Stephanie Rohde: Mit Spannung war die katalanische Neuwahl erwartet worden, aber an den Spannungen zwischen den Katalanen und den Spaniern ändert das Ergebnis nichts. Die Unabhängigkeitsbefürworter haben die Mehrheit der Stimmen bekommen bei der Regionalwahl, aber auch die Gegner der Abspaltung haben stark abgeschnitten. Dieser Konflikt bleibt also weiterhin verfahren.
Der Exregierungschef der Katalanen Carles Puigdemont will außerhalb von Spanien mit dem spanischen Ministerpräsidenten Rajoy verhandeln, der aber lehnt das ab.
Was kann und was muss die spanische Regierung jetzt tun? Darüber möchte ich sprechen mit Wilhelm Hofmeister, er ist Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Spanien. Guten Morgen nach Madrid!
Wilhelm Hofmeister: Guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Herr Hofmeister, die Separatisten haben wieder nicht mehr als die gut 47 Prozent der Stimmen erhalten, wie schon bei der letzten Wahl. Rajoys Plan, mit Neuwahlen andere politische Verhältnisse zu schaffen, ist nicht aufgegangen. War das eine Wahl, bei der es keinen Gewinner gibt?
Hofmeister: Man kann sagen, dass es keinen Gewinner gibt. Es gibt zwei Sieger, zwei Wahlsieger. Das ist einerseits die Gruppe der Unabhängigkeitsbefürworter, die die Mehrheit im Parlament wieder gewonnen haben. Sie haben keine Mehrheit der Stimmen, aber aufgrund des Wahlrechts eine Mehrheit im Parlament. Und der zweite Sieger ist die liberale Partei Ciudadanos, die weit vorne liegt im Lager der Parteien, die für die Verfassung sind, die gegen die Unabhängigkeit sind.
Aber es gibt auch zwei große Verlierer nach meiner Ansicht. Das eine ist die Volkspartei des Ministerpräsidenten Rajoy, die jetzt weit abgeschlagen nur noch drei Abgeordnete im Regionalparlament hat und für die Strategie der Regierung mit abgestraft wurde, und der andere Verlierer ist meines Erachtens Katalonien selbst, weil der Konflikt bis auf weiteres fortbestehen bleibt.
Rohde: Die Verfechter der katalanischen Unabhängigkeit haben unter 50 Prozent der Stimmen bekommen. Wenn man die Nichtwähler jetzt noch miteinbezieht, dann gibt es wieder keine eindeutige Mehrheit für die Abspaltung. Kann Puigdemont nach diesem Ergebnis beanspruchen, die Unabhängigkeit weiter voranzutreiben?
Hofmeister: Das Ergebnis bestätigt einmal mehr die Gespaltenheit der katalanischen Gesellschaft. Die Region, die Autonomie ist seit vielen Jahren zunehmend gespalten in der Frage der Unabhängigkeit und diese Frage hat viele andere Dinge blockiert, politische Entwicklungen, wirtschaftliche Entwicklungen.
Und das Wahlergebnis reflektiert diese tiefe Spaltung. Die ist ja in den letzten Monaten zunächst vor dem sogenannten Plebiszit am 1. Oktober und jetzt auch vor den Wahlen wieder ganz deutlich geworden, das geht bis in die Familien hinein, Freundschaften brechen auseinander über diese Frage. Das ist ganz schlimm und das ist eine große Belastung für die Gesellschaft.
Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass man allein mit juristischen Mitteln und mit einer Verbreiterung des Dialogs und der Zusammenarbeit nicht weiterkommt. Die ersten Reaktionen von Ministerpräsident Rajoy gestern waren ja, dass er gesagt hat, er ist bereit zum Dialog. Er hat auch vorher immer gesagt, er ist bereit zum Dialog, aber ein Dialog wird nicht einseitig – und das wird auch in Zukunft nicht der Fall sein – über die Form der Unabhängigkeit stattfinden können. Das hat Puigdemont ja wieder angedeutet, er will sprechen über die Einführung einer katalanischen Republik. Darauf wird sich keine spanische Regierung einlassen. Aber dennoch müssen beide Seiten sehen, wie sie in irgendeiner Weise zu einem Dialog, zu einem Gespräch kommen.
Rohde: Der spanische Ministerpräsident – wir haben das vorhin auch erwähnt – hat angekündigt, dass er bereit ist für einen Dialog. Aber er will eben nicht außerhalb von Spanien sprechen. Kann man sagen, dass Rajoy inzwischen mehr Problem ist als Lösung?
Hofmeister: Nein, das glaube ich nicht. Das Problem ist, wie gesagt, diese Forcierung des Unabhängigkeitsgedankens, des Nationalismus in Katalonien, der von allen Beteiligten, nicht nur jetzt von der Volkspartei, sondern auch früher schon von den Sozialisten nicht gesehen wurde. Das hat sich über Jahre und letztendlich über drei, vier Jahrzehnte aufgestaut und das wird auch nicht in einem Gespräch oder in einem kurzen Prozess überwunden werden können.
Rajoy hat ja gesagt, er ist zum Dialog bereit mit einem legitimen Vertreter. Das heißt, man muss jetzt erst mal abwarten, das neue Parlament muss bis zum 23. Januar einberufen werden und danach wird das neue Regionalparlament – das muss man sehen, wie schnell das geht – einen neuen Präsidenten wählen. Das kann durchaus Herr Puigdemont sein, bei dem es sich …
Rohde: Und kann der dann auch aus dem Exil regieren? Würde das die spanische Regierung akzeptieren?
Hofmeister: Es ist schwierig. Er ist ja Verfolgter der spanischen Justiz und steht unter Anklage. Es gibt einen Haftbefehl gegen ihn. Wenn er zurückkommt, wird er verhaftet und dann hängt es ab von den Richtern, vom Obersten Gericht, ob Puigdemont an der eröffnenden Sitzung des Parlaments teilnehmen kann und an weiteren Sitzungen teilnehmen kann. Im Prinzip könnten die Richter ihm diese Möglichkeit eröffnen und er könnte dann auch zum Regionalpräsidenten gewählt werden. Aber er und weitere sieben ehemalige Mitglieder der Regierung sind entweder im Gefängnis oder auf der Flucht und es ist nicht sicher, in welcher Form sie an den Sitzungen des Regionalparlaments teilnehmen können.
Rohde: Lassen Sie uns auf den spanischen König schauen! Der spricht ja Katalanisch. Könnte der jemand sein, der in dieser Situation, der sehr verfahrenen Situation jetzt noch verhandeln kann?
Hofmeister: Ja, der König hat ja keine exekutive Funktion. Der wird mit Sicherheit nicht in Verhandlungen eintreten.
"Das müssen die Politiker machen"
Rohde: Aber vielleicht vermittelnd?
Hofmeister: Ja, ich glaube auch nicht, dass das eine Rolle ist, die er einnehmen wird. Er hat ja vor einigen Wochen eine Rede gehalten nach dem Referendum, nach der einseitigen Verkündung der Unabhängigkeit. Ich persönlich hätte mir vorstellen können, dass der König damals auch auf Katalanisch einige Worte an seine Bürger gerichtet hätte. Das hat er unterlassen und hat sich sehr strikt auf juristische Aspekte berufen.
Aber ich glaube, gerade die Wahlen zeigen jetzt, dass diese juristische Form der Bekämpfung des Nationalismus und des Separatismus nicht genügt, sondern dass man andere politische Wege gehen muss. Und das müssen die Politiker machen. Das sind die Parteien und Politiker in Madrid und das sind auch die Politiker in Katalonien.
Rohde: Das heißt aber, von einer Verfassungsreform, wie das zum Beispiel ja der Europaabgeordnete Elmar Brok fordert, halten Sie jetzt nicht so viel, höre ich da raus?
Hofmeister: Verfassungsreform ist ein schönes Thema, aber das ist sehr schwierig in Spanien. Das ist vom Verfahren sehr schwierig, man braucht große Mehrheiten, komplizierte Verfahren im Parlament und dann auch noch ein Plebiszit. Und das kann sehr leicht nach hinten losgehen und man braucht normalerweise bei Verfassungsreformen einen Konsens der Gesellschaft. Den gibt es Spanien leider nicht, weil die Nationalisten und auch die Populisten von Podemos sich bisher weigern, über eine Verfassungsreform mitzusprechen. Es gibt unter Verfassungsrechtlern keine einhellige Meinung, was alles reformiert werden müsste. Aber es gibt ein Thema, wo man vielleicht doch vorankommt, das ist die Einbeziehung der Regionen in den politischen Entscheidungsprozess der Nation. Das gibt es bisher nicht, in Deutschland kennen wir das, dass die Bundesländer über den Bundesrat an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind, und das ist in Spanien im Grunde genommen gar nicht der Fall, die Zweite Kammer funktioniert nicht als Territorialvertretung. Das könnte ein Ansatzpunkt sein für Reformen, aber es wird einige Zeit dauern und das wird das Problem, die soziale Problematik und die Gespaltenheit der katalanischen Gesellschaft nicht lösen.
Rohde: Wenn Politiker, wie Sie vorhin gesagt haben, miteinander reden sollen, dann müssen sie einander ja auch vertrauen. Das klingt aber doch ein bisschen utopisch in dieser Krise, oder?
Hofmeister: Ja gut, das ist normales Geschäft der Politik. Man bekämpft sich in den Wahlkämpfen und nachher muss man sich wieder zusammensetzen. In Spanien ist leider …
"In Spanien sind die Konflikte viel schärfer"
Rohde: Aber das hier ist ja schon eine andere Situation, also wo Leute in Untersuchungshaft gesteckt werden.
Hofmeister: Ja, in Spanien sind die Konflikte viel schärfer, werden sie schärfer ausgetragen als bei uns, und die Dialogbereitschaft, auch die politische Kultur des Dialogs ist in Spanien – mit allem Respekt – weit weniger entwickelt als bei uns. Aber irgendwann muss man mal anfangen. Und ich denke, vielleicht ist das jetzt ein Punkt, wo beide Seiten sehen, dass es mit dieser permanenten Konfrontation nicht weitergeht und dass man sich doch in irgendeiner Weise an einen Tisch setzen und anfangen muss, miteinander zu reden.
Ein Thema übrigens sind die Finanzen. Da gibt es einige Hinweise, dass Rajoy jetzt demnächst anfangen wird, ein neues Finanzstatut zu diskutieren. Und das könnte ein erster Punkt sein, um auch mit einer neuen katalanischen Regierung ins Gespräch zu kommen.
Rohde: Würde es da dann auch um die Verteilung von Steuermitteln gehen? Denn da hatte er sich ja geweigert.
Hofmeister: Ja, natürlich.
"Die Katalanen sind ja gar nicht so benachteiligt, wie sie immer behaupten"
Rohde: Das wäre das, okay.
Hofmeister: Ja, natürlich, da geht es um die Verteilung von Steuermitteln. Das muss man dann sehen, das ist natürlich immer umstritten, in allen föderalen Staaten, wenn es ums Geld geht.
Die Katalanen sind ja gar nicht so benachteiligt, wie sie immer behaupten, denen geht es ja relativ gut im Kontext Spaniens. Und natürlich müssen die auch einen Solidaritätsbeitrag leisten für den Rest des Landes. Aber da gibt es natürlich Spielräume und die Zentralregierung muss den Katalanen sicherlich auch entgegenkommen in einigen Fragen.
Rohde: Wenn das aber nicht funktioniert, halten Sie es für ausgeschlossen, dass die Katalanen im kommenden Jahr tatsächlich unabhängig werden?
Hofmeister: Das ist auszuschließen, das ist … Das verbietet die spanische Verfassung, dafür gibt es gar keine Möglichkeit.
Rohde: Das sagt Wilhelm Hofmeister, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Spanien. Vielen Dank für das Gespräch!
Hofmeister: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.