Die Bühne ist im Wortsinn kafkaesk. Ein kahles, grau getünchtes Zimmer, zwei drei Stühle, ein Metallbett. Hoch oben ein Fenster, in dem immer wieder Menschen auftauchen, die auf Josef K. herabschauen. Ihre Kostüme sind angelehnt an das Prag der Kafkazeit, die Herren tragen Hemd und Frack, die Damen züchtige Blusen und lange dunkle Röcke. Die meisten haben maskenhaft weiß geschminkte Gesichter.
Es ist ein klassisches Kammerspiel, das der britische Regisseur Michael McCarthy entworfen hat. Er erzählt die Geschichte in der gängigen Lesart. Als ob sich Josef K. in einem Albtraum befindet. Allerdings hat dieser Albtraum nicht nur bedrohliche Dimensionen. So gibt es zum Beispiel eine exzessive Liebesszene zwischen Josef K. und dem Hausmädchen Leni, die das Publikum aber nicht sehen kann, weil zwei Gerichtsdiener züchtig ihre Fräcke davor halten. Michael McCarthy verstand es in seiner Regie nicht nur, die Personen gut zu führen, er inszenierte – was leider heute nicht mehr selbstverständlich ist – auch nach der Partitur.
Wer nur die frühen Werke von Philip Glass kennt, etwa seine erste Oper "Einstein on the beach" oder die eindrückliche Filmmusik zu "Koyaanisqatsi", der wurde gestern Abend in Magdeburg womöglich überrascht. Der exzessive Minimalismus der 1970er und 80er Jahre ist verschwunden. Die melodischen Phrasen, die sich völlig im tonalen Rahmen bewegen, sind zwar nach wie vor prägende Elemente der Musik, aber sie sind "in sich" länger und wechseln wesentlich häufiger, meist schon nach einer halben Minute. Und die Partien der Sänger sind noch abwechslungsreicher gestaltet.
"Man merkt vielleicht, dass ihm gerade dieses Thema so wichtig ist, dass er manchmal wegkommt von dieser minimalistischen Komposition und richtig hineingeht in die Personen."
Stellt auch Karen Stone, die Intendantin des Magdeburger Theaters fest.
"Und damit natürlich kehrt er teilweise ein bisschen mehr zur Melodie zurück. Da ist nicht mehr nur dieser Zwang, der durch die minimalistische Musik entsteht."
Philip Glass selbst hat sich übrigens, wie er immer wieder betont, nie als minimalistischen Komponisten gesehen, auch wenn das einige seiner dogmatischen Verehrer bis heute nicht wahrhaben wollen. Dennoch hat er natürlich einen absolut unverwechselbaren Stil kreiert. Diesen nun mit fünfzehn Musikern der Magdeburgischen Philharmonie umzusetzen war die Aufgabe des jungen Dirigenten Hermann Dukek, der am Theater Magdeburg als Solorepetitor tätig ist. Bei der Uraufführung der Oper in London im Oktober letzten Jahres hatte er die Gelegenheit, sich mit Philip Glass auszutauschen.
"Ich hab ihm einzelne Fragen gestellt zu Artikulation zum Beispiel. Und da hat er aber Vieles offen gelassen. Also er möchte auch immer, dass die Theaterschaffenden mit eingreifen in sein Werk und mit Entscheidungen treffen."
Hermann Dukek ist es in weiten Teilen gelungen, den Intentionen des Komponisten zu folgen. Über kleinere Stolperer konnte man, angesichts der immensen rhythmischen Schwierigkeiten, die die Partitur in sich birgt, hinweghören.
Das Sängerensemble agierte durchweg auf hohem Niveau. Der britische Bariton Johnny Herford gestaltete die Titelpartie mit seiner voluminösen, aber äußerst flexiblen Stimme sehr eindrücklich. Kongenial auch die Schweizer Sopranistin Julie Martin du Theil als Leni, die zum Ensemble des Theaters Magdeburg gehört. "Ich denke bei Kammeropern an Neutronenbomben", sagte Philip Glass einmal, "Klein, aber in ihnen steckt eine furchterregende Energie". Sein neuer Beitrag zu diesem Genre ist jedenfalls eine Entdeckung wert und – meint die Magdeburger Intendantin Karen Stone – sicher nicht sein letztes Werk.
"Das ist kein müder alter Mann. Nein! Es brennt in ihm, Vieles noch zu komponieren."