Dirk Müller: Das ist schwierig mit den Superlativen. Viele Beobachter benutzen sie jetzt nach dem Gipfel von Singapur. Ein historisches Weltereignis, das ist fast das größte, was man heute Morgen lesen kann. Donald Trump und Kim Jong-un an einem Tisch, lächelnd, Hände schüttelnd. Nordkorea will auf seine Atomwaffen verzichten. Der Machthaber, der Diktator, der Staatschef, der Staatspräsident, der Führer, wie auch immer bezeichnet. Und Donald Trump dann mittendrin. Er hat es möglich gemacht. Er hat keinen Friedensnobelpreis auf seinem Schreibtisch stehen, anders als Barack Obama. Aber er hat jetzt offenbar die Chance, Frieden zu machen, Donald Trump. Nun dieser Erfolg, nachdem der so umstrittene amerikanische Präsident die Handelspolitik und den G7-Gipfel nahezu geschreddert hat. Jetzt sind ihm die Lorbeeren fast schon sicher. – Am Telefon ist nun der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin. Guten Morgen.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Trittin, gibt es zum Glück Donald Trump?
Trittin: Es gibt Donald Trump. Donald Trump hat einen festen Plan. Der lautet, er möchte bei den midterm elections im Herbst nicht die Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses komplett verlieren. Und diesem Plan unterwirft er seine Politik. Dazu trug bei, dass er sichtbar für die Wähler im Rust Belt G7 aufgekündigt hat. Das war das, was er angekündigt hat. Und dazu gehört auch, dass er versucht, es darzustellen, er habe etwas erreicht, was kein Präsident vor ihm erreicht hat, nämlich tatsächlich einen Schritt zu machen hin zu einer Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Diesem Gesetz der Innenpolitik folgt letztendlich auch Kim Jong Un, weil ich meine, ohne Zweifel ist er der ganz große Gewinner dieses Treffens, anerkannter Staatschef mit dem Mächtigsten der Welt, und vorher war er nichts anderes als ein sanktionierter Paria.
Müller: Jetzt sagen Sie das so gelassen und rational und ganz cool. Aber wenn Donald Trump jetzt Frieden schafft mit Nordkorea nach über 60 Jahren kein Frieden, zumindest kein Friedensvertrag, dann ist der Plan von ihm gar nicht so schlecht.
Trittin: Wenn es dazu kommt, würde sich, glaube ich, der ganze Rest der Welt darüber freuen, nachdem ja vorher viele Befürchtung war, dass man hier in eine nicht kalkulierbare Eskalation reinrutschen würde. Aber man muss natürlich auch sagen: Das was gestern stattgefunden hat, war der Beginn, nicht das Ende eines Prozesses. Um zu einer tatsächlichen Denuklearisierung, einem Abzug von Atomwaffen von der koreanischen Halbinsel zu kommen, muss es Sicherheitsgarantien geben, und wie schwierig das ist, kann man schon an dem einen Umstand sehen: Die USA haben ja bisher außer der verbalen Zusicherung, nichts zu unternehmen, einen Schritt folgen lassen, nämlich den Verzicht auf Manöver - etwas, was China schon im letzten Jahr angeregt hatte.
"Wir stehen da am Anfang"
Müller: Aber das ist ja schon mal was.
Trittin: Das ist ein wichtiger Schritt. Ich rede das überhaupt nicht klein. Ich wollte nur auf die Schwierigkeit am Ende hinweisen. Am Ende wird tatsächlich etwas stehen müssen, was ein ehemaliger Außenminister der USA, der eine gewisse Erfahrung im Verhandeln mit Autokratien hat, nämlich Henry Kissinger gesagt hat. Wenn man das materialisieren will, dann reden wir tatsächlich um eine tatsächliche Verringerung der Militärpräsenz in dieser Region. Das hat Südkorea durchaus erschreckt, auch der Verzicht auf die Manöver. Ich glaube auch nicht, dass das in Japan auf große Begeisterung stößt. Dass die Chinesen damit leben können, das glaube ich schon.
Müller: Wir lesen heute Morgen im Internet sowie auch in den Zeitungen viele kritische Kommentare. Sie haben das auch so gesagt, Jürgen Trittin, wenn ich das noch mal wiederholen darf. Es ist der Beginn eines Prozesses. Jeder Prozess braucht ja einen Beginn, wenn wir das richtig verstanden haben. Ist das ein bisschen wieder die Relativierung dieser großen Bilder, vielleicht der großartigen Bilder, die wir gestern gesehen haben, dass sich dort zwei Männer die Hand reichen, verbunden mit einer potenziellen Friedensperspektive? Darum geht es ja letztendlich in der Substanz.
Trittin: Noch mal: Ich bin der letzte, der in Abrede stellt, dass wir hier einen Prozess begonnen haben, der zu Hoffnungen berechtigt. Aber ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass wir da am Anfang sind. Manche haben ja bemüht dieses Bild Nixon mit Mao Zedong. Nur damals ging es um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Das ist eine vergleichsweise leichte Übung, wie nach 70 Jahren Konflikt auf der koreanischen Halbinsel tatsächlich dazu zu kommen, etwas zu schaffen, was tatsächliche Sicherheitsgarantien aus Sicht der Nordkoreaner sind. Die haben natürlich auch ihre Erfahrungen und schauen sich um in der Welt und da stellt man dann fest, dass in einem anderen Bereich, wo eine Sicherheitsgarantie von den USA abgegeben worden ist, diese mal eben aus den gleichen innenpolitischen Motiven kassiert wurde, wie jetzt der Ausgleich gesucht wurde, nämlich gegenüber dem Iran. Deswegen ist die Frage dieser Sicherheitsgarantien, die zur Denuklearisierung führen sollen, auch mit einer Demilitarisierung der Region einhergehen, die entscheidende. Daran wird sich zeigen, ob am Ende die Hoffnung, die wir alle haben, berechtigt ist.
Müller: Reden wir noch einmal über Donald Trump, jetzt aus der Perspektive von gestern. Wir haben in den vergangenen 14, 15 Monaten ja ganz häufig mit einer negativen Konnotation und einem negativen Kontext über Donald Trump geredet. Nach dem G7-Gipfel vor ein paar Tagen war das ja auch noch mal der Fall. Jetzt plötzlich diese Wende. Einige reden oder sprechen von Zeitenwende – kommt immer auf die Perspektive an. Sie haben die amerikanische Politik auch besonders detailliert verfolgt in den zurückliegenden Monaten, sind häufig dort zu Gast gewesen, haben mit vielen verschiedenen Gesprächspartnern auch gesprochen. Warum hat Donald Trump ausgerechnet das jetzt geschafft, näher an Pjöngjang heranzurücken und Kim Jong-un im Grunde zur Kooperation zu gewinnen?
"Er will den Beweis erbringen, dass er der bessere Dealmaker ist"
Trittin: Wenn man es oberflächlich betrachtet, müssten Justin Trudeau und Frau Merkel jetzt fürchterlich beleidigt sein, weil er ohne Zweifel diese traditionellen Verbündeten der USA im Grunde genommen schlechter behandelt hat als einen Diktator aus Nordkorea.
Müller: War das produktiv?
Trittin: Das hat aber zum Ergebnis erst mal gehabt, dass wir hier in einem politischen Prozess sind. Ich gehöre nicht zu denen, die Donald Trump für irrational und unberechenbar halten. Diese Wahrnehmung halte ich für sehr kurzsichtig. Donald Trump hat die Wahl gewonnen, weil es ihm gelungen ist, in den USA wichtige Teile der demokratischen Wählerschaft entweder zu sich rüberzuziehen oder zu neutralisieren, und das ist die Basis seiner politischen Macht. Und wenn er wiedergewählt werden will, und das will er, wird er dieses aufrecht erhalten müssen. Dieser Grundüberlegung gehorchen seine Schritte, mit denen er in der Tat für tatsächlich schwere Verwerfungen in der internationalen Politik sorgt. Das gilt für die Aufkündigung des Iran-Abkommens, das gilt für die von ihm angezettelten Handelskriege, das gilt für die Politik, die er zum Beispiel gegenüber dem Klima gemacht hat, alles gezielt auf die innenpolitische Auseinandersetzung. Und jetzt will er den Beweis erbringen, dass er der bessere Dealmaker ist als Barack Obama, und genau dieses innenpolitische Motiv hat dazu geführt, dass die Welt sich heute über diese Reaktion freuen kann, nämlich dass Hoffnung besteht, dass ein Konflikt, der lange die Welt beschäftigt hat, gelöst wird.
Müller: Ist das so? Wird er ein besserer dealmaker werden? Und ist es jetzt schon mehr, als Barack Obama in acht Jahren geschafft hat?
Trittin: Das wird man sehen, wie sich genau dieser Prozess, der gestern auf den Weg gebracht worden ist, entwickelt. Das wird davon abhängen, ob es beispielsweise materielle Sicherheitsgarantien für Nordkorea gibt, ob es möglich ist, unter diesen Bedingungen eine weitere ökonomische Annäherung zwischen Nord- und Südkorea hinzubekommen. All dieses sind Dinge, die jetzt verhandelt werden und die nicht mit einer großen Inszenierung in Singapur gelöst sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.