Henrik Lesaar ist sauer. Er gehört der Gesamtelternvertretung der katholischen Schulen in Hamburg an. Die Leitung des Erzbistum hatte die Elternvertreter zwar informiert, dass es um einige Schulen nicht gut bestellt sei, aber mit der Entscheidung, dass bis zu acht Schulen dicht gemacht werden, hätten sie nicht gerechnet:
"Die Entscheidung kam für uns sehr überraschend, wir waren entsetzt, nicht darauf vorbereitet, mit einer solchen Entscheidung umzugehen. Das lag daran, dass uns zugesichert worden war, an weiteren Entscheidungen beteiligt zu werden, das ist nicht passiert."
Enttäuschung deutlich spürbar
Stefanie Heiden kann die Enttäuschung der Eltern, der Schüler und der Lehrer nachvollziehen. Aber die Kieler Katholikin, Mitglied im Diözesanpastoralrat des Erzbistums, stellt sich hinter die Entscheidung der Schulschließungen:
"Krisen sind auch immer Chancen, und ich kann nur alle dazu aufrufen, die jetzt enttäuscht und wütend sein mögen, mit uns allen zusammen unsere Energien zu lenken, was wir gestalten können, und nicht in das, wo wir hinterher trauern."
Vor allem stellt sich Stefanie Heiden, auch Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, hinter ihren Bischof Stefan Heße. Seit knapp drei Jahren ist der 51-Jährige nun Erzbischof in Hamburg.
"Ich finde es hoch ehrenwert, dass ein Bischof sagt: Ich stelle mich dieser Verantwortung. Ein Weiter-so-wie-bisher, wir schweigen das tot, dafür ist er auch zu jung. Er wird ja wohl bis zu seiner Pensionierung dort sein, sodass er auch die nächsten 30 Jahre in den Blick nehmen will und nicht nur die nächsten fünf Jahre."
Welche Verantwortung Heßes Vorgänger Werner Thissen hat, darüber hält man sich im Erzbistum bedeckt. Etliche Katholiken in Hamburg bezweifeln, dass es wirklich so dramatisch um die Finanzen steht. Der aktuelle Schuldenstand liegt - nach Angaben des Erzbistums - bei 80 Millionen Euro. Nach dem Gutachten der Unternehmensberatung Ernst & Young droht - vor allem wegen der Schulen und wegen nicht gedeckter Pensionsverpflichtungen für Lehrer - ein Minus von 350 Millionen Euro im Jahr 2021. Henrik Lesaar ist da skeptisch:
"Es fehlt an Transparenz"
"Bislang haben wir sehr viel Krisennarrativ gehört, haben einige Zahlen erhalten, die wir aber nicht wirklich einordnen können. Hierzu fehlt es an Transparenz, um nachvollziehen zu können, ob die Lage wirklich so dramatisch ist."
Kritiker wie der Hamburger Rechtsanwalt und Professor an der Katholischen Hochschule Berlin, Christian Bernzen, halten der Bistumsleitung vor, dass Gutachten mehr oder weniger eins zu eins übernommen zu haben:
"Wie immer, wenn man eine solche Untersuchung hat, muss man prüfen, welche Schritte man in eigener Verantwortung daraus ableitet, und natürlich ist es nicht richtig, einfach mechanisch eine Beratungsempfehlung umzusetzen, denn Berater sind Berater und nicht Entscheider."
Unternehmensberatungen schauen auf die Zahlen, aber nicht auf die gesellschaftliche Bedeutung konfessioneller Schulen. Gerade die 21 katholischen Schulen hätten ein enormes Potential, meint Bernzen, der einst selbst in Hamburg eine katholische Schule besucht hat. Allerdings sei die Auslastung der Schulen zu gering; die Schülerzahlen zu niedrig. Das liege an dem fehlenden Rückhalt durch das Bistum:
"Wenn ein System über lange Zeit nicht deutlich zu erkennen gibt, dass es die Schulen wirklich mag, dann entstehen schwierige kommunikative Situationen. Wenn ein System zur Diskussion stellt, ob es diese oder jene Schule wirklich haben will, dann stellen sich für Eltern und für Schülerinnen und Schüler die Frage, ob sie da richtig sind."
Genossenschaft soll Schulen retten
Es fehle der Leitung um Erzbischof Stefan Heße und Generalvikar Ansgar Thim an dem Willen, sich für die strategisch so wichtigen Schulen einzusetzen.
Dazu Bernzen: "Mir der entsprechenden Begeisterung würde es möglich sein, dass man die Schulen wirtschaftlich führen kann."
Bernzen will nun eine Genossenschaft ins Leben rufen, die als Träger der katholischen Schulen fungieren soll. Anteilscheine von jeweils 1.000 Euro sollen die Schulförderer erwerben, um das katholische Schulsystem in Hamburg auf solide Füße zu stellen. Bernzen hofft auf 10.000 Unterstützer im reichen Hamburg. Generalvikar Ansgar Thim ist angetan von der Idee:
"Ich finde es wunderbar, wenn sich Christen auf den Weg machen und sagen: Wir wollen helfen, dass katholische Schule in freier Trägerschaft möglich ist. Wir sind ja auch im Gespräch miteinander. Wunderbar, wenn sich katholische Christen in der Stadt stark machen für freie Schulen."
Bernzen beklagt allerdings, dass die Bistumsleitung bislang noch zu keinen konkreten Gesprächen bereit gewesen sei. Und von der Ankündigung des Erzbischofs, dreizehn Schulen würden bei Bistum bleiben, die Genossenschaft könne ja dann die von der Schließung bedrohten Schulen übernehmen, hält der Rechtsanwalt gar nichts.
"Es gibt keinen Sinn, in Hamburg zwei katholische Schulsysteme zu haben. Das ist die Auffassung aller, die sich mit der Sache beschäftigen."
Die Zeit drängt: Das Erzbistum hat bei fünf betroffenen Schulen keine Schulanmeldungen mehr angenommen; drei haben noch eine Frist bekommen. Die Regierungsfraktionen der Hamburger Bürgerschaft haben das Bistum aufgefordert, ihre Entscheidung um ein Jahr zu verschieben, um nach Lösungen zu suchen:
"Ich finde es sehr naheliegend, dass einer solchen Bitte der Stadt entsprochen wird", sagt Bernzen.
Defizit durch Schulschließungen nicht behoben
Doch ein Sprecher des Erzbistums nennt das Anliegen des Stadtstaates "irritierend und befremdlich". Hier gehe es um das Selbstbestimmungsrecht der Kirche.
Der Blick von Generalvikar Ansgar Thim geht bereits nach vorne, denn nur mit den Schulschließungen sei das Defizit nicht in den Griff zu bekommen:
"Ich denke, dass wir in der nächsten Zeit auch die anderen Einrichtungen, die wir haben, Bildungshäuser, Kirchen, Gemeindehäuser, genau anschauen werden; welchen Bedarf gibt es da, es wird auch dort einschneidende Maßnahmen geben. Aber ich glaube, dass wir auch mit weniger Mitteln eine gute missionarische Kirche sein können."
Diskutiert wird auch die gemeinsame ökumenische Nutzung von Kirchengebäuden – gerade in der Diaspora müssten Katholiken verstärkt auf Protestanten zugehen, meint Thomas Kaufhold, Geschäftsführer der Initiative Wir sind Kirche:
"Künftig müssen wir als Christen auftreten, damit wir noch wahrgenommen werden. Wenn wir darauf beharren, wir sind katholisch, evangelisch, evangelisch-freikirchlich, wir sind orthodox, dann kann jeder für sich alleine kämpfen und geht alleine unter. Wir müssen gemeinsam auftreten."
Strukturausgleich für arme Bistümer?
Eine andere Perspektive könnte – vergleichbar mit dem Länderfinanzausgleich in der Politik – ein Ausgleich zwischen reichen und ärmeren Bistümern sein. Schon heute gibt es einen Strukturausgleich für die ostdeutschen Bistümer, der allerdings in zwei Jahren ausläuft. Generalvikar Ansgar Thim:
"Ich glaube, es ist wichtig, dass wir als Kirche in Deutschland zusammenstehen, nicht nur finanziell, sondern auch missionarisch. Ich würde mir wünschen, dass die Bischöfe sich zusammensetzten und auch die ärmeren Bistümer unterstützen."
Mitgliederschwund, Priestermangel, Finanzprobleme: Einig sind sich in Hamburg eigentlich alle Katholikinnen und Katholiken, dass sich was ändern muss. Generalvikar Ansgar Thim:
"Wir müssen raus aus unserem Inseldasein und aus dem Wohlbehütetsein, denn letztlich ist Kirche ja nicht nur Servicebetrieb, sondern eine Institution, die auf dem Weg sein muss zu den Menschen hin."
Das sieht der Rechtsanwalt Christian Bernzen eigentlich genau so:
"Die katholische Kirche ist keine Beseelsorgungsveranstaltung. Das Allerwichtigste ist, dass wir Katholiken es schaffen, auf die Idee zu kommen, dass wir selbst für unsere Kirche verantwortlich sind."
Und deshalb will Bernzen – im Gegensatz zur Bistumsleitung alle 21 katholischen Schulen retten.