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Katalonienkrise
"Unangenehme Auswirkungen nationalistischen Denkens"

Carles Puigdemont müsse gezwungen werden, über die Konsequenzen der Abspaltung Kataloniens nachzudenken, sagte Joachim Poß (SPD) im Dlf. Allerdings verschweige Kataloniens Regierungschef bisher die möglichen Folgen gegenüber der Bevölkerung. Die Spaltung sei in Katalonien sehr systematisch betrieben worden, ähnlich der Brexit-Kampagne.

Joachim Poß im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der spanische Ministerpräsident Rajoy und der Regierungschef Kataloniens, Puigdemont, hier beim gemeinsamen Besuch einer Automobilmesse in Barcelona
    Repräsentant konservativer Beton-Politik gegen katalanischen Nationalismus - oder: Wie man aneinander vorbeiredet. Der spanische Ministerpräsident Rajoy und der Regierungschef Kataloniens, Puigdemont. (AFP/Pau Barrena)
    Jasper Barenberg: Die Zeit ist abgelaufen, das Ultimatum ist verstrichen; ein klares Signal aber bleibt Kataloniens Regierungschef Puigdemont ein weiteres Mal schuldig. Auf einen unabhängigen Staat will er nach wie vor nicht verzichten und so bleibt auch die Regierung in Madrid bei ihrer Haltung: Sie will Katalonien zurück auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zwingen.
    Mitgehört hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß. Er hat sich als Mitglied der deutsch-spanischen Parlamentariergruppe in den letzten Tagen immer wieder mit dem Konflikt um Katalonien beschäftigt. Jetzt ist er am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Poß.
    Joachim Poß: Schönen guten Tag.
    "Nicht gerade demokratisch im Umgang mit anderen Meinungen"
    Barenberg: Herr Poß, war es klug von Kataloniens Regierungschef, weiter eine klare Aussage zu vermeiden?
    Poß: Nein. Ich glaube, dass Puigdemont bei der ersten Entscheidung, dieser Frage eigentlich auszuweichen, vor einigen Tagen sich auch in eine Falle begeben hat. Er hat, glaube ich, auch kalte Füße bekommen wegen der sich abzeichnenden wirtschaftlichen, sozialen und auch finanziellen Probleme. Da sind ja viele Unternehmen auf der Flucht aus Katalonien hinaus. Deswegen spielt er jetzt auf Zeit und versucht, den schwarzen Peter immer wieder an Rajoy zurückzugeben. Dabei sind beide Seiten sicherlich schuld an dieser Situation. Wir haben es auf der einen Seite mit konservativen und linksradikalen Nationalisten in Katalonien zu tun – übrigens nicht entgegen mancher Annahme proeuropäisch. Die wollen neue Grenzzäune errichten und auch sie sind nicht gerade demokratisch im Umgang mit anderen Meinungen in Katalonien selbst, oder auch zum Beispiel mit der spanischen Sprache. Auf der anderen Seite ist der Repräsentant konservativer Beton-Politik Rajoy, der wiederum kastilischen und anderen Nationalismus bedient, gepaart mit Vetternwirtschaft und Korruption, die allerdings in Katalonien auch gut bekannt ist, zum Beispiel bei Pujol, dem langjährigen Regierungschef. Das heißt, da hat sich etwas verkeilt, und was jetzt notwendig wäre im Sinne eines Dialogs, ist in der Tat über das, was denn dann vorgebracht wird zu Finanzausgleich und anderen Fragen, in einen konstruktiven Dialog einzutreten, den in der Tat Rajoy in den letzten Jahren auch mit hintertrieben hat. Das müsste geschehen.
    Puigdemont muss gezwungen werden, über die Konsequenzen des Schrittes nachzudenken, den er ins Auge fasst, jetzt auch vielleicht durch das Regionalparlament beschließen zu lassen. Was bedeutet das denn für die Katalanen, wenn es zu einer Abspaltung käme? Sie würden ja in Europa nicht anerkannt. Das ist ja Quatsch und das verschweigt Puigdemont bisher der Bevölkerung. Und die Spaltung in Katalonien selbst ist ja sehr tief und wie gesagt systematisch teilweise betrieben worden. Es handelt sich um die unangenehmen Auswirkungen nationalistischen Denkens, vergleichbar teilweise der Brexit-Kampagne, wo Fakten keine Rolle spielten und man mit Lügen sich durch den Tag rettete. Diese Situation muss beendet werden. Es müsste eine inhaltliche Diskussion geben über das, was denn noch fehlt, um eine autonome Region nach Vorstellungen der Katalanen auf der einen Seite zu haben und auf der anderen Seite über mögliche Konsequenzen von Abspaltungen.
    "Ausflucht in den rein nationalistischen Gestus erschweren"
    Barenberg: Herr Poß, bleibt denn Madrid bei dieser Ausgangslage und bei einer, sagen wir mal, geteilten Verantwortung für die Sackgasse und für die Falle, in der jetzt alle Seiten stecken, bleibt Madrid in dieser Situation ganz konkret jetzt heute etwas anderes übrig, als dieses scharfe Schwert des Paragrafen 155 zu ziehen und vorzubereiten eine Entmachtung der Regionalregierung?
    Poß: Nein. Wenn man das von der rein rechtlichen, verfassungsrechtlichen Seite sieht,…
    Barenberg: Aber auch politisch!
    Poß: Auch politisch, das ist richtig, wenn auch gestützt durch die Mehrheit des Parlaments in Madrid, einen solchen Weg zu beschreiten. Der hat ja verschiedene Etappen. Das ist durchaus richtig. Man kann das nicht akzeptieren, das was da von Puigdemont und seinen Unterstützern kommt. Aber ich habe vorhin ja noch mal abgehoben darauf, was man flankierender Weise machen müsste, und das sind dann die inhaltlich-politischen Punkte, um auch Puigdemont diese einfache Ausflucht in den rein nationalistischen Gestus zu erschweren.
    "Das vergiftet in Barcelona und Umgebung wirklich alles"
    Barenberg: Aber hat Mariano Rajoy nicht genau das angeboten, immer wieder in den letzten Tagen und Wochen, dass er gesagt hat, reden können wir, aber reden können wir nur im Parlament in Madrid oder das als Plattform nutzen und nur im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit, und das setzt zwingend voraus, dass Barcelona erst mal Abstand nimmt von dieser Unabhängigkeitserklärung?
    Poß: Ja, diese Position teile ich im Übrigen auch. Das ist gar keine Frage. Aber Sie haben auf einige Äußerungen von Rajoy in den letzten Tagen verwiesen, und das ist ja das Ende einer Geschichte, die schon lange ... der Berichterstatter hat ja vorhin darauf hingewiesen, wie lange diese Dinge sich schon hinziehen. Und das Agieren von Rajoy in den letzten Jahren insgesamt war nicht auf Dialogbereitschaft ausgerichtet in dem Sinne. Das hätte er ja steuern können und sagen können, lasst uns doch über diese und jene Punkte sprechen. Denn die Argumente sind gar nicht so gut, auch was die Frage des Finanzausgleichs angeht, die von der katalanischen Seite kommen. Ich habe mich damit beschäftigt in den letzten Jahren. Da gibt es viele Fake News über das Übermaß an Solidarität, das sie gegenüber Spanien aufbringen müssen. Aber darüber hätte man diese Diskussion oder dahin, in diese Richtung bringen müssen, um dieses nationalistische Gift rauszuziehen, und dieses Gift vergiftet auch in Barcelona und Umgebung wirklich alles. Das habe ich selbst vor Ort teilweise beobachten können.
    "In diese inhaltliche Diskussion stärker eintreten"
    Barenberg: Jetzt sind alle Seiten weiter auf Kollisionskurs und niemand hat in den letzten Wochen und Monaten irgendwie einen Ausweg entdecken können, vonseiten der Beteiligten im engeren Sinne. Jetzt reden wir die ganze Zeit auch darüber. Wer könnte denn eine solche Vermittlung schaffen von außen? Denn von innen scheint es nicht zu gehen. Wer könnte diese Aufgabe übernehmen? Die EU kann es offenkundig nicht, hat sie immer wieder gesagt.
    Poß: Nein. Das ist schlichtweg natürlich eine spanische Angelegenheit. Die hat durchaus europäische Dimension, denn an einem Flickenteppich kann Europa überhaupt nicht gelegen sein, wie gesagt, weil das auch alles andere als proeuropäisch ist. Das wird ja manchmal vermutet. Wir sind die guten Europäer und so weiter, wird da behauptet. Das halte ich alles für Quatsch. Aber in der Debatte auch im spanischen Parlament haben ja zum Beispiel die Sozialisten auch darauf gedrungen, sage ich mal, in diese inhaltliche Diskussion stärker einzutreten, wie ich es vorhin angedeutet habe. Dass jetzt die rechtlichen Möglichkeiten ausgenutzt werden müssen, nachdem die Dinge sich so zugespitzt haben, ist das eine, aber das in einem politischen Prozess, oder noch deutlicher, als es Rajoy gemacht hat, ausdrücklich die Punkte zu benennen, über die man reden kann, ist das andere.
    Barenberg: … sagt der SPD-Politiker Joachim Poß. Danke für die Zeit und das Gespräch heute Mittag hier im Deutschlandfunk.
    Poß: Ja, bitte schön!
    Barenberg: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.