Klein: Herr Mützenich, noch mal zur Erinnerung: Was tun wir denn im Augenblick eigentlich? Was tut Deutschland, um Kobane vor dem Fall an den IS zu bewahren?
Mützenich: Nun, ich glaube, es ist vollkommen richtig, dass die Situation, die Herr Werz beschrieben hat, nicht nur unübersichtlich, sondern auch schwierig letztlich von hieraus zu lösen ist. Wir haben ja versucht, in irakisch Kurdistan sowohl durch Waffenlieferungen, aber insbesondere durch politische Initiativen zu helfen, und gerade im Syrien-Konflikt ist es unabdingbar - und das hat der Außenminister am Wochenende getan -, mit Saudi-Arabien, entscheidenden Playern zu versuchen, hier eine Situation zu schaffen, nämlich eine Koalition zu bilden, die auch politisch versucht, letztlich langfristig in Syrien Einfluss zu nehmen. Dafür brauchen wir aber auch andere und da muss Saudi-Arabien akzeptieren, auch der Iran ist mittlerweile ein regionaler Player in diesen Zusammenhängen.
Klein: Politische Einflussnahme, das ist im Augenblick aber Prinzip Hoffnung?
Mützenich: Es ist nicht Prinzip Hoffnung, sondern wir müssen daran arbeiten. Es geht nicht letztlich um Hoffnung, sondern es geht darum, dass wir insbesondere eine Situation versuchen zu bearbeiten, die langfristig nur politisch zu lösen ist, und da hat Deutschland Stärken einzubringen in seiner Diplomatie, auch in der Vertrauensbildung und auch Erwartungshaltung von Staaten, auf die wir teilweise auch Einfluss nehmen können. Dazu gehört auch die Türkei und deswegen sind auch hier Gespräche durchaus notwendig.
Klein: Wir haben lange diskutiert, Herr Mützenich, über die Frage der Bewaffnung der Kurden, auch Waffenlieferungen und Ausstattung durch Deutschland in die Region und an die Kurden. Was hat das eigentlich bisher gebracht?
Regierung der gemeinsamen nationalen Interessen
Mützenich: Nun, wir haben erste Lieferungen an die Kurden gegeben. Wir sehen offensichtlich gerade um die Situation in Erbil, die ja noch vor wenigen Wochen sehr kritisch gewesen war, dass es hier die Möglichkeit gegeben hat, für die Peschmerga, letztlich aber auch für Teile der irakischen Streitkräfte, ISIS auch zurückzudrängen. Wir haben auf der anderen Seite die Situation, dass scheinbar ISIS im Raum um Bagdad auch wieder Geländegewinne hat. Das ist nicht leicht, letztlich auch von hier zu beeinflussen. Aber ich glaube noch mal: Insbesondere die Möglichkeiten, dass es in Bagdad zu einer Regierung der gemeinsamen nationalen Interessen, aber auch von Schiiten, von Sunniten und auch von Kurden kommt, ich glaube, da haben wir eine Menge in den letzten Wochen versucht und, ich glaube, auch ein bisschen erreicht.
Klein: Ein bisschen erreicht. - Die Diskussion drehte sich in den vergangenen Tagen auch sehr stark um die Türkei. Über die Interessenskonflikte zwischen Ankara und Washington haben wir gerade schon gehört. Wie viel Kritik dürfen wir denn an der türkischen Regierung üben? Außenminister Steinmeier hatte ja am Wochenende deutlich gemacht, dass er Ratschläge an Ankara nicht für hilfreich hält.
Mützenich: Das ist auch richtig. Es geht letztlich nicht um Ratschläge, sondern die Türkei muss an den Worten gemessen werden, die sie auch im Zusammenhang mit Kobane gesagt hat. Hier hat der türkische Ministerpräsident zum Beispiel öffentlich erklärt, Kobane darf nicht fallen und die Türkei wird alles dafür tun, und ich glaube, an diesen Worten muss letztlich die türkische Politik gemessen werden. Aber es wäre auch wohlfeil, ihnen von hier aus Ratschläge zu geben. Im Hinblick auf den Friedensprozess mit der PKK, glaube ich, müssen wir die Unterstützung gegenüber der türkischen Regierung weiterhin forcieren, weil das ist der einzige Ausweg, glaube ich auch, in der Türkei letztlich Einfluss zu nehmen auf das gesamte Gebilde des Gewaltraums um Syrien und den Irak hinaus.
Klein: Aber Präsident Erdogan hat die PKK ja gleichgesetzt mit dem Islamischen Staat, oder gesagt, er könne keinen Unterschied erkennen. Kann das unwidersprochen bleiben?
"Vollkommen undifferenzierte Diskussion"
Mützenich: Nein, das ist ganz bitter, weil wir mittlerweile eine vollkommen undifferenzierte Diskussion haben. Wir haben ja auch zum Beispiel den israelischen Ministerpräsidenten erlebt, der die Hamas letztlich mit ISIS gleichgesetzt hat. Das hilft überhaupt nicht weiter in Konflikten, die eben langfristig politisch gelöst werden müssen. Auf der anderen Seite müssen wir auch akzeptieren und das ist hier auch die Realität: Es gibt immer noch Gruppen innerhalb der PKK, die den Friedensprozess, der von Öcalan mit angestoßen wurde, nicht akzeptieren. Es ist auch eine sehr schwierige Gratwanderung und das dürfen wir nicht verkennen.
Klein: Um dabei kurz zu bleiben: Wir hören heute Morgen, dass der Vorsitzende der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag, Volker Kauder, sich wohl dafür ausgesprochen hat, die PKK mehr zu unterstützen, die ja im Augenblick nicht nur in Deutschland, in Europa, auch in den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Gehört die PKK noch auf diese Liste?
Mützenich: Das müssen wir jetzt diskutieren. Ich glaube, die Neueinordnung der PKK ist dann notwendig, wenn es wirklich zu einem verlässlichen Friedensprozess, insbesondere dazu kommt, dass die PKK auch der Gewalt abschwört. Dafür braucht es aber auch Verhaltensänderungen, wie Sie ja auch zu Recht darauf hingewiesen haben, innerhalb der türkischen Regierung und der Streitkräfte. Das werden wir sehen und ich glaube, Volker Kauder hat vollkommen recht, indem er in diesem Interview darauf hingewiesen hat, das können wir nur zusammen mit der Türkei tun und letztlich auch diesen Prozess mit unterstützen.
Klein: Abschließend, Herr Mützenich, noch kurz zu einer Nachricht, die gestern herausgekommen ist, dass die Koalition als eine Konsequenz aus den Bündnisanforderungen und den internationalen Konflikten jetzt zum Beispiel mehr Kampfpanzer und mehr gepanzerte Fahrzeuge anschaffen will, als bisher geplant. Eine richtige Entscheidung, ein richtiger Plan aus Ihrer Sicht?
Mützenich: Das müssen wir uns genau anschauen. Das sind ja einzelne Stimmen. Ich glaube, wir müssen auch ein bisschen jetzt zur Gelassenheit zurückkommen in einem Moment, wo sich vielleicht auch wieder politische Chancen ergeben, mit Russland, aber auch in der Situation in der Ukraine, und deswegen bin ich sehr dankbar, dass die Bundeskanzlerin heute das Gespräch mit Präsident Putin sucht, und ich glaube, daraus werden wir auch versuchen müssen, letztlich langfristig auch hier eine europäische Sicherheitsordnung zu bauen, wo auch Russland gefragt ist, ob es Partner bleiben will oder nicht.
Klein: Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Mützenich: Vielen Dank, Frau Klein.
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