Markus Söder sitzt - die Beine übereinander geschlagen - auf einem bayernblauen Sofa mit vergoldeten Füßen, im Hintergrund die Bayern-Flagge. Nur der regengraue Himmel trübt die weiß-blaue Idylle. Der frisch gewählte Ministerpräsident des Freistaates sendet eine Video-Botschaft an sein Volk und plaudert in betont lässiger Haltung über das Osterfest:
"Morgen ist Ostern. Es ist ein besonderes Fest. Nicht nur, weil viele Familien Eier verstecken, die Kinder schon am Morgen gespannt sind, was hat der Osterhase möglicherweise gebracht. Also, Ostern ist ein Familienfest. Es ist aber auch ein christliches Fest - und ein ganz besonderes. Vielleicht das wichtigste."
Diese Osterbotschaft wäre wahrscheinlich in den Tiefen des Netzes weitgehend unbemerkt verschwunden. Allenfalls Theologen hätten darüber diskutiert, ob das Osterfest nur das vielleicht wichtigste oder doch das wichtigste christliche Fest ist. Doch Markus Söder definiert in dieser Botschaft das christliche Kreuz kurzerhand zu einem staatlichen Symbol um.
"Unser Kalender ist christlich geprägt. Das soll auch so bleiben. Unsere Werte sind christlich geprägt. Dass soll auch so bleiben. Und wir sind der festen Überzeugung, dass in Behörden nicht Kreuze abgehängt werden sollen, sondern sie aufgehängt werden. Denn das Kreuz als Symbol des Christentums ist de facto auch das Symbol der Menschenwürde unseres Staates."
"Welche Werte sind das, für die das Kreuz steht?"
Kurz darauf folgte die bayerische Kabinettsentscheidung, Kreuze deutlich sichtbar im Eingangsbereich aller öffentlichen Gebäude aufzuhängen. Das Kreuz als staatliches Symbol für die Würde des Menschen? Michael Bauer, Vorstand des Humanistischen Verbandes Bayern, fällt darauf nur eine zynische Antwort ein:
"Ja, welche Werte meinen Sie denn da jetzt? Die Hexenverfolgung? Die Kreuzzüge? Die Intoleranz? Den Katholischen Index verbotener Bücher? Meinen Sie die Pädophilie-Fälle in der Katholischen Kirche? Meinen Sie das Koppelkreuz 'Gott mit uns', das die Wehrmachtssoldaten getragen haben? Also, welche Werte sind das denn, für die das Kreuz steht?"
Dass der Humanistische Verband als Interessenvertretung nicht-religiöser Menschen scharfe Kritik an der Kreuzes-Pflicht üben würde, das war vorhersehbar. Doch der öffentliche Aufschrei geht weit darüber hinaus - bis hinauf zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx. Per Interview in der Süddeutschen Zeitung wirft der Kardinal und Erzbischof von München und Freising Markus Söder vor - Zitat - "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander" ausgelöst zu haben. Dem Staat stehe es nicht zu, zu erklären, wofür das Kreuz stehe. Andere bayerische Bischöfe dagegen begrüßen die Verordnung, weil damit das Christentum sichtbarer werde.
Religion als Mittel zur Spaltung
Religion im öffentlichen Raum ist ein Dauerthema auf Katholiken- und Kirchentagen. Jetzt, nach der Söder'schen Verordnung, dürfte darüber in Münster mit besonderer Verve diskutiert werden. Die neue Kreuz-Debatte fällt mitten hinein in eine gesellschaftliche Stimmung, in der die Religion wieder zu einem öffentlichen Kampfplatz geworden ist. Das jedenfalls beobachtet die Islamwissenschaftlerin und Lehrerin Lamya Kaddor. Ihr bereiten Angriffe auf jüdische Kippa-Träger genauso Sorgen wie Angriffe auf Musliminnen:
"Inzwischen wird muslimischen Frauen das Kopftuch sogar abgerissen oder runtergerissen. Also, deshalb würde ich schon sagen, dass Religion scheinbar wieder ein Thema in unserer Gesellschaft wird, das zunehmend, ja, benutzt wird, um zu spalten."
Vor diesem Hintergrund sieht Lamya Kaddor als Vertreterin des liberal-islamischen Bundes die Kreuz-Anordnung in Bayern als gefährliches Signal der Ausgrenzung von Minderheiten:
"Ich glaube noch nicht mal, dass es unbedingt das Kreuz ist, was stört. Ich glaube, es ist eher die Aktion, die dahinter steht. Und wenn zuvor die Aussage gefallen ist, der Islam gehört nicht zu Deutschland, und dann aber ein Kreuz demonstrativ wie so eine Monstranz vor sich hergetragen wird, dann gibt das natürlich zu denken, denn eigentlich höhlt man damit ja ganz konkret christliche Werte aus."
Bildungsarbeit gegen Antisemitismus
Kontroverse Debatten werden in Münster auch zur aktuellen Diskussion um antisemitische Vorfälle in Deutschland erwartet. Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor wird über ihre Erfahrungen aus der Arbeit in Schulen berichten. Dort engagiert sie sich gegen antisemitische Einstellungen unter muslimischen Schülerinnen und Schülern.
"Es geht ja erst einmal tatsächlich darum, ihre eigene Identität ihnen vor Augen zu führen und sie selbst auch zu hinterfragen: Wer bist du? Damit sie ihren eigenen Standpunkt finden, und von dort aus noch mal zu erklären, na gut, du beklagst dich beispielsweise über Anfeindungen gegen Muslime - klar, zu Recht. Die wachsende Islamfeindlichkeit sollte einem tatsächlich Sorge bereiten -, aber du kannst nicht den gleichen Mechanismus auf eine andere Minderheit anwenden. Du kannst nicht weitertreten. Dass man ihnen aber auch Kenntnisse an die Hand gibt. Die meisten Jugendlichen, die zum Beispiel Israel bemühen, um antisemitische Stereotype wiederzugeben, haben geschichtlich gesehen kaum Ahnung vom Nahostkonflikt. Das ist ja das Verheerende daran."
An einem Punkt geht Lamya Kaddor aber die aktuelle Antisemitismus-Debatte in eine falsche Richtung. Die Mehrheitsgesellschaft mache es sich zu leicht, indem sie das Antisemitismus-Problem bei den Migrantinnen und Migranten ablade:
"Zum einen müssen wir ganz klar sagen: Ja, unsere Mehrheitsbevölkerung, unsere alteingesessene deutsche Bevölkerung, hat ein gravierendes Problem mit Antisemitismus. Das war schon länger so, das ist immer noch so und das wird wahrscheinlich in Zukunft auch so bleiben. Dazu kommt eben auch, dass es nun einen gewissen Teil von Menschen, die hier eingewandert sind, auch gibt, unter denen Antisemitismus - zwar in einer etwas abgeänderten Form - aber auch besonders prägend ist. Problematisch wird es dann, wenn wir unseren Fokus nur noch auf diese Minderheit richten und sagen: Also, bei denen ist es ja besonders schlimm, oder bei denen ist es besonders ausgeprägt."
"Der Staat sollte sich nicht mit einer Religion gemein machen"
Michael Bauer vom Humanistischen Verband sieht die Gefahr, dass der Staat und Teile der Mehrheitsgesellschaft einen Unterschied machen, welche Weltanschauungen im öffentlichen Raum toleriert werden und welche als Störfaktor wahrgenommen werden. Dies müsse sich ändern - je multikultureller die Gesellschaft wird, umso stärker.
"Das Wichtigste wäre da der gleiche Abstand zu allen Religionen und Weltanschauungen. Der Staat sollte sich selbst nicht mit einer Religion gemein machen, sondern alle zulassen und alle zur Kenntnis nehmen, weil sie eben bei den Bürgerinnen und Bürgern schlichtweg vorhanden sind."
Michael Bauer macht auf einen Widerspruch in den aktuellen Debatten um die Werte unserer Gesellschaft aufmerksam. Obwohl in vielen Teilen Deutschlands inzwischen die Konfessionslosen in der Mehrheit sind, würden ihre Positionen häufig nicht gehört - zum Beispiel in der aktuellen Diskussion um das Werbeverbot für Abtreibungen.
"Das gehört auch zu den zeitlich überhängenden Strukturen. Also, da hat man ein gewisses Ritual von Anhörungen und Vertretern, die man da eben einlädt, ausgeprägt. Und ob das jetzt heute noch passt oder nicht, das wird eben durchgezogen."
Der Katholikentag in Münster bietet einen Ort, an dem diese Debatten geführt werden können. Auch Michael Bauer wird mit dabei sein - wenn auch als Exot. Er ist der einzige Vertreter eines nicht-religiösen Verbandes, der nach Münster eingeladen wurde.