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Katalonien-Konflikt
"Puigdemonts Auslieferung muss politisch begleitet werden"

Mit der Festnahme von Carles Puigdemont sei Deutschland unfreiwillig zum Akteur im Katalonien-Konflikt geworden, sagte der Politologe Klaus Stolz im Dlf. Die deutsche Regierung sollte nun versuchen, auf die spanische einzuwirken. Es gehe nicht einfach darum, einen europäischen Haftbefehl umzusetzen.

Klaus Stolz im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Ein Transparent mit der Aufschrift "Free Puigdemont" hängt am Zaun der Justizvollzugsanstalt in Neumünster in Schleswig-Holstein, in die der ehemalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont nach seiner Festnahme gebracht wurde
    Der ehemalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont sitzt in der JVA Neumünster in Haft. Über seine Auslieferung nach Spanien muss noch entschieden werden. (picture alliance/ dpa/ Markus Scholz)
    Mario Dobovisek: In Katalonien selbst verhindert Madrid mit mehreren weiteren Festnahmen die Bildung der neuen Regionalregierung. Proteste am Wochenende mündeten in Gewalt mit Luftschüssen der Polizei und über 100 Verletzten. Deshalb wollen wir an dieser Stelle in die Region blicken, gemeinsam mit Klaus Stolz. Er ist Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz, beschäftigt sich unter anderem mit den Regionen in Europa und deren Unabhängigkeitsbestrebungen, ist immer wieder auch in Katalonien unterwegs, war erst vor wenigen Tagen wieder dort. Juristisch können Sie es sicher nicht beurteilen, aber politisch durchaus, gerade mit dem Blick auf die Auswirkungen auf Katalonien. Wäre es ein Fehler, Carles Puigdemont auszuliefern an Spanien?
    Klaus Stolz: Ja wie gesagt, das müssen tatsächlich Gerichte klären, und das ist auch richtig so. Von daher ist das schwer zu sagen, ob das falsch oder richtig war. Ich denke aber, wenn es zu einer Auslieferung kommt, dann muss die politisch begleitet werden. Es geht nicht nur einfach darum, hier etwas umzusetzen, den europäischen Haftbefehl umzusetzen, sondern dann müsste man das auch als Chance begreifen, jetzt in den Dialog einzutreten und zu versuchen, auf die spanische Regierung einzuwirken.
    "Puigdemont ist die Symbolfigur dieser Bewegung"
    Dobovisek: Welche direkten Folgen hätte denn eine solche Auslieferung auf die Katalanen selber?
    Stolz: Das ist natürlich eine wichtige Sache und gerade Puigdemont ist eine Symbolfigur für diese Bewegung, eine Figur, die die Bewegung auf lange Zeit sehr stark zusammengehalten hat. Das Ganze beginnt gerade zu zerbröckeln, allerdings nicht erst durch diese Auslieferung. Die Veränderungen in der katalanischen separatistischen Bewegung sind eigentlich schon seit dem 1. Oktober, seit dem Referendum zu spüren.
    Dobovisek: Ist Carles Puigdemont tatsächlich noch so bedeutend, wie er vor drei, vier Monaten war?
    Stolz: Seine Rolle hat sich verändert. Wie gesagt, er war eine Symbolfigur, die ganz wichtig war, diese Bewegung, die sehr heterogen ist, zu vereinen. Das wird er immer weniger. Er wird auch zu einer Figur, die auch Zwietracht sät, denn seine eigene Partei PDeCAT hat Probleme, sich im Moment mit dem Koalitionspartner Esquerra auseinanderzusetzen, die eine andere Strategie fahren wollen und die nicht so sehr auf Puigdemont als Aushängeschild setzen wollen.
    Zersplitterung der Separatisten
    Dobovisek: Sie haben die Zersplitterung der Separatisten in Katalonien ja schon angesprochen. Das haben die Wahlen noch einmal mehr gezeigt, wie sehr sie zersplittert sind. Am Wochenende haben wir wieder größere gemeinsame Proteste gesehen. Könnte die Inhaftierung Puigdemonts am Ende die Separatisten wieder vereinen?
    Stolz: Das glaube ich nicht ganz. Diese Zersplitterung dieser Bewegung, die kann man als Vor- und als Nachteil sehen. Das ist eine heterogene Bewegung. Das hat sie sehr lange auch sehr stark gemacht, wenig angreifbar gemacht. Im Moment wird diese Fragmentierung allerdings zu einem großen Problem. Was wir jetzt sehen als direkte Antwort auf die Festnahme, eventuell dann auch als Antwort auf eine mögliche Auslieferung, wird noch mal ein Aufflackern dieser gemeinsamen Aktionen sein. Hinter den Kulissen glaube ich aber, dass die Zersplitterung zu stark geworden ist mittlerweile, dass die ganze Situation eher den katalanischen Separatismus schwächt.
    Dobovisek: Weil am Ende das gemeinsame Ziel, eine Unabhängigkeit von Spanien, in derart weite Ferne gerückt ist und das Ziel einfach nicht mehr vorhanden ist?
    Stolz: Ja. Das ist natürlich was ganz Entscheidendes. Bis zum 1. Oktober, da war das Referendum das Ziel, und man hat gemeinsam versucht, dieses Referendum zu organisieren, und hat das mit großem Aufwand getan, erfolgreich getan. Man sah eine realistische Chance für die Unabhängigkeit. Die ist zerstört worden durch die Reaktion des spanischen Staates und jetzt hat man natürlich das Problem, dass diese Chance so nicht mehr da ist. Einige in der Bewegung Esquerra versuchen jetzt wieder realpolitische Optionen. Ich meine, man muss ja auch sehen, Katalonien wird im Moment weiterhin vom spanischen Staat fremdregiert sozusagen. Esquerra geht es jetzt darum, zunächst mal diese Suspension der Autonomie aufzuheben und wieder tatsächlich handlungsfähig zu werden, in die Regierung einzutreten, während andere Teile weiter auf Konfrontation, Konflikt und stark auf Symbolpolitik hinausgehen. Für diese Symbolpolitik ist Puigdemont unheimlich wichtig.
    "Partei Puigdemonts lebt im Moment von dem Konflikt"
    Dobovisek: Jetzt stehen ja längst nicht alle Katalanen hinter den Unabhängigkeitsbestrebungen. Das erschwert möglicherweise auch die Position der zersplitterten Separatisten. Aber wo sehen Sie die größte Konfliktlinie zwischen den Separatisten untereinander? Ist es tatsächlich dieses unrealistische Ziel gegen Realismus, den Sie gerade beschrieben haben?
    Stolz: Ja, die aktuelle Konfliktlinie ist tatsächlich, wie geht man jetzt mit der Repression des spanischen Staates um. Wie gesagt, PDeCAT, die Partei Puigdemonts, versucht das zu skandalisieren, versucht das in den europäischen Raum zu tragen, lebt im Moment von dem Konflikt, und Esquerra versucht tatsächlich im Moment hinter den Kulissen etwas zu arrangieren, dass es weitergeht, dass man die Bewegung konsolidiert, auf breitere Füße stellt, eventuell auch Richtung nichtnationalistische Linke sich ausbreitet, um dann irgendwann in drei, vier, fünf Jahren gestärkt daraus hervorzugehen und eventuell mehr als nur die Hälfte der Katalanen überzeugt zu haben, dass die Unabhängigkeit die richtige Sache ist.
    Dobovisek: Jetzt wird Deutschland plötzlich durch die Festnahme Puigdemonts unfreiwillig zum Akteur auch in diesem Konflikt. Das muss man vielleicht so sagen. Aber gestern - das haben wir gerade noch mal gehört - hat sich die Bundesregierung noch einmal klar hinter die Zentralregierung in Madrid gestellt. Spanien sei ein Rechtsstaat, ein demokratischer Rechtsstaat. Das war die Erklärung. Reicht das aus?
    Stolz: Das wird so bleiben. Das wird genauso bleiben. Die Regierung Merkel und Frau Merkel selbst haben keinerlei Interesse an einer Politisierung dieses Falles. Ihnen kommt es zu Pass, dass sie sich zurückziehen können, auf die Unabhängigkeit der Justiz hinweisen können. Ich sehe da überhaupt keine wirklich ernsthafte Chance, dass Deutschland sich hier tatsächlich positioniert, was aus meiner Sicht allerdings wichtig und richtig wäre. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Die Gerichte arbeiten zu lassen, ist eine Sache, aber das Ganze muss politisch begleitet werden. Dass man jetzt unfreiwillig zum Akteur geworden ist, könnte man tatsächlich mit als Chance begreifen, jetzt hier in den Dialog einzutreten und auf Spanien einzuwirken.
    Dobovisek: Jetzt sprechen wir heute Morgen wieder über einen ja doch relativ kleinen Konflikt, wenn wir das vergleichen mit den großen Krisen dieser Welt, Syrien, Russland und so weiter. Bewerten wir das auch ein Stück weit über? Sie haben ja die Vogelperspektive, weil Sie auch den Blick auf andere Konflikte haben rund um separatistische Bewegungen. Ist das eine Überbewertung, die da stattfindet?
    "Die Möglichkeiten sind ausgeschöpft"
    Stolz: Das würde ich so nicht sagen. Natürlich gibt es andere Krisen und noch viel dramatischere Krisen, als wir in Katalonien haben. Aber man muss sich schon einmal vorstellen, was da passiert. Seit zehn Jahren etwa gibt es eine Bewegung, die etwa die Hälfte der Menschen umfasst, und diese Leute wollen nicht mehr im spanischen Staat leben. Es gibt allerdings keine Möglichkeit, keine verfassungsgemäße Möglichkeit, das in irgendeiner Weise durchzusetzen. Alle Möglichkeiten sind nach und nach ausgeschöpft worden und der spanische Staat reagiert im Prinzip nur mit Polizei, Justiz und Kriminalisierung. Das wird sich jetzt auch kurzfristig nicht ändern. Es wird im Moment jetzt eine Demoralisierung dieser Bewegung geben. Die kann auch länger anhalten. Das Problem bleibt aber und es bleibt ein großes Problem.
    Dobovisek: Deutschland stellt sich hinter Madrid. Die EU hält sich weitestgehend raus, sagt, das ist ein innerspanischer Konflikt. Wer könnte da noch vermitteln?
    Stolz: Das sind schon die Akteure, die Sie gerade genannt haben.
    Dobovisek: Aber die wollen ja offensichtlich nicht.
    Stolz: Nein, die wollen nicht. So ist es.
    Dobovisek: Das heißt, wie geht es weiter voran?
    Stolz: Es geht nicht voran. Das ist genau das, was wir auch schon im Oktober erlebt haben. Es geht nicht voran. Die EU wird meines Erachtens nichts tun, Deutschland wird nichts tun. Die spanische Regierung wird das tun, was sie bisher getan hat, weil sie das aus ihrer Sicht erfolgreich getan hat. Es ist ja nichts passiert. Katalonien gehört weiterhin zu Spanien. Das Problem ist natürlich, dass Rajoy, die spanische Regierung ja genügend andere Probleme hat. Die Regierung Rajoy ist eine schwache Regierung und ihre Katalonien-Politik, so falsch sie aus meiner Sicht ist, ist etwas, was im Rest Spaniens relativ populär ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.