In der Prävenstionsarbeit würden die Moscheen schon viel tun, sagte Mazyek. Er verwies auf ein Präventionsprogramm, das den Jugendlichen vermitteln solle, dass ein richtig verstandener Islam die Demokratie nicht ablehne, sondern miteinbeziehe. Man hoffe, dass dies eine "immuniserende Wirkung" auf extremistische Strömungen habe. Wichtig sei, zu vermitteln, dass Muslime ihre Religion nicht verleugnen müssten, um in diesem Land anzukommen.
Mazyek betonte, sein Verband habe ein existenzielles Interesse, den Extremismus zu bekämpfen. Die Terrormiliz IS und ähnliche Orgnaisationen seien der Wegbereiter für Islamfeindlichkeit. Das werde auch von den Muslimen verstanden. Mazyek sprach sich dafür aus, nicht ausschließlich die Religion als Begründung für eine Radikalisierung heranzuziehen. Auch soziale und persönliche Gründen spielten eine Rolle. Extremisten kämen nicht aus der Mitte der muslimischen Gemeinde, sondern vom Rande. Statt ständig Schuldzuweisungen zu machen, müsse das Problem gesamtgesellschaftlich angegangen werden.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Wenn es um die innere Sicherheit und den radikalen Islam geht, rücken oft Zuwanderer in den Fokus, die schon lange hier leben, oftmals in zweiter oder dritter Generation. Mein Kollege Jasper Barenberg hat gestern an dieser Stelle in unserem Programm mit dem Psychologen Ahmad Mansour gesprochen. Dessen Forderung: In den Moscheen müsste über Themen wie Radikalisierung und Demokratieverständnis geredet werden. In der Realität sähe das aber anders aus.
Darüber sprechen möchte ich mit Aiman Mazyek. Er ist Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland, einem der wichtigsten islamischen Dachverbände hierzulande. Guten Morgen, Herr Mazyek.
Aiman Mazyek: Schönen guten Morgen.
Kaess: Herr Mazyek, die Moscheen als Wegbereiter für die Radikalisierung. Warum ist das so?
Mazyek: Weil es eben nicht so ist. Die Moscheen sind weiterhin Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Und ich glaube, wir kommen nicht weiter, wenn wir gerade in dieser aufgeheizten Situation, in der wir uns befinden, wo es ohnehin einen Misstrauensdiskurs gegenüber Muslimen gibt, Generalverdacht - wir sehen das ja an den Entwicklungen in diesem Land -, dass wir dann mit Schuldzuweisungen jetzt kommen. Das bringt eh nichts.
Die Moschee-Gemeinden - wir haben etwa über 2000 in Deutschland - leisten eine ganze Menge in dem Bereich und können noch mehr leisten, das haben wir immer als Zentralrat gesagt, wenn wir den Kampf gegen Extremismus beispielsweise als gesamtgesellschaftlichen Ansatz fahren. Und wir haben erst im letzten Jahr, nach so vielen Jahren des Hinweises, dass wir da auch Unterstützung brauchen, erstmalig auch mit dem Bund zusammen ein Programm entwickelt, "Safer Spaces". Worum geht es dabei? ..., dass wir uns präventiv gegen religiös begründeten Extremismus einsetzen. und wir wollen vor allen Dingen Jugendliche und Eltern dabei aktiv in die Arbeit einbinden.
Kaess: Herr Mazyek, wenn ich hier mal kurz dazwischen gehen darf?
Mazyek: Wieso unterbrechen Sie mich jetzt?
Kaess: Sie können es gleich ausführen, können Sie gerne machen. Ich habe bloß noch eine Nachfrage. Sie sagen, das ist nicht so, der Vorwurf von Ahmad Mansour. Der Verfassungsschutz schaut sich aber etwa 90 Moscheen-Gemeinden in Deutschland an. Das wird nicht ohne Grund sein, oder?
Mazyek: Ja! Aber der Verfassungsschutz hat ja eine Aufgabe, dass er die Menschen, auch Einzelpersonen beobachtet. Der Umgang damit bedeutet ja nicht, dass man eine ganze Moschee damit kriminalisiert oder unter Generalverdacht stellt.
Hoffnung auf "immunisierende Wirkung"
Kaess: Aber es findet offenbar in den Moscheen etwas statt, was der Verfassungsschutz für beobachtungswürdig hält. Was passiert da?
Mazyek: Deswegen setzen wir einen Ansatz an. Wir haben ja den Link zu den Moscheen. Es bringt wie gesagt nicht viel, wenn man in die Moscheen nicht reingeht und ständig darüber dann redet, sondern wir gehen ja rein und wir sagen, dass wir einen richtig verstandenen Islam, auch einen Islam, der vor allen Dingen mit den Werten verbunden ist, der Demokratie nicht ablehnt, sondern mit einbezieht, dass das eine immunisierende Wirkung hat auf extremistische Strömungen. Das ist der Ansatz, den wir fahren.
Und den Jugendlichen wird eine Perspektive eröffnet, die ganz praktisch ist, die sagt, Bildung, Arbeit, gesellschaftliche Selbstverwirklichung, das sind Teile, die hier in diese Gesellschaft gehören und genauso gut auch in deinen Glauben. Wir vermitteln ihnen nicht das Gefühl, dass sie ihre Religion verleugnen müssen, um hier in diesem Land anzukommen, um hier in diesem Land für das Gemeinwohl aktiv beizutragen. Das ist unser Programm, was wir fahren, und damit fahren wir weitaus erfolgreicher, als die ganzen Verbände einfach in einen Topf zu werfen und diesen Misstrauensdiskurs, den es ja ohnehin schon gibt, dass wir den weiter fahren.
Schauen Sie, wir haben ein existenzielles Interesse, das wird immer übersehen. Wir haben ein existenzielles Interesse, dass wir den Extremismus beseitigen und bekämpfen. IS und andere Ausführungen sind die größten Feinde des Islams. Sie sind der größte Wegbereiter für Islamfeindlichkeit. Also müssen wir doch in erster Linie daran ein Interesse haben, und genau so verstehen das die Muslime. Und ich verstehe nicht, dass wir immer wieder diese Dialektik aufmachen und auch die ganze Reformdiskussion dann hier daran ansetzen. Wir müssen uns entscheiden zwischen Integration, zwischen Reform und Prävention.
Vielfältige Gründe für Extremismus
Kaess: Das müssen wir gar nicht, Herr Mazyek. Aber eine Zwischenfrage möchte ich hier trotzdem noch mal stellen. Sie haben jetzt ausgeführt, was gegen die Radikalisierung gemacht wird, und haben das dargestellt. Aber offenbar - das höre ich zumindest auch raus bei Ihnen - gibt es dennoch auch Schwachstellen. Es gibt Schwachstellen, wo Radikalisierung eben möglich ist. Wo liegen die? Sie haben den Einblick. Wo liegen die?
Mazyek: Eine Schwachstelle ist die Zuschreibung ständig der Religiosität. Ich sage nicht, ich gehe nicht mit dem Ansatz und sage, das hat alles mit dem Islam und Religion nichts zu tun, sondern ich sage, ich werbe dafür, dass man in der Matrix der Begründbarkeiten, wie Menschen und vor allen Dingen männliche Jugendliche zum Extremismus verfallen, dass man nicht ständig nur eine Begründung heranzieht, nämlich die religiöse. Und das wird ständig gemacht. Sondern ich werbe dafür, dass man auch andere Begründungen nennt: soziale Gründe, Biografie und andere.
Wir sehen ja gerade bei den Terroristen und bei den Extremisten, dass sie eben nicht aus der Mitte der muslimischen Community kommen, dass sie eben nicht von den Moscheen kommen, sondern dass sie am Rande der Gesellschaft sind, dass sie meistens Biografiebrüche und anderes haben. Deswegen erwarte ich, dass man nicht ständig mit dieser Schuldzuweisungs-Diskussion anfängt, sondern gesamtgesellschaftlich herangeht. Wir sehen als Moschee-Gemeinden und Muslime sehr wohl unsere Verantwortung. Aber die ganze Zeit versuchen wir, hier ein Schwarze-Peter-Spiel zu spielen, und da kommen wir nicht weit.
Kaess: Nein, möchte ich gar nicht versuchen. Ich versuche einfach nur herauszufinden, wo die Schwachstellen sind. Denn Radikalisierung findet eben doch auch in Moscheen statt, auch wenn das vielleicht zum großen Teil nicht der Fall ist.
Mazyek: Nein, nein! - Nein, das ist nicht wahr!
Kaess: Okay. Herr Mazyek, ist nicht mein Argument!
Mazyek: Entschuldigung! Die Moscheen sind offene Gebäude, sind öffentliche Einrichtungen, und natürlich kommen auch Rekrutierer dahin und versuchen, Jugendliche abzuwerben, und zwar mit der perfiden Taktik zu sagen, hier wird ein lascher Islam gepredigt, komm zu uns und wir werden dir zeigen, wie es richtig ist. Und da müssen wir ansetzen. Deswegen haben wir ein Präventionsprogramm angesetzt, wo wir genau Jugendliche und Familien sensibilisieren für dieses Programm.
Kaess: Das haben wir verstanden, Herr Mazyek, und das haben Sie jetzt auch ausgeführt. Ich möchte noch einmal ein Gegenargument von Herrn Mansour einbringen, das er gestern hier bei uns im Deutschlandfunk gesagt hat und das sich ganz konkret an Sie gerichtet hat:
O-Ton Ahmad Mansour: "Ich erwarte von Aiman Mazyek, dass er erst mal die Verbände und die Vereine, die zu seinem Dachverband gehören, einfach mal sorgfältig anschaut und sieht, welche Islam-Verständnisse diese Vereine vermitteln, welche Inhalte werden den Jugendlichen vermittelt. Hat das mit Angstpädagogik zu tun, hat das mit Tabuisierung der Sexualität zu tun, führt das vielleicht zur Radikalisierung, wie können wir das besser machen. Was hat Aiman Mazyek in den letzten Jahren gemacht, außer zu sagen, das hat mit dem Islam nichts zu tun. Das ist ein Satz, der hat keinen einzigen Jugendlichen gerettet. Das ist kein Satz, der zu einer guten Debatte geführt hat, die eigentlich den Muslimen ihre eigene Verantwortung gibt."
Kaess: Der Vorwurf von Ahmad Mansour an Sie, Herr Mazyek. Kennen Sie Ihre Vereine genau?
Mazyek: Wir haben, glaube ich, ein Problem, dass wir drei Sachen vermischen: Integrationsarbeit, Präventionsarbeit und dann das Thema Reform und welcher Islam ist der Zeitgemäße. Wenn wir alles drei in einen Topf werfen, kommen wir nicht weiter. Genau das passiert gerade und wir müssen, glaube ich, genauer hinschauen. Wir werden nicht weiterkommen mit Schuldzuweisungen. Wir leisten eine ganze Menge, ohne übrigens Steuergelder. Wir leisten eine ganze Menge, ohne dass wir auf der gleichen Augenhöhe sind wie Kirchen. Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, das was eigentlich durch das Grundgesetz uns zugesprochen wird, ist bisher noch nicht umgesetzt worden.
Wenn wir sehen, dass Menschen sich radikalisieren, dann jedes Mal mit dem Finger auf die Muslime zu zeigen, da kommen wir nicht weiter. Wir müssen gucken, dass wir einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz fahren, der die Muslime mit einbezieht, den Jugendlichen abholt wo er ist. Ich kann ihn nicht mit Firlefanz abholen, sondern ich muss ihn, wenn er religiös ist, da abholen: in seiner Religiosität.
Religion nicht verleugnen
Kaess: Wie tun Sie das konkret?
Mazyek: Indem ich ihm deutlich mache, du musst nicht deine Religion verleugnen, um hier modern in dieser Gesellschaft anerkannt anzukommen. Es gibt keinen Widerspruch eines zeitgemäßen Islam und ein guter Bürger zu sein. Das passt zusammen! Das kommt zusammen und das ist der Ansatz und die meisten Moscheegemeinden machen das. Wir versuchen, das auch durch Veranstaltungen, Demonstrationen, Freitagsgebete und so weiter deutlich zu machen, immer wieder. Das ist die Ansprache, die wir geben, und das ist unsere originäre Aufgabe. Das erwartet man und das darf man und kann man auch von uns als Religionsgemeinschaft erwarten. Alles andere, die Diskussion um Reform und Nichtreform und so weiter, das ist eine intellektuelle, eine wissenschaftliche Diskussion. Der wollen wir uns gerne stellen. Aber wir sollen sie nicht immer wieder vermengen mit Prävention und mit Sicherheit, weil so werden wir die Jugendlichen nicht von der Straße holen.
Kaess: Es geht, Herr Mazyek, im Moment, auch wenn man sich die gesellschaftliche Diskussion anschaut, auch um gesellschaftliche Werte, und ich möchte noch einen Vorwurf von Herrn Mansour aufgreifen zum Schluss unseres Gespräches, nämlich den der Geschlechterapartheid. So hat er das genannt. Müssen sich Muslime in Deutschland daran gewöhnen, dass beim Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau, so wie es von vielen Muslimen gelebt wird, hier gesellschaftlich keine Akzeptanz besteht?
Mazyek: Das ist doch schon längst der Fall. Das ist doch der Status quo. Noch mal: Wenn eine Person nicht in die Moscheen reingeht, kann er gerne pauschale Urteile von sich geben, aber er muss doch schauen, wie die Situation ist. Das ist doch schon längst der Fall. Wir sind doch Teil dieser Gesellschaft. Unsere Kinder gehen in die Schule, studieren hier und anderes mehr. Diese Auseinandersetzung findet doch schon längst statt. Trotzdem können wir religiös unterschiedlicher Auffassung sein. Wie hier die Gesellschaft funktioniert und so weiter, ist doch den allermeisten Muslimen klar.
Wir gehen immer von der Prämisse aus, Islam ist Integrationshindernis, Islam ist ein Problem. Und ich will weg davon und ich sage, der Islam ist nicht ein Hindernis, sondern ist Teil der Lösung. Und diese Diskussion, die wir bisher haben, dieser Misstrauensdiskurs führt letztendlich dazu, dass man immer wieder zu den falschen Schlussfolgerungen kommt, dass man ihn als ein Problem sieht und nicht ihn als Teil der Lösung.
Kaess: ... sagt Aiman Mazyek. Er ist Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland. Danke für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Mazyek.
Mazyek: Bitte schön!
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