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Jüdische Olympia-Hoffnung

Die Leichtathletin Gretel Bergmann war eine vielseitig begabte Sportlerin: In den 30er-Jahren war sie die große jüdische Hoffnung. Doch die Nazis nahmen ihr die Chance auf eine Medaille bei den Olympischen Spielen 1936. Am Ostersonntag ist Gretel Bergmann 95 Jahre alt geworden. Eine Reminiszenz an eine ungewöhnliche Frau.

Von Gerd Michalek |
    Gretel Bergmann war als Kind ein richtiger Wildfang: Die Tochter eines jüdischen Fabrikanten wuchs im württembergischen Laupheim auf und spielte meist mit Jungen. Sie liebte Fußball, Wasserball, Schlittschuh- und Skilaufen. Mit 16 erkannte man ihre Vielseitigkeit als Leichtathletin. Bald wurde sie überregional bekannt im Hochsprung, Sie war völlig in ihrem Element und wollte Sport studieren. Doch mit Hitlers Machtergreifung wurden alle Sportvereine unter der NS-Führung gleichgeschaltet - und Juden aus sämtlichen Lebensbereichen ausgeschlossen. An Bergmanns 19. Geburtstag - im April 1933 - flatterte ihr ein Brief ins Haus:

    "Darin stand zu lesen, dass ich im Verein nicht mehr erwünscht sei. Wenn ich Freunde auf der Straße trafen, taten sie so, als würden sie mich nicht kennen. Wir durften nicht mehr ins Restaurant, ins Kino, ins Freibad. Wir waren ausgestoßen, einfach nicht mehr Teil der Gesellschaft."

    Bergmann überlegte verzweifelt, wo sie Sport treiben und studieren könnte und entschied sich Ende 33, nach England zu gehen. Dort trainierte sie emsig und wurde am 30. Juni 1934 britische Hochsprung-Meisterin. Damit hatte sie es den Nazis gezeigt - eine Genugtuung. Doch ihre Hochstimmung verflog schnell, als ihr Vater, der sie bei ihrem Meistersprung besuchte, ihr eine bittere Nachricht überbrachte.

    "Sie wollen dich für die deutsche Olympia-Mannschaft aufstellen. Auf keinen Fall kehre ich zurück, mein Vater, dass sei meine Entscheidung. Aber falls ich nicht zurückkehren würde, könnte das die Familie in Schwierigkeiten bringen. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin zurückgefahren."

    Mit Bergmanns Eingliederung ins deutsche Olympiateam wollte Hitler der Welt zeigen, wie liberal er mit jüdischen Sportlern umging. In erster Linie sollte das Gerede um einen Olympia-Boykott der Amerikaner und Briten zum Verstummen kommen. Das war Gretel Bergmann sonnenklar, sie fühlte sich als Alibi-Jüdin benutzt! Sportlich sah ihre Lage aussichtslos aus: Sie sollte zwar ins Olympia-Team - doch wo trainieren, wenn sie in keinem Verein starten durfte! Stundenlange Fahrten musste sie auf sich nehmen, um in Stuttgart auf einem Sportplatz zu üben. Schließlich machte sie bei einem regionalen Sportfest mit:

    "Ich war wahnsinnig wütend. Ich habe mir vorgenommen, es diesen Irren zu zeigen Ich bin gesprungen wie der Teufel. Beim Hochsprung hat man drei Versuche, ich habe nicht einen vergeben."

    Dabei stellte sie mit 1,60 Meter den deutschen Rekord ein. In dieser Zeit freundete sie sich mit der gleichaltrigen Elfriede Kaun an. Die Kieler Hochspringerin - vor einem Jahr verstorben - schilderte ihre Begegnung mit Bergmann:

    "Da haben wir uns kennen gelernt. Sie war Jüdin, das interessierte mich nicht. Ich mochte sie leiden. Sie konnte elegant springen, ich fand sie toll, sah sehr gut aus, groß, schlank, ganz dunkel - bildhübsches Mädchen."

    Doch wenige Wochen nach Bergmanns Rekordsprung kam die bitterböse Überraschung. Am 16. Juli 1936 öffnete Bergmann den Formbrief des deutschen Reichsbundes für Leibesübungen:

    "Ich sei zu unbeständig und sei aufgrund meiner ungenügenden Leistungen nicht in das Olympiateam aufgenommen worden. Für meine Mühen der vergangenen zwei Jahre stehe mir auf Anfrage eine Stehplatzkarte zu. Heil Hitler!"

    Der Termin der Absage war von Hitlers Helfern wohl kalkuliert. Das amerikanische Olympiateam hatte sich gerade auf den Weg nach Berlin gemacht. Der drohende Boykott gegen Nazi-Deutschland war somit abgewendet! Bergmann war ausgebootet. Ihre Freundin Elfriede Kaun sprang dagegen in Berlin:

    "Gespannt verfolgt der Führer mit dem Fernglas den Hochsprung, Kaun läuft an..."

    Die Kielerin Elfriede Kaun gewann schließlich im Hochsprung mit 1,60 Meter die Olympische Bronze-Medaille. Zugleich verbreiteten die Nazis über den Verbleib von Gretel Bergmann ihre Lügen. Kaun:

    "Ich habe mich erkundigt, was ist mit Gretel Bergmann? Die ist verletzt, sobald sie wieder gesund ist, kommt sie, der Weg bleibt frei. Und damit haben wir gerechnet, und alle haben es geglaubt. Erst viel später ist uns das klar geworden."
    Tief gedemütigt verließ 1937 Gretel Bergmann Europa und zog in die USA, wo sie sich mit ihrem Mann Bruno unter dem Namen Margret Lambert nahe New York niederließ. Zweimal gewann sie die amerikanische Hochsprungmeisterschaft. Kaun:

    "Ich habe 1952 die ersten Briefe von Gretel Bergmann bekommen. Sie hat mir einen sehr bösen Brief geschrieben, sie könnte nicht verstehen, dass wir uns damit abgefunden haben, dass man gesagt hat, sie sei verletzt."

    Allmählich wich Bergmanns Wut gegen das verhasste Deutschland. Die beiden Sportlerinnen freundeten sich wieder an. Auch deutsche Sportfunktionäre bemühten sich um ein Zeichen der Wiedergutmachung. Der damalige NOK-Präsident Walter Tröger versuchte mehrfach, Gretel Bergmann nach Deutschland einzuladen - vergeblich. Schließlich kam sie auf seine Einladung als Ehrengast zu den Olympischen Spielen 1996 nach Atlanta. Drei Jahre später endlich - kehrte sie erstmals nach dem Krieg in das Land ihrer Eltern zurück und bekam in Frankfurt den Georg von Opel-Preis für "Unvergessene Meister" verliehen. Der Bürgermeister ihrer Heimatstadt Laupheim erklärte die städtische Sportanlage zum Gretel-Bergmann-Stadion. Bergmann:

    "Als wir gemeinsam das Schild Gretel-Bergmann-Stadion enthüllten, bekam ich eine Gänsehaut. 1933 hatten mich die Nazis von allen öffentlichen Orten verband und nun trug einer dieser öffentlichen Orte für immer meinen Namen. Oh my God - 'I can`t believe it, I can`t believe it.'"