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Julius Posener: In Deutschland 1945 bis 1946.

Zu unserer nächsten Neuerscheinung: Julius Posener, das ist ein Name, mit dem bisher vor allem Architekturinteressierte etwas anfangen konnten - denn der 1996 Verstorbene gilt als Doyen der deutschen Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Posener studierte an der Technischen Universität Berlin, ehe er als Jude 1935 nach Palästina emigrierte. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück - in der Uniform eines britischen Offiziers der Political Intelligence-Abteilung. Ehe es Posener Ende 1946 erneut nach Palästina zog, hatte er gut anderthalb Jahre Gelegenheit, durch die britische Besatzungszone des in Trümmern liegenden Landes zu reisen. Seine Eindrücke hielt er in einem Bericht fest, der nun, nach mehr als einem halben Jahrhundert, im Siedler Verlag erstmals in Deutschland erschienen ist. Hören Sie eine Rezension von Christina Küfner.

Christina Küfner |
    Zu unserer nächsten Neuerscheinung: Julius Posener, das ist ein Name, mit dem bisher vor allem Architekturinteressierte etwas anfangen konnten - denn der 1996 Verstorbene gilt als Doyen der deutschen Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Posener studierte an der Technischen Universität Berlin, ehe er als Jude 1935 nach Palästina emigrierte. 1945 kehrte er nach Deutschland zurück - in der Uniform eines britischen Offiziers der Political Intelligence-Abteilung. Ehe es Posener Ende 1946 erneut nach Palästina zog, hatte er gut anderthalb Jahre Gelegenheit, durch die britische Besatzungszone des in Trümmern liegenden Landes zu reisen. Seine Eindrücke hielt er in einem Bericht fest, der nun, nach mehr als einem halben Jahrhundert, im Siedler Verlag erstmals in Deutschland erschienen ist. Hören Sie eine Rezension von Christina Küfner.

    8. Mai 1945, Stunde Null in Deutschland. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, befindet sich Julius Posener bereits seit knapp einem Monat im späteren Nordrhein-Westfalen. Als Soldat der britischen Armee hat er bei Xanten den Rhein überquert, dient dann in verschiedenen Städten im britischen Sektor. Seine Beobachtungen hält der damals 41-jährige schriftlich fest: "In Deutschland 1945 bis 1946" - die Skizze eines zerstörten und demoralisierten Landes.

    Im Zentrum steht jedoch weniger die Frage nach der Verantwortung der Deutschen als vielmehr die Suche nach einem politischen und administrativen Neuanfang. Gleich zu Beginn macht der Autor die Grenzen seiner Beschreibung klar: Er wolle lediglich von den Verhältnissen erzählen, die er während seines Aufenthalts vorgefunden habe, sei jedoch nicht angetreten, um über das Schicksal der Juden in Deutschland zu schreiben. Stattdessen versetzt Posener den Leser immer wieder in eine Kulisse, die die Folgen der nationalsozialistischen Politik von selbst kommentiert.

    Köln trägt die Spuren von vielen Bombenangriffen und vom Endkampf. Die Ruhr hat sich kaum mehr verteidigt, so dass die Schäden allein auf den Luftkrieg zurückzuführen sind. Gewisse Städte, wie Wuppertal, wirken absonderlich, da überall die Fassaden stehen; aber die Wohnungen dahinter sind rein ausgebrannt und ganze Straßenzüge von Fassaden sind leere Schalen.

    In Poseners Bericht wird eher nachgedacht als nachgefragt. Auch wenn der Autor nicht darum bemüht ist, die Verhältnisse wissenschaftlich-forschend zu analysieren - mittels genauer Beschreibung von Einzelheiten gelingt es ihm doch, ein anschauliches Psychogramm der besiegten Deutschen und ihrer Besatzer zu entwerfen - ein Zeitzeugenbericht eben. Aber doch nicht nur: auch eine verdeckte Anklage gegen die Alliierten verbirgt sich in seinem Bericht. Das ist bemerkenswert: Posener selbst war schließlich Soldat der britischen Streitkräfte. Obwohl er also zur "richtigen" Seite gehört, beschreibt er die Dinge aus einer distanzierten, bisweilen kritischen Sicht. Deutlich wird das zum Beispiel, wenn er von den Zweifeln der Soldaten an der antideutschen Propaganda, erzählt.

    "Auch hatte man uns beim Einzug in Deutschland ein Büchlein verteilt, `Your future occupation`, geschrieben von einem ehemaligen holländischen Untergrundkämpfer, der uns vor den Gefahren warnte, die uns von Seiten eines verhetzten, todesbereiten Volkes drohten. Darin hieß es gleich zu Anfang, wir würden keine guten Deutschen treffen. ... aber nun konnte Tommy beim besten oder beim schlechtesten Willen die Urtypen, die die Propaganda der Kriegsjahre ihm vorgestellt hatte, in seiner neuen Umgebung nicht erkennen. ... Er erwartete Menschenfresser und fand freundliche Greise und süße Mädels. Da man damals die Deutschen selbst nicht fragen konnte - strikte Non-Fraternization ... - so fragte man mich: ob die Deutschen im Rheinlande ganz verschieden seien von den Preußen, die wohl die wahren Menschenfresser und Hunnen wären?

    Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Umerziehung - die Alliierten hatten ein klares Ziel: Deutschland so umzugestalten, dass von seinem Boden keine Gefahr mehr ausgeht. Doch war die zum Teil restriktive Politik der Alliierten immer der richtige Weg?

    Der verordneten Verabscheuung der Deutschen kann sich Julius Posener nicht uneingeschränkt anschließen, und wie die fremden Mächte in den Besatzungszonen zu Werke gehen, hält er in vielfacher Hinsicht für falsch. Poseners Kommentare zu den Verhältnissen in Deutschland sind damit gänzlich anders, als es für einen Soldaten in der britischen Besatzungszone political correct gewesen wäre. Diese Inschutznahme der Deutschen gegen die Alliierten klingt oft befremdlich, ja sogar verdächtig. Etwa, wenn er der Frage nachgeht, wie viel die Deutschen von den Vernichtungslagern der Nazis wussten.

    Wer forscht auch einer so fürchterlichen Wahrheit nach, im Kriege besonders, wo man notwendig der Meinung zu sein hat, die eigenen Waffen seien rein? Der Deutsche darf mit gewissen Recht sagen, er habe nichts gewusst, und auch, er habe nichts machen können, soweit es sich um die Greuel in den Lagern handelt. Deshalb meine ich, es sei bedauerlich, dass man dem deutschen Volke in seiner Gesamtheit die Verbrechen zuschob, vor deren Berichten und Abbildungen im Frühjahr 1945 es mit dem gleichen erstaunten Grauen stand wie die meisten alliierten Soldaten.

    Provokant für heutige Leser ist besonders ein kurzer Anhang, in dem sich Posener mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland auseinandersetzt. Sein Bericht klingt hier stellenweise verharmlosend, fast euphemistisch. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dem Autor selbst das wahre Ausmaß der Nazi-Verbrechen nicht bekannt war, wenn er schreibt:

    Das einzige Beispiel öffentlicher Gewalttat, das wirklich jeder sehen musste, der berühmte neunte November, hat allgemeinen Widerwillen erregt; aber danach war der Vorhang über der Tragödie so lange geschlossen - einige blitzartige Durchblicke ausgenommen - dass man über die ´Endrechnung´, die dem deutschen Volke vorgelegt wurde, recht fassungslos war.

    Ein Blick auf die Biographie Julius Poseners zeigt, dass es sich hier kaum um verkappte Sympathien eines Soldaten für das untergegangene Nazi-Regime handeln kann. Selbst aus einer jüdischen Familie stammend, musste Posener nach einem kurzen Aufenthalt in Frankreich 1935 nach Palästina fliehen. Erst der Einsatz in der britischen Armee führte ihn in sein ehemaliges Heimatland zurück. Wie kommt also der Jude Posener dazu, im größten Schuldfall der deutschen Geschichte eine so differenzierte Haltung einzunehmen? Im Nachwort des Buches, das Poseners Sohn Alan abgefasst hat, erhält der Leser mehr Aufschluss. Über den Bericht des Vaters heißt es da:

    Es ist eine Rechtfertigungsschrift, ein Versuch, das Engagement eines deutschen Juden ... für Deutschland und die Deutschen zu erklären.

    Zu verstehen ist diese Aussage nur vor dem familiären Hintergrund des Autors. Als einer von drei Brüdern wächst Julius Posener in einer großbürgerlichen, jüdischen Familie im wilhelminischen Deutschland auf. Der bewunderte, ältere Bruder Ludwig wird 1920 zum glühenden Zionisten. Julius versucht dem Bruder zu folgen, doch kann er sich dem Zionismus nicht mit der gleichen Leidenschaft verschreiben und kritisiert dessen - wie er es nennt - dogmatischen Charakter. Erst in Palästina fängt er an, das Aufstehen seines Volkes zu unterstützen. Mit den dortigen Juden kann sich Posener dennoch nur schwerlich identifizieren.

    Sie sind schmalschultrig, haben dürre Beine und schaukelnden Gang, und ihre Augen blicken nach innen. Dann gibt es Männer mit buschigen Augenbrauen, schwarzen Bärten, schwarzem Hut und Mantel. Wir lernen, dass dies ein Geschlecht von Helden, Ekstatikern und Gelehrten ist, was da im Gestank und Gewirr der Altstadt vor uns herschwankt. Ich will es glauben. Aber meine erste Reaktion ist Ekel.

    Das zwiespältige Verhältnis zur eigenen Herkunft wird noch deutlicher an einem anderen Brief, in dem Julius Posener schreibt:

    Ach Paris! Ach Probleme der zeitgenössischen Architektur! Ach Kommunismus, Anarchismus! Ach, Musik, romanischer Kirchenbau in Südfrankreich, Naumburger Domfiguren und Wesen der deutschen Plastik! Ach Gras und Gärten in England! ... Was ist davon übrig geblieben? In welchen Müllkasten wird das alles versenkt mit einem Deckel aus jüdischen Dingen darüber?

    Es sei der Ekel eines assimilierten Berliner Juden, urteilt der Sohn des Autors. Julius Posener erscheint vor diesem Hintergrund als Heimatloser: er gehörte nicht mehr nach Deutschland und noch nicht nach Palästina. Vielleicht eine Erklärung für die Schwierigkeiten Poseners gegen die Deutschen eine anklagende Stellung zu beziehen. Verkehrt wäre es jedoch, Poseners Bedachtsein auf Differenzierung nur im Lichte einer möglichen Identitätssuche zu interpretieren. Sie resultiert auch aus den Fehlern, die er bei den Alliierten beobachtet. Mit ihnen geht Posener hart ins Gericht. Das Ziel im Zuge einer "re-education" der Deutschen, 12 Jahre aus der deutschen Geschichte "herauszuschneiden", hält er für höchst fragwürdig. Auch dafür, wie die Besatzer die Nahrungszuteilung organisieren, hat er nur Zynismus übrig.

    Der anglo-amerikanische Plan will im Laufe von drei Jahren die Rationen langsam auf 2300 Kalorien steigern. Das ist, wie ein deutsches KPD-Blatt es nennt, "geplanter Hunger" ... Ich will nicht von Haushaltsgütern, Schuhen, Kleidung, Kochgas sprechen, um nicht den Eindruck zu erwecken, als beabsichtigte ich, für deutsche Kinder Mitleid zu erregen. Man hört ja oft sagen, dass es diese Kinder sind, die automatisch in 20 Jahren so handeln werden wie ihre Väter... Wenn dem so ist, so ist die Kur, der man sie jetzt unterwirft, geeignet, diesen ihnen natürlichen Automatismus aufs Kräftigste zur Wirkung zu bringen.

    Genauso scharf wie die Alliierten werden aber auch die Deutschen unter die Lupe genommen. In lakonisch-distanziertem Ton erzählt Posener von übereifrig denunzierenden Bürgern, von wieder ins Amt gekommenen Nazis und einer sich im ganzen Land breit machenden Ehrpusseligkeit bei der Demonstration von Reue und Betroffenheit. Julius Poseners Bericht aus den Jahren 1945 und 1946 darf nicht als umfassende Darstellung zweier Jahre deutscher Geschichte angesehen werden. Die Mehrzahl der historisch wichtigen Ereignisse jener Zeit bleibt in dem nur rund 140 Seiten umfassenden Bericht unangesprochen. Nichtsdestotrotz vermag der Autor auch mit wenigen Schlaglichtern ein durchaus aussagekräftiges Bild damaliger deutscher Befindlichkeiten zu zeichnen. Julius Poseners Buch "In Deutschland 1945 bis 1946" ist ein Abriss persönlicher Eindrücke, eine Momentaufnahme. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Christina Küfner über: Julius Posener: In Deutschland 1945 bis 1946. Siedler Verlag Berlin, 206 Seiten, EUR 19,90.