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"Jugend-TV"
Fragwürdige Kindernachrichten

Von Panajotis Gavrilis |
    "Hallo, meine liebe Zuhörer und Zuhörerinnen. Ich habe auch heute ein ganz krasses Thema für euch. Und zwar geht es um, ich nenne es mal: soziale Maßnahmen zur Bevölkerungsreduktion."
    Die Kindermoderatorin hält eine Karteikarte in ihren Händen, spricht in die Kamera. Der animierte Hintergrund leuchtet in einem künstlichen Grünton. Sie steht am rechten Bildrand, links daneben wird eine Infografik und der Titel des Themas eingeblendet.
    "Diese ganze Reduzierung setzen sie gerade schon um. Und zwar ganz ohne lautes Kriegsgetöse oder Umweltkatastrophen. Unglaublich, gell? Aber leider wahr."
    Es sind Verschwörungstheorien. Antisemitische und rechtslastige Meinungsmache, homophobe Inhalte, verbunden mit einem esoterisch-christlich fundamentalistischen Weltbild. In acht verschiedenen Sprachen. Präsentiert von Kindern.
    "Die israelische Bevölkerung spenden am wenigsten Organe auf der ganzen Welt. Gleichzeitig bekommen sie aber am meisten Organe zum Implantieren. Und jetzt müsst ihr gut hinhören: Sei es Rache, Entschädigung, so quasi eine Wiedergutmachung für das Leiden der Juden im Holocaust."
    Die Kinder nutzen jede Gelegenheit, um auf eine angebliche Zensur der sogenannten Mainstream-Medien hinzuweisen. Doch wie kommen minderjährige Kinder dazu, im Internet solche zum Teil absurden Theorien zu verbreiten? Wer steckt hinter "Jugend-TV"? Im Impressum der Internetseite steht eine Katharina Wolf, eine Adresse im sächsischen Wachau ist angegeben, eine E-Mailadresse, eine Faxnummer. Auf Medienanfragen wird scheinbar immer mit den gleichen Sätzen geantwortet. Auch gegenüber "Markt und Medien" heißt es in einer E-Mail von "Jugend-TV":
    "Derzeit läuft viel Böses durch verschiedene Medien. Da sind üble Dinge im Gange. Aus diesem Grund und auch weil auf unserem Sender schon alles gesagt ist, möchte ich kein Interview geben. Was wir (meine Freunde und ich) hier auf "Jugend.tv" machen, ist unser Hobby. Jeder, der wissen möchte, was "Jugend.tv" genau ist, kann sich die Seite und die Sendungen selbst anschauen. Mehr braucht es eigentlich nicht."
    Eine der häufig auftretenden Moderatorinnen ist die 17-jährige Anna-Sophia Sasek. Sie ist eines der elf Kinder vom selbst ernannten Prediger Ivo Sasek, der in der Schweiz die sektenähnliche "Organische Christus-Generation" gegründet hat. Fragwürdige Weltvorstellungen sind auch in einer Sendung der Tochter Thema:
    "Stellt euch vor: Es gibt wirklich eine Organisation namens NWO. Und das heißt Neue Weltordnung. Und wisst ihr was? Sie spüren die Bösen auf und sagen, wen sie mögen und wen nicht."
    Die sogenannte "Neue Weltordnung" geht vom antisemitischen Gedanken aus, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung. Solche Vorstellungen finden Platz in der "Anti-Zensur-Koalition" – kurz "AZK", die Ivo Sasek gegründet hat. Eine Plattform für Verschwörungstheoretiker, auf der auch die verurteilte Holocaustleugnerin und ehemalige Rechtsanwältin Sylvia Stolz ihre Thesen verbreiten durfte. Ivo Sasek inszeniert sich als Gegenpol zu den – seiner Ansicht nach – bösen Massenmedien, die es auf ihn und seine Organisationen abgesehen hätten. Auf einer Veranstaltung im vergangenen Jahr sagte er:
    "Vom Mainstream her eine große Anstrengung, Menschen davon abzuhalten, hinzuhören, was heute gesagt wird. Seht ihr, das ist Zensur!"
    Solche Sätze hört man auch von minderjährigen Moderatorinnen von "Jugend-TV":
    "Oftmals wird in den Mainstream-Medien immer nur aus einem Blickwinkel berichtet. Und die Zensur breitet sich immer weiter aus."
    Sätze, die auch von der KJM – der Kommission für Jugendmedienschutz -genau beobachtet werden. Sie prüft derzeit, inwieweit die Inhalte jugendgefährdend sein könnten, möchte sich zum Verfahren aber nicht weiter äußern. Besteht ein Verdacht von Jugendgefährdung, sammelt die KJM Informationen und wendet sich direkt an den Anbieter:
    "Die Kommission für Jugendmedienschutz trifft dann unter Würdigung einer Anhörung des Anbieters eine Entscheidung in der Sache. Die beschlossenen Maßnahmen werden dann durch die zuständige Landesmedienanstalt durchgesetzt."
    Sagt Stefanie Lefeldt, Referentin für Jugendmedienschutz bei den Landesmedienanstalten. "Jugend-TV" könnte eine Strafe zahlen oder einzelne Inhalte aus dem Internet müssten herausgenommen werden. Es könnte auch verboten werden - wie im Falle "FSN.TV". Die Onlinesendung des NPD-Mitglieds Patrick Schröder benötigt laut Bayerischer Landeszentrale für neue Medien eine Rundfunkzulassung.
    Sie ist unter anderem dann nötig, wenn mehr als 500 potenzielle Nutzer gleichzeitig erreicht werden, die Sendung redaktionell-journalistisch gestaltet ist und es einen festgelegten regelmäßigen Sendetermin gibt.
    Die Videos von "Jugend-TV" werden je nach Thema mehrere 1000 Mal aufgerufen. Eine verhältnismäßig kleine Klickzahl findet die Professorin für Medienpädagogik Friederike Siller. Dennoch sieht sie das Angebot von "Jugend-TV" kritisch:
    "Was wir wissen über jüngere Kinder, die online gehen, ist, dass vielen Kindern noch ein Genrewissen fehlt. Ein Kind, das alleine sich mit teilweise höchstproblematischen Inhalten, Thesen, Meinungen, Provokationen konfrontiert sieht, ist dann natürlich alleine gelassen unter Umständen und kann schlichtweg diese Informationen nicht einordnen und verfügt noch nicht über die Urteilskraft."
    Die Macher von "Jugend-TV" würden nicht instrumentalisiert, sagen sie in ihren aktuellen Videos. Sie würden alles in Eigenregie produzieren und schreiben. Die Verantwortlichen des Senders aber wissen, dass sie beobachtet werden. Denn ein Video mit homophobem Inhalt wurde bereits herausgenommen. Es trug den Titel: "Coming out – die manipulierte Identitätsfindung".
    Doch unter dem gleichen Titel findet sich unter "klagemauer.tv" ein Ähnliches Video. Auch dieses Online-Angebot gehört zu Ivo Sasek. Es ist die Erwachsenen-Version von "Jugend-TV" und ist laut eigenen Angaben der Jugendlichen ihr "TV-Vorbild". Dort wollen sie später einmal moderieren.