraft haben wir da sicherlich auch einen Auftrag dazu. Jetzt müssen wir schauen, wie wir uns mit den anderen zusammenraufen können.
Dobovisek: Und am Ende gibt es dann doch die Groko, die Große Koalition, weil für Jamaika dann doch die Fantasie fehlt?
Herrmann: Nein. Wir wären ja auch zu Gesprächen mit der SPD bereit. Wenn die SPD dabei bleibt, dass sie das überhaupt nicht will, dann muss man logischerweise über das Thema Jamaika reden. Grundsätzlich ist das nicht unvorstellbar, aber wir müssen uns bewusst sein, das ist nicht einfach.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.